So macht Geldverdienen Spaß: Schamlos. Ohne Hemmungen, Moral und Realitätsbewusstsein. Martin Scorsese führt in seinem Film The Wolf of Wall Street den Kapitalismus als Drogenrausch vor. Und das so exzessiv, dass man sich der Verlockung kaum entziehen kann. Auch wegen seines grandiosen Hauptdarstellers: Leonardo DiCaprio.
Okay, wir kennen die Börse als Casino, als Ort der Zocker, der Gierigen und der Abgebrühten. Doch Jordan Belfort zeigt uns die Wall Street als Hochburg der Maßlosigkeit. An den Telefonen seiner Firma, Stratton Oakmont, herrscht eine aggressive Stimmung: Die Verkäufer reißen sich wie die Wölfe um ihre Kunden, sie überreden sie, verführen sie und lassen nicht eher los, bis sie einwilligen. Und sie willigen oft ein. So oft, dass in den Pausen stets Euphorie herrscht: Party, Paraden, Exzesse mit Drogen und Nutten. Und ganz vorne mit dabei ist Jordan Belfort, ein junger Broker, der das Rezept für das ganz große Geld gefunden hat und nun nichts tut, als ständig die Ernte einzufahren.
Belfort, gespielt von einem aufblühenden Leonardo DiCaprio, ist ein Anheizer, ein Demagoge. Nicht von ungefähr wird er mit einem Raubtier verglichen: Er kann jedem alles verkaufen – und das tut er auch, völlig schamlos wird er selbst die allermiesesten Aktien los, um den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Egal ob arm oder reich – vor dem Wolf sind alle gleich. Belfort ist der Inbegriff des Kapitalisten. Früher hat man Turbo-Kapitalismus gesagt, auf ihn trifft eher Party-Kapitalismus zu. Denn das Geldverdienen ist nichts anderes als ein Selbstzweck, der nur noch dazu dient, auf Höhenflug zu bleiben. Die Drogen, von denen er lebt und die ihn völlig den Bezug zur Realität verlieren lassen, sind nur Ausdruck der Unersättlichkeit. Doch Belfort ist kein eiskalter, raffgieriger Gordon Gekko, der Protagonist aus Oliver Stones Wall Street (1987), er ist ein Lebemann, der dem Hedonismus frönt, ein Junkie der Dekadenz. Und das macht ihn so sympathisch.
Das Schöne ist, dass es nichts als Spaß macht, bei diesem Fest zuzusehen. Man wird Zeuge einer anhaltenden Erfolgswelle, man sieht die Verlockungen des Wohlstands und freut sich mit, obwohl man nur der unbeteiligte Zuschauer ist. Regisseur Martin Scorsese schafft es, indem er ebenfalls aus dem Vollen schöpft, einen ebenso verlockenden Film zu zaubern. Man möchte Teil dieser Firma sein, in der die einzige ernsthafte Besprechung davon handelt, welche Vor- und Nachteile es hat, im Büro Kleinwüchsige auf eine überdimensionale Dartscheibe zu werfen. Schon allein der fast durchgehende Soundtrack – vornehmlich Blues-Klassiker wie „Pretty Thing“, „Road Runner“, „Dust My Broom“ und „Smokestack Lightnin'“ – wirkt wie eine Partyplaylist. Vor allem ist es dem Drehbuch von Terence Winter (Boardwalk Empire, The Sopranos) zu verdanken, dass die drei Stunden Film wie im Flug vorbeigehen. Pfiffige Dialoge und Situationskomik, Belforts dreiste Ich-Erzählung aus dem Off und das Durchbrechen der vierten Wand, aber auch eine Prise Slapstick machen The Wolf of Wall Street zum kurzweiligsten und witzigsten Film über die Finanzbranche.
Kritiker haben bemängelt – wenn es denn überhaupt etwas zu mosern gab -, dass der Film zu unkritisch mit seinem Gegenstand umginge. Das ist schwer nachzuvollziehen. Denn wie immer folgt auch hier auf den Rausch der Absturz in den Kater. Und nach einer unbeschwerten ersten Hälfte beginnt der Ernst des Lebens. Das heißt natürlich: So ernst es für einen Multimillionär werden kann. Gegen Belfort wird ermittelt und er muss sein Geld in Sicherheit bringen, hinzu kommen die obligatorischen Eheprobleme von Erfolgsmenschen. Es bleibt dem mündigen Zuschauer überlassen, eins und eins zusammenzuzählen. Obwohl The Wolf of Wall Street auf einer wahren Geschichte basiert, handelt es sich um eine Satire: Die Darstellung ist so überzogen und das Dargestellte so absurd, dass man den Film nicht ernst nehmen kann. Und jeder Anzugträger, der sich in Frankfurt in den Kinosaal setzt, wird sich am Ende selbst fragen müssen, ob er den Film als Warnung oder Stimulanz sehen möchte. Er funktioniert in beide Richtungen. Und das tut ihm sehr gut.
(Eine Liste mit den besten Filmen über die Finanzbranche gibt es hier.)