Der Eine-Million-Dollar-Film

Nebraska

Alte Säcke unterwegs, Teil 2. Nachdem ich in der vergangenen Woche Robert Redfords Segeltrip gelobt habe, ist nun Nebraska dran, in dem es wieder um einen Greis auf Reisen geht. Und wie man es von Regisseur Alexander Payne gewohnt ist, wird der Film jeder Oscar-Nominierung gerecht.

Man kennt das: „Sie haben gewonnen!“, heißt es auf irgendwelchen Wurfsendungen oder Werbebannern im Internet. Anders als sonst im Leben, wo man sich immer an der falschen Kasse anstellt, ist man hier immer der Glückliche, der ein Vermögen oder ein Auto bekommen soll, einfach so, obwohl man nichts dafür getan hat. Manchmal ist es auch eine heiße Braut, die einen „anchattet“, weil sie sich für mich und nur für mich interessiert, obwohl sie mich noch nie gesehen hat.

Der aufgeklärte Bürger weiß natürlich: Das ist Betrug. Aber aus irgendeinem Grund wird die Masche immer noch durchgezogen. Offenbar muss es ein paar Idioten geben, die immer noch darauf hereinfallen. Zum Beispiel alte Menschen. Von einem solchen Fall erzählt Alexander Payne in seinem neuen Film Nebraska. Woody Grant, ein seniler Greis, fährt von Montana nach Nebraska, um sich dort einen Gewinn von einer Million Dollar abzuholen – wobei zweifelhaft ist, ob er ihn bekommt. Das heißt, er fährt nicht allein, sein Sohn nimmt ihn mit, weil der Alte sich die Sache weder ausreden noch sich davon abhalten lässt, allein loszumarschieren. Unterwegs kommen Vater und Sohn im Heimatort der Familie unter, wo Verwandte und Bekannte, als sie von dem Gewinn hören, plötzlich Ansprüche anmelden.

Doch die Reise ist nur der oberflächliche Plot. Denn eigentlich treten Vater und Sohn – und später auch die Mutter und der ältere Sohn – die altbekannte „Reise in die Vergangenheit“ an, bei der viele Altlasten hochkommen und der jüngere Sohn seinen wortkargen Vater besser kennenlernt, indem er viel über dessen Geschichte erfährt. Über dessen Trunksucht, die fehlende Liebe zu seiner Frau und die Zuneigung zu einer anderen, und natürlich über offene Rechnungen mit den Bewohnern der Heimatstadt.

Als wäre das nicht schon alles Drama genug, zeigt Payne seine Bilder in Schwarz-weiß. So wirken die monotonen, kargen Landschaften noch trister. Dennoch schafft der Regisseur die Balance, da er seiner Geschichte viel Humor abgewinnt. Dafür sorgen Situationskomik und pfiffige Dialoge, die von schrulligen oder schrägen Typen, Hinterwäldlern und Alten ausgehen. Payne kriegt es hin, dass selbst der belangloseste Smalltalk zwischen Rentnern viel zu Lachen hergibt.

Mit Nebraska knüpft Alexander Payne an About Schmidt (2002) an, in dem er Jack Nicholson auf Reisen schickte. Nach der soliden Komödie Sideways (2004) und dem pfiffigen Familiendrama The Descendants (2011) (für beide Drehbücher gab’s den Oscar und Nominierungen für den Regisseur) ist ihm damit wieder ein außerordentlich guter Film gelungen. Im Gegensatz zu dem Rentner Schmidt, der nach dem Tod seiner Frau sein Leben nachzuholen versucht, eifert Woody Grant einem Reichtum nach, um seinen Söhnen etwas vererben zu können. Doch beide Charaktere sind nicht nur gleich liebevoll gezeichnet, beide entfalten sich erst durch das grandiose Spiel ihrer Darsteller, sodass es meistens keine Worte braucht. Bruce Dern spielt den tattrigen, geistesabwesenden und grantigen Protagonisten von Nebraska so überzeugend, dass man sich fragt, ob Dern wirklich so ist. So kommt auch ein alter, aber selten gewürdigter Schauspieler (Lautlos im Weltraum, Familiengrab) zu einer prominenten Paraderolle und einem immerhin späten Ruhm. (Auch er ist für den Oscar nominiert, in Cannes hat er bereits gewonnen.)

Wie auch immer die Sache mit dem Gewinn für Woody Grant ausgeht, das Publikum kommt auf seine Kosten: Ein solcher Film ist nicht nur wert, mit auf diese Reise zu gehen, sondern auch eine Million Dollar. Das mag für den normalen Zuschauer viel Geld sein, für die Filmindustrie ist es das leider nicht. In den USA spielte der Film gerade einmal rund neun von zwölf Millionen Dollar Budget ein. Trotzdem: So schlecht kann es um Hollywood nicht stehen, wenn dort noch solche Filme möglich sind.

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