Der Journalismus steckt in einer doppelten Krise: In einer ökonomischen und einer der Glaubwürdigkeit. Mal steht man im Verdacht, von Kapitalisten gekauft, mal „linksversifft“ zu sein. Mal wird zu viel, mal zu wenig berichtet. Wie man’s macht – man scheint es keinem recht machen zu können. Oder jedenfalls nicht allen. Muss man auch nicht. Aber immer öfter verlangen verschiedene Interessengruppen, dass die Presse ihren Zwecken dienen müsse. Das ist ebenso anmaßend wie sinnfrei. Vier Erfahrungen eines Lokaljournalisten in Frankfurt am Main.
1. Lügenpresse
Als am 26. Januar „Pegida“ erstmals in Frankfurt demonstrierte, als 2000 Gegendemonstranten die Kundgebung niederbrüllte, da stand ich mittendrin im Gehege, um am nächsten Tag für das Stadtmagazin Journal Frankfurt darüber zu berichten. Einer der Pegidisten, ein älterer Mann, kam zu mir und sagte: „Wenn Sie nicht zur Lügenpresse gehören wollen, schreiben sie auf, was hier passiert.“ Er zeigte auf die Gegendemonstranten, von denen einige Eier, Wasserbomben und Böller auf die Islamfeinde warfen. Ich hatte nicht vor, etwas davon zu verschweigen. Weder die eine, noch die andere Seite. Aber dennoch fühlte ich mich nicht erleichtert. Erst zwei Wochen zuvor war „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres erklärt worden. Später nannte mich ein anderer Pegidist einen Gutmenschen.
2. Pressefreiheit
Als am 18. März bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt die Barrikaden brannten, war ich wieder mitten im Geschehen. Am Literaturhaus sah ich dabei zu, wie Schwarzvermummte aus der Straße herausgebrochene Steine in schwarzen Plastikwannen sammelten – wahrscheinlich um Polizisten damit zu bewerfen. Ich fotografierte die Szene mit meinem Smartphone, um die Bilder fürs Journal Frankfurt zu twittern. Ich war nicht der einzige, um mich herum waren viele andere Kollegen, die ebenfalls Bilder machten. Da kamen zwei der Schwarzvermummten auf mich zu, einer bat mich, sie nicht zu fotografieren. Meinen Einwand, dass man sie wegen ihrer Masken nicht erkennen könne, ließ er nicht gelten. Ein anderer wurde direkter: „Pack das Handy weg, sonst ist es gleich kaputt!“, schrie er, während er auf mich zukam und die Arme ausbreitete. Ich argumentierte mit der Pressefreiheit, aber merkte, dass jeglicher Versuch der Vernunft vergeblich war. Ich steckte das Handy weg, ging zur Seite – und postete das Bild samt Drohung bei Twitter. Das Gerät ist noch immer unversehrt.
In der Woche darauf rief ein Leser an, der wissen wollte, warum wir die Randalierer bei Blockupy in der Print-Ausgabe des Journal Frankfurt nicht in unsere Top-und-Flop-Liste aufgenommen hätten (unter den Flops, versteht sich). Ich erklärte ihm, dass wir dazu einen vierseitigen (und kritischen!) Artikel im Heft hätten und wir uns nicht wiederholen wollten. Daraufhin warf er uns vor, wir würden nur auf den harmlosen Pegidisten herumhacken, statt uns von den linken Gewalttätern zu distanzieren. Meinen Einwand, dass wir das mehrfach – online wie im Heft – getan hätten, ließ er nicht gelten. Er sagte, er erwarte dass wir Blockupy in der nächsten Ausgabe floppten. Haben wir natürlich nicht gemacht – schon allein, weil es nicht mehr aktuell war.
3. Meinungsfreiheit
Noch ein Beispiel aus der bunten Welt der Frankfurter Lokalpolitik: Die Galopprennbahn Niederrad. Die soll, so hat der Magistrat es beschlossen, einer Akademie des Deutschen Fußball-Bundes weichen. Weil das ein Ende des Galopprennsports in der Stadt bedeutet (der Pachtvertrag mit dem Renn-Klub ist bereits gekündigt), hat der Verein zusammen mit einer Bürgerinitiative genug Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt, um das zu verhindern. Ein typisches Wutbürger-Thema. Man kann davon halten, was man will. Ich halte davon nichts, bin gegen die Rennbahn, weil sie meiner Meinung kaum noch Relevanz hat und nach ihrem Ende Frankfurt (neben der DFB-Akademie) einen weiteren Park bekommen soll, von dem die Öffentlichkeit mehr haben wird. Doch sobald man die Meinung der Herrschenden vertritt, steht man offenbar im Verdacht, von diesen beeinflusst zu sein. Nachdem ich am 2. März einen polemischen Kommentar über ein (ziemlich schlechtes) Musikvideo, das für die Rennbahn werben soll, veröffentlicht habe, wurde ich von einer Leserin für meinen „mehr als einseitigen Artikel“ gerügt. In der E-Mail hieß es:
„Schade, dass ein solch einseitiger Artikel in ihrem Magazin erscheint – spricht nicht unbedingt für die journalistische Qualität ihres Mitarbeiters. Oder steht dieser, wie anscheinend die „Weisen der Stadt Frankfurt“, vielleicht auch auf dem Gehaltszettel des DFB?“
Bei Facebook war folgender Kommentar zu lesen:
„Der Herr Gedziorowski hat einen Vertrag mit dem Römer ! Journal Frankfurt kommt nun in der Schublade von BILD ! Ich kaufe kein Journal mehr. Den Rennklub umd dessen Mitglieder sowie die Bürgerinitative als Querulanten hinzustellen ist eine Bodenlose Frechheit ! Der Herr sollte mal die Finger von den Drogen lassen und einen Beruf erlernen, den er beherscht !“
Wieder ein Leser weniger. Ich nehme übrigens keine Drogen.
4. Ironie
Am 27. März erhielten wir die Pressemitteilung, in der der Renn-Klub ein Osterfest auf der Rennbahn ankündigte. Allerdings sollte es am Karsamstag stattfinden. Auch das nahm ich zum Anlass, um einen launischen, ironischen Meinungsbeitrag über diese Aktion, den anstehenden Wahlkampf und die fragwürdige Argumentation des Renn-Klubs zu schreiben. Um mich gegen krude Behauptungen abzusichern (aber auch um die Ironie selbst für den Dümmsten kenntlich zu machen), fügte ich am Ende den Hinweis ein: „Dieser Artikel wurde weder vom DFB noch von der Stadt Frankfurt finanziert.“ Ein Leser bekundete dem Text per Facebook Beifall. Ein anