Die Serie Fargo erzählt – wie schon die gleichnamige Filmvorlage – von einer Kette aus Lügen und Verbrechen, die zur Katastrophe ausarten. Dabei schafft sie den Spagat zwischen Adaption und Original so gut, dass das Zusehen ein großes Vergnügen ist.
Es beginnt mit einer Lüge: „This is a true story“, heißt es. Die geschilderten Ereignisse hätten sich genauso im Jahr 2006 in Minnesota zugetragen, nur die Namen seien auf Wunsch der Überlebenden verändert worden. Am Anfang jeder Episode der Serie Fargo wird dieser Hinweis – statt eines Vorspanns – eingeblendet. Und es ist jedes Mal gelogen. Aber damit steht die Serie nicht nur in der Tradition ihrer gleichnamigen Filmvorlage von 1996. Sie betrügt damit auch ihr Publikum wie es ihre Protagonisten tun.
Die Geschichte beginnt mit einem Selbstbetrug: Der Versicherungsvertreter Lester Nygaard (Martin Freeman) lässt sich von seiner Frau zum Versager erklären, dann demütigt ihn ein alter Schulkamerad vor dessen Kindern, indem er ihnen erzählt, wie er Lester ständig verprügelt hat. Lester redet sich das alles schön, er ist zu feige, um aufzubegehren. Weil er befürchtet, auch dieses Mal eine Abreibung zu bekommen, versucht er zu fliehen und verletzt sich selbst dabei im Gesicht. Während er kurz darauf in der Notaufnahme wartet, lernt er einen seltsamen Lorne Malvo kennen (Billy Bob Thornton), der ihm sagt, er hätte sich diese Demütigung nicht gefallen lassen, und bietet ihm an, sich an dem Schulkameraden zu rächen. Und obwohl Lester weder ja noch nein sagt, führt der Fremde kurz darauf den Mord aus. Und als Lester selbst seine Frau im Affekt ermordet, beginnt eine Kette von weiteren Verbrechen und Lügen.
Fargo als Serie? Kann das gutgehen?
Zu Beginn bin ich skeptisch gewesen: Fargo als Serie? Wer braucht das? Kann das gutgehen? Wie soll das funktionieren? Aber Autor Noah Hawley schafft es perfekt, der Vorlage gerecht zu werden und dabei etwas Originelles zu schaffen. Im Grunde ist die Serie eine Art Fortsetzung des Films, wobei eigentlich nur in einer Szene an die Ereignisse von 1987 angeknüpft wird. Ansonsten gibt es eine völlig neue Handlung mit neuem Personal, allerdings übernimmt Hawley einige Merkmale der alten Figuren und zitiert auch den Stil der Coen-Brüder mit ihrer Vorliebe zur Absurdität.
Lester Nygaard erinnert in Verhalten und Wesen an den Autoverkäufer Jerry Lundegaard, der ebenfalls am laufenden Band betrügt, gewissenlos die Katastrophe zulässt und nicht einsieht, wann es genug ist. Man kann nicht anders, als fassungslos dabei zuzusehen, wie dreist Lester der Strafverfolgung immer wieder entgeht. Noch geschickter stellt sich dabei der Serienkiller Lorne Malvo an, der als schweigsamer Mann ohne Eigenschaften eine Blutspur hinterlässt und dabei wie ein Geist zu verschwinden scheint. Wenn er doch mal den Mund aufmacht, sind es meist abseitige Aussagen, die zu den typischen Coen-Dialogen führen. Oft erinnert Malvo an den unantastbaren Killer Anton Chigurh aus No Country for Old Men. Allerdings ist Malvo vielseitiger in Sachen Verstellung, erscheint mal als frommer Pfarrer, mal als geselliger Lebemann. Billy Bob Thornton spielt somit mehrere Rollen in einer – und jedes Mal oscarwürdig.
Hommage, Zitat, Innovation
Dann gibt es da noch die Seite der Gesetzeshüter. Die meisten von ihnen sind dumme, unfähige Hinterwäldler. Der Chef der Polizei in der Kleinstadt Bemiji, wo die meiste Handlung spielt, wird schnell getötet, sein Nachfolger (Bob Odenkirk aus Breaking Bad) ist zu naiv für den Job, ein Kollege aus dem benachbarten Städtchen Duluth fürchtet sich vor seinen Aufgaben. Wie auch im Film Fargo ist es eine (schwangere) Frau, die der Ermittlung gewachsen ist. Selbst die Typen vom FBI erscheinen als Idioten.
So gerät die Serie Fargo zu einer perfekte Mischung aus brutalen Verbrechen und absurder Komik, überraschenden Wendungen und bemerkenswerten Charakteren. Formal hält man sich sehr an der Vorlage, einer ruhigen Bildsprache in den endlosen verschneiten Winterlandschaft Minnesotas. Doch auch hier gibt es den Mut zur Innovation: Eine der großartigsten Szenen ist eine Schießerei durch ein Haus, die man nicht sieht, weil die Fenster verblendet sind, sondern nur hört, während die Kamera an der Fassade entlang der Spur des Killers durch die Räume und Etagen folgt. Wieder einmal zeigt sich die Größe in der Kunst der Zurückhaltung.
Die Serie macht alles richtig: Sie ist weder Remake, noch schmückendes, aber unnützes Beiwerk zur Filmvorlage, sondern funktioniert als Hommage, Stilzitat und ist doch originell genug, um als eigenständiges Werk zu gelten. Man mag sich über die Figuren ärgern, mit ihnen leiden, aber man folgt der Handlung wie gebannt und genießt alle zehn Folgen. Dahingehend lügt Fargo nicht: Das Qualitäts-Versprechen, das der Titel birgt, wird allemal eingelöst. Dies ist zwar keine wahre, aber wahrhaftig eine Geschichte.
Fargo ist übrigens ein Anthologie-Format, das bedeutet, dass es pro Staffel eine abgeschlossene Handlung gibt. Die nächste Staffel soll im Jahr 1979 in North Dakota spielen.
Die Serie will ich auch unbedingt schauen. Coens „Fargo“ Film gehört zu meinen liebsten von den beiden. Deshalb bin ich wahrlich gespannt, wie das in der Serie umgesetzt ist. Deine Ausführungen lassen ja schon mal Positives hoffen. 🙂
Fargo halte ich auch für einen der besten Coen-Filme, vor allem wegen der grandiosen Dialoge. Die Serie ist für mich ein würdiger Breaking Bad-Nachfolger. Jedenfalls in Sachen Qualität.
Noch ein Grund mehr die Serie zu schauen. „Breaking Bad“ fand ich im großen und ganzen eigentlich gelungen, auch wenn die Serie ab und an die eine oder andere schwache Folge hatte. Aber Jesse Pinkman und ‚U better call‘ Saul Goodman waren geniale Sidekicks zum Protagonisten. 🙂