
Miese Klolektüre! Dean Norris als Hank Schrader in Breaking Bad. (Episode 5.08)
In diesem Jahr ist das erste deutschsprachige Buch über die TV-Serie Breaking Bad erschienen. Leider ist es ein missglückter Schnellschuss geworden: Nicht nur lächerlich mickrig im Umfang, sondern auch oberflächlich und schlampig geschrieben – ganz abgesehen davon, dass es zu früh kam, nämlich vor der finalen Staffel. Eine vertane Chance.
Da bestellt man sich ein Buch für stolze 20 Euro und dann das: Ein kleines Taschenbuch, 17 mal 10,5 Zentimeter, und 150 Seiten, wobei zehn davon nur Bilder sind und 20 Seiten Anhang. Soviel zum ersten Eindruck: Eine miese Abzocke! Aber bei einem Buch zählen ja die inneren Werte und die erschließen sich erst beim Lesen. Viel besser wird es aber nicht.
Breaking Down Breaking Bad heißt das Buch, das uns die Filmwissenschaftler Christoph Dreher und Christine Lang geschrieben haben. In acht Kapiteln geht es um „Dramaturgie und Ästhetik“ der besten Fernsehserie der Welt. Doch schon das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass hier keine umfassende Analyse oder zumindest eine Gesamtschau der Serie geleistet wird, denn da gibt es nur Analysen der ersten zwei Episoden, ein Kapitel über „Reflexivität und Referenzialität“ in der zweiten Staffel und eins über eine Episode aus der dritten. Das war’s auch schon. Das Buch wurde in Druck gegeben, als die fünfte Staffel in den USA anlief, die vierte wird nur in ein paar Sätzen im Schlusswort abgehandelt.
Das ist das größte Manko dieses Bändchens, weil dadurch seine Relevanz höchst fraglich erscheint. Doch es ist nicht der einzige Makel. Es beginnt harmlos mit einem Bericht über den Besuch am Set von Breaking Bad. Christoph Dreher, der für seinen Dokumentarfilm über Serienmacher auch mit den Beteiligten von Breaking Bad gesprochen hat, schreibt hier auf wenigen Seiten so ziemlich alles auf, was Vince Gilligan und Co. auch in seinem Film sagen: Wie es trotz aller Widrigkeiten zur Produktion gekommen ist, dass nichts dem Zufall überlassen wird und dass der Autor Gilligan das Schreiben nicht mag. Das liest sich zwar ganz kurzweilig, ist aber eine überflüssige Zweitverwertung des Stoffs aus der Doku. Das Kapitel liefert zwar Hintergründe und Funfacts, sagt aber kaum etwas über Dramaturgie und Ästhetik der Serie aus.
Breitgetretene Banalitäten
Es folgt eine Abhandlung über „Implizite Dramaturgie“. Das bedeutet im Klartext: „In dieser Serie wird viel mit, durch und über den Stil erzählt“, heißt es auf Seite 30. Die Zuschauer würden aufgefordert werden, „darauf zu achten“. Voraussetzung sei nicht nur ein „allgemeines westliches Weltwissen“, sondern ein „stilsicheres Distinktionswissen“, also die Kenntnis von Genres, der Stile von Wohnungseinrichtungen, Automarken und Kleidung. Die Autoren untermauern das mit den Farbmustern, die zu Beginn im Haus der Whites hängen, mit der unterschiedlichen äußeren Erscheinung von Walter und Jesse, sowie mit dem Musikvideo, mit dem Episode 2.07 beginnt („Negro y Azul“). Mit anderen Worten: „Damit wird die Ästhetik , also das Wie, zu einem wichtigen Träger der Narration.“ (S. 36)
