
Edition Faust
Wie fängt man so eine unfassbare Geschichte an? Mit „Es war einmal“? Mit einer Zeit- oder Ortsangabe? Bei einer Geschichte wie dem Sandmann scheint kein Anfang der richtige zu sein. „Ich beschloß gar nicht anzufangen“, schreibt der Erzähler. Also stellt er einfach drei Briefe nach vorne, die ihm diese Bürde abnehmen sollen. „Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir gütigst mitteilte, für den Umriß des Gebildes, in das ich nun erzählend immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemühen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Porträtmaler, so aufzufassen, daß du es ähnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja daß es dir ist, als hättest du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen.“
Der italienische Grafiker Andrea Grosso Ciponte hat diese Passage beim Wort genommen, als er E.T.A. Hoffmanns Erzählung als Vorlage für seine eigen nahm: in Bildern. Die Hauptfarbe, die er hineinträgt, ist erwartungsgemäß schwarz. Und so hüllt er die finsteren Gestalten wie den bösen Coppelius, den Wetterglashändler und den wahnsinnig werdenden Helden in viele Schatten. In großzügigen Panels entwirft er expressionistische Bilder für das Unsagbare. Selbst Dalí und Buñuel lassen grüßen. Wie die Bilder bleibt auch die Geschichte dunkel. Ein paar Panels oder Seiten mehr hätten dem dünnen Bändchen gut getan.
Cipontes Sandmann-Adaption ist in dem neu gegründeten Frankfurter Verlag Edition Faust erschienen. Dieser ist aus der Online-Kultur-Plattform Faust Kultur hervorgegangen. Unter dem Label „Dust Novels“ sollen (verstaubte) Klassiker der Literatur als edle Comics aufbereitet werden – allesamt gezeichnet von Ciponte. Als nächstes angekündigt sind bereits Kleists Marquise von O… und Walpoles Schloss Otranto, ein früher Schauerroman.
Bereits erschienen ist neben dem Sandmann auch Schillers Geisterseher, der Urvater des Geheimbundromans. Hier nimmt sich Ciponte noch mehr Freiheit heraus. Wieder mal ist alles düster. Und zwar so düster, das man kaum etwas erkennen kann. Die Stadt Venedig ist gerade mal zu erahnen, die Figuren erscheinen so flüchtig aus der Finsternis aufzutauchen, dass die Situation der Szenen oft nicht klar ist und sich der Leser hoffnungslos in einer scheinbar losen Abfolge von skizzenhaften Bildern verliert. Ein Gefallen wird der Story damit nicht getan. Angereichert ist das Ganze mit einer überfrachteten Horoskop-Symbolik, die in bedeutungsschwangeren Splash Pages heraufbeschworen wird. Weil das Romanfragment die Erzählung nicht abschließt, wird in der Adaption ein tragisches Ende hinzugedichtet, das wegen seiner Ähnlichkeit zum Sandmann etwas einfallslos erscheint: der Held stürzt ins Verderben. Und nach rund 60 Seiten ist der Spuk auch schon wieder vorbei – ohne dass man viel schlauer geworden wäre.
Wenn es nur darum gegangen ist, anspruchsvoll zu sein, so wurde der Anspruch eingelöst. Einige eindrucksvolle Panels sind Ciponte, der an sich ein guter Handwerker ist, auch gelungen. Allerdings bieten die beiden ersten Bände der „Dust Novels“ nicht mehr als besagte Umrisse seltsamer Gebilde (oder „Gemälde“, wie es im Comic heißt). Unkundige werden damit nicht viel anzufangen wissen. Es ist, als hätte man die Klassiker entstaubt, um sie gleich darauf wieder im Nebeldunst zu verschleiern. Wer die Vorlagen kennt, dem werden hier nur wenige Bilder zu Schlüsselszenen der Erzählungen nachgeliefert. Angesichts der zum Teil mit Schrift überfrachteten Panels wären vielleicht illustrierte Ausgaben der Originaltexte das besser Mittel der Wahl gewesen.
>>> Andrea Grosso Ciponte: Sandmann/Geisterseher, Edition Faust 2014. (Preis: jeweils 20 Euro.)