Es vergeht kein Tag ohne. Schaltet man abends den Fernseher ein, kommt man nicht umhin. Mindestens einmal, meistens aber öfter, flimmern diese Schwarz-weiß-Bilder über den Bildschirm, die uns sofort zeigen: Jetzt wird’s historisch! Und es ist nicht einfach nur Geschichte, nicht irgendeine Epoche, über die uns das deutsche Bildungsfernsehen aufzuklären versucht, nein, es ist immer dieselbe: Das Dritte Reich. Man könnte das Gefühl bekommen, es wäre nie untergegangen: So viele Nazis, immer wieder Nazis. Überall Hitler, Hakenkreuz und Holocaust. Wenn nicht bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, dann ganz bestimmt auf N24 oder N-TV. Von wegen, die Deutschen befällt die Geschichtsvergessenheit, im Taumel des weltmeisterlich beförderten Hurra-Patriotismus! Das Fernsehen kommt seinem Auftrag nach, die Deutschen an ihre finsterste Zeit zu erinnern, und sei es nur für den Moment des flüchtigen Durchzappens. Hitler als Schreckgespenst in der Einöde des Abendprogramms, irgendwo zwischen Krimis und Melodramen, Casting-Shows und Doku-Soaps taucht er auf und ruft: „Buh! Äch bin wieder da!“ Offenbar fehlt es nicht an Nachfrage.
Ich frage mich: Wer schaut das alles? Wer erträgt so viel Krieg, Tod und Vernichtung am Stück und in Serie? Ist das noch Bildung oder schon Buße?
Wie auch immer: Der Deutsche, oder wenigstens ein nicht unerheblicher Teil des hiesigen Fernsehpublikums, scheint seine tägliche Portion Hitler zu brauchen. (Über die Gründe, sei es aus Geschichtsbewusstsein oder Schuldgefühlen, kann nur spekuliert werden.) Guido Knopp allein, der Geschichtsdozent der Nation, bringts nicht mehr, um die Gier nach ollen Kamellen und neuen Nazi-„Enthüllungen“ zu befriedigen, müssen alle, öffentlich-rechtliche wie private Sender mitanpacken – und das oft mit ganzen Themenabenden.
Machen wir mal die Probe aufs Exempel:
Freitag, 18.7., 20.15 Uhr, RTL2: Iron Sky. 23.30 Uhr, Das Erste: Stauffenberg.
Samstag, 19.7., 20.05 Uhr, N-TV: Alltag unterm Hakenkreuz, 21.05 Uhr: Alltag unterm Hakenkreuz (sic!); 22.05 Uhr: Hitlers Hauptstädte – Nazibauten in Berlin; 23.05 Uhr: Hitlers Hauptstädte – Nazibauten in München. Parallel dazu laufen drei Stunden über Hitlers Vollstrecker, gefolgt von den Frauen des 20. Juli, einer Doku über Sophie Scholl und dem Guido Knopp-Klassiker Sie wollten Hitler töten. Schaut man all das, verpasst man aber den Spielfilm Der 20. Juli, der ab 0.05 Uhr im Zweiten läuft. Schade, aber man kann nicht alles haben. – Das heißt, doch man kann! Die Mediathek macht’s möglich. Dort gibt es jetzt schon Der Bunker – Hitlers Ende, Hitlers Vollstrecker und Die neuen Nazis – Die unterschätzte Gefahr, denn bei aller Geschichtsversessenheit darf, wie auch in der Schule, auch der Bezug der Gegenwart nicht verloren gehen. (Stichwort: „Nie wieder!“)
Am Sonntag, 20.7., wiederholt N-TV sein Programm vom Vorabend am Nachmittag und überbrückt damit irgendwie die Durststrecke bis zum Abend. Dann kommt um 23.25 im Zweiten ZDF-History – Die Kinder des 20. Juli, was sich leider mit dem Spielfilm Der Untergang überschneidet (0.00 Uhr, Das Erste). Dadurch verpasst man die kontroverse Eröffnungsszene, in der es bei Hitler am meisten menschelt … (Aufschrei! Darf man das? Wer noch nicht schläft, der diskutiert!)
Jetzt könnte man meinen, ich hätte mir mit dem Gedenktag des 20. Julis die passende Steilvorlage ausgesucht. Doch auch in den nächsten Tagen geht es ähnlich weiter: Am Montag berichtet Phoenix über Fritz Bauers einsamen Kampf, dann über den Warschauer Aufstand, am Dienstag gibt es das Tagebuch eines Lagerkommandanten auf Arte und Jeder stirbt für sich allein im Ersten, am Mittwoch Bombenkrieg auf ZDF Info und Stalingrad bei N24 usw.
Nazis ohne Ende. Da bekommen die Namen N-TV und N24 eine ganz andere Konnotation … Aber nein, die Ns sollen ja angeblich für Nachrichten stehen. Vielleicht auch für: Neues aus dem Dritten Reich.
Es stimmt schon, es gibt verdammt viele Nazi-Dokus im deutschen Fernsehen. Und das schon seit Jahren. Viele davon sind allerdings oft auch sehr informativ und gut gemacht. Mir ist eine gute Geschichtssendung noch immer um einiges lieber als vieles was die Privaten sonst so zu später Stunde ausstrahlen. Wobei gute Geschichtssendungen nun mal heutzutage leider eine Rarität sind.
Außerdem gilt auch hier wie immer die Nachfrage-/Angebot-Regel. Solange es noch Leute gibt, die gerne Dokus über das Dritte Reich schauen, wird es auch noch Sender geben, die Dokus über das Dritte Reich ausstrahlen.
Ansonsten natürlich wie immer sehr gelungener Artikel. Beim letzten Absatz musste ich doch etwas breiter schmunzeln.