Das festzustellen ist mindestens so banal wie zu sagen, bei Kunst komme es immer auf das Wie an. Die Autoren sagen es im Grunde selbst: „Implizite Dramaturgie ist dabei nicht nur ein, sondern vielleicht der bestimmende Faktor in zeitgenössischen filmischen Erzählungen“ (S. 32.) Warum sich also so lange mit der Beweisführung aufhalten, dass das, was ohnehin gilt, auch auf Breaking Bad zutrifft? Das, was hier „Implizite Dramaturgie“ genannt wird, meint häufig einfach Intertextualität. Auch darin versuchen sich Dreher und Lang. Am Ende des Kapitels zur „Reflexivität und Referenzialität“ in der zweiten Staffel wird wild assoziiert: Der Kopf des Doppelagenten Tortuga auf der Schildkröte wird mit dem Pferdekopf in Der Pate in Verbindung gebracht, trotz des Unterschieds, dass in dem Film das Tier stirbt und der Kopf als Drohung dient, während in Breaking Bad das Tier den Kopf des toten Menschen trägt. Und dass Tortuga-Darsteller Danny Trejo die Hauptrolle im Film Machete (2010) hat, dürfte wohl kaum beim Drehen der zweiten Staffel eine Rolle gespielt haben, denn die ist im Jahr davor erschienen. Aber das sind ja, wie die Autoren zugeben, alles „‚coole‘ Referenzen“ mit „Kult-Status“. Da muss man es offenbar nicht so genau nehmen.
Für wen ist dieses Buch geschrieben?
Hier stellt sich die Frage, für wen ist dieses Buch geschrieben ist. Einerseits ist der Ton sehr „wissenschaftlich“ und der Stil leserunfreundlich gestelzt, andererseits werden die grundlegendsten Begriffe breit erklärt, und zwar sowohl im Haupttext als auch in einem Glossar. Besonders überflüssig sind die inhaltlichen Erläuterungen, da man davon ausgehen muss, dass die Leser die Serie bereits kennen. „Die Texte adressieren sich […] sowohl an filtheoretisch als auch filmpraktisch Interessierte, die verstehen wollen, ‚wie etwas gemacht ist'“, heißt es (S. 12). Doch selbst hinter diesem Anspruch bleibt das Buch in weiten Teilen zurück.
Die sogenannten „Analysen“ sind nichts als kommentierte Inhaltsangaben einzelner Episoden. Da werden zwar interessante Beobachtungen getroffen, etwa über die Rolle des Pools der Whites. Denn dieser ist der Ort, an dem sich Walter für das Verbrechen entscheidet (Streichhölzer anzündend), dort kotzt der Sohn hinein, nachdem er von seinem Vater abgefüllt wurde, dort fällt der pinke Teddy nach dem Flugzeugunglück hinein – doch es wird nie im Pool geschwommen. Das allein gibt zwar zu denken, erscheint aber unbefriedigend vor dem Hintergrund, dass in der fünften Staffel Skyler in den Pool steigt und dabei fast ertrinkt. Da die Autoren die Staffel zum Zeitpunkt der Drucklegung aber nicht kannten, konnte dieser Gedanke nicht adäquat zu Ende geführt werden. Vor dem Hintergrund der ganzen Serie hätte man aus einigen der erwähnten Stellen mehr herausholen können.
Es fehlt die Tiefe, es fehlt der Mut
Doch die „Analysen“ gehen auch mit dem Material, das ihnen vorliegt, oberflächlich um. Da ist zwar davon die Rede, dass der „Sound“ eines hüpfenden Autos „an rhythmische Sexbewegungen auf einem quietschenden Bett erinnert“ (S. 101), doch zwei Seiten später wird ignoriert, dass Jesses Wiederbelebungsversuche an seiner toten Freundin tatsächlich zunächst mit einem quietschenden Bett beginnen (aus dem Inneren der Matratze heraus gefilmt), was die Assoziation mit Sex viel naheliegender macht. Da wird zwar festgestellt, dass der Dealer Combo von einem Kind erschossen wird, aber nicht weiter thematisiert, dass dieses Kind in der dritten Staffel wiederum umgebracht wird, ebenso ein Kind in der fünften Staffel, was in der amerikanischen Filmtradition ein Tabubruch ist. Der Argumentation fehlt es an Konsequenz – was sich auch daran bemerkbar macht, dass mehrere Male nur über die Möglichkeit einer Deutung gesprochen wird, statt einfach zu deuten. Es wirkt, als fehlte den Autoren der Mut zu starken Thesen.
