Das Fremde aus der Tiefe

Vertigo

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Eine Rezension braucht einen klaren Standpunkt. Doch auch eine Woche nach der Lektüre von The Wake weiß ich nicht, wie ich das Comic finden soll. Okay, es stammt von Scott Snyder, der seit 2011 einen respektablen Lauf mit Batman hat. Der Mann kann schreiben, er kann erzählen. Und die Zeichnungen von Scott Murphy haben in ihrer Ungeschliffenheit auch ihren Reiz. Immerhin hat The Wake den Eisner Award als beste Mini-Serie bekommen, sozusagen den Oscar der Branche. Es muss also etwas dran sein. Aber ich habe immer noch meine Zweifel. Restlos überzeugt hat mich die Story nicht.

In der Tat ist The Wake interessant aufgebaut, weil es verschiedene Genres miteinander verbindet: Es beginnt wie ein typischer Monsterfilm alter Schule. Ein paar Wissenschaftler werden in eine Tiefsee-Forschungsstation geholt, wo ein Mensch-Fisch-Zwitterwesen gefangen gehalten wird. Insofern erinnert es an Der Schrecken vom Amazonas (Creature from the Black Lagoon) von 1954. Dann geht es in die Richtung von Ridley Scotts Alien: das Monster bricht aus und tötet einen nach dem anderen. Hinzu kommt, dass es die Fähigkeit hat, Menschen sehen zu lassen, was sie sehen wollen. Und schließlich wird es apokalyptisch: denn das Vieh ist nicht allein und seine Artgenossen lassen das Land im Meer versinken. Der zweite Teil entspricht einem dystopischen Szenario á la Waterworld – wobei die Qualität der Umsetzung wesentlich besser ist. Die überlebenden Menschen haben sich in Festungen zurückgezogen. Eine junge Frau schnappt einen Funkspruch auf, in dem Rettung für die Menschheit verheißen wird. Doch der Kontaktaufnahme steht der Widerstand vonseiten des Staates entgegen. Doch dann kommen Piraten zur Hilfe.

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Das Ganze changiert also irgendwo zwischen den Genres Science Fiction, Horror und Abenteuer. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive zweier Frauen: Während in der Gegenwart die Walforscherin Dr. Lee Archer im Mittelpunkt steht, ist es in der Zukunft eine junge Frau namens Leeward, die mit einem Delfin befreundet ist. Wegen des Einschnitts in der Mitte handelt es sich eigentlich um zwei Geschichten. Diese Struktur sorgt für einen immensen Spannungsaufbau. Immer wieder springt die Erzählung auch weit in die Zeit zurück und wirft mehr Fragen auf: Was hat es mit diesen Wasserwesen auf sich? Und was sollen die verstreuten Episoden aus der Steinzeit? Worum geht es hier überhaupt? Worauf läuft das Ganze hinaus?

Darüber zu sprechen ist nicht möglich, ohne zu spoilern. Nur so viel: Es geht um Tränen, um Erinnerung und Vergessen. Und hier ist der Punkt, an dem sich die Geschichte in anthropologischen Sinnzuschreibungen verliert. So unterhaltsam, überraschungsvoll und visuell beeindruckend die Story gestaltet ist, so weiß man am Ende mit all den Erklärungen nicht viel anzufangen. Etwas bemüht wirkt die Auflösung.

Zurück bleibt ein ambiges Gefühl. Und das ist wohl nach Angaben des Autors auch so gewollt. Schon der Titel ist mehrdeutig. Er kann Kielwasser, Sog oder auch Totenwache bedeuten. Alles trifft irgendwie zu. Und vielleicht liegt der Reiz von The Wake darin, dass es ein ambitioniertes, großes Ganzes ist, aus dem sich jeder seine Rosinen rauspicken kann. Es ist ein Epos, in dem sich viele wiederfinden oder auch verlieren können.

>>> Scott Snyder/Sean Murphy: The Wake, Vertigo 2014. Auf deutsch erscheint das Buch am 17.2.2015 bei Panini.

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