Im vorletzten Kapitel „Kammerspiel mit Fliege“ geht es um metaphorisches Erzählen, ausgehend von der Episode „Fly“ (3.10). Es beginnt zwar mit einer Analyse der Folge, doch den größten Raum nimmt ein Exkurs darüber ein, wie wichtig Metaphern und Symbole in Breaking Bad sind. Eine Behauptung, die die Autoren selbst obsolet machen, indem sie Béla Balázs zitieren, der nämlich Symbolik zu einem konstitutives Element des Films erklärt. Insofern erscheint es unnötig, darauf hinzuweisen, dass das metaphorische und symbolische Erzählen auch in diesr Serie eine große Rolle spielen. Doch die Autoren machen nichts aus ihren Beobachtungen, sie zählen sie nur auf, wodurch sich ein größerer Sinnzusammenhang nicht erschließt. Ebenso gering ist der Mehrwert, wenn in der Folge mehrere Deutungen, die zuvor schon gemacht worden sind, wiederholt werden.
Wiederholungen, Ungenauigkeiten, Wertungen
Abgesehen von ständigen inhaltlichen Wiederholungen, fallen auch die Ungenauigkeiten unangenehm auf: Zum Beispiel werden Namen nicht richtig genannt (Skinny statt Skinny Pete [S. 97], Michael statt Mike [S. 106], „Pollos Hermanos“ statt „Los Pollos Hermanos“ [S. 107]). Oder ein Fehler wie dieser: Jesse fesselt Krazy 8 nicht mit einem Fahrrad- (S. 86), sondern einem Motorradschloss. Mag sein, dass man mit dem Ding beides abschließen kann, doch Jesse nimmt es von seinem Motorrad ab. Außerdem erscheinen in einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch Wertungen über die Qualität der Serie fehl am Platz: Da werden „auf elegante Weise die Grundkoordinaten der Situation mitgeteilt“ (S. 29). Da sind Dinge „besonders gelungen organisiert“ (S. 68). Da wird „durchdacht und konsequent geschrieben“ (S. 92). Und später heißt es: „Die künstlerische Qualtität entfaltet sich erst durch das ‚ästhetische Sehen‘ des Zuschauers, der dafür belohnt wird, wenn er sich die Serie mehrfach anschaut und sich auf eine intellektuelle oder aktive Entdeckungsreise begibt“ (S. 124). Es ist zwar schön, dass sich die Autoren für ihren Gegenstand begeistern, doch weil ihre Leser es wahrscheinlich auch tun, sind solche missionarischen Einschübe überflüssig.
Mit ihrem Buch stellen sich Dreher und Lang ein Armutszeugnis aus. Im Schlusskapitel ist ein Satz der ersten Folge der fünften Staffel gewidmet, darauf folgt eine Mutmaßung darüber, dass am Ende „wieder irgendetwas explodieren (oder jemand das Gesicht verlieren) wird“. Das liest sich so peinlich, dass man sich fremdschämt. Hätten die Autoren ein Jahr gewartet, hätte man sich die Spekulation sparen und ein anständiges Buch schreiben können. Bedauerlich, dass diese Chance versiebt wurde. Denn eigentlich ist Breaking Bad ein Fest für Exegeten. Eine umfassende Analyse, die die vielen im Netz und in den Feuilletons kursierenden Deutungen miteinbezieht und überprüft, steht noch aus. Hoffentlich klappt es beim zweiten Mal besser.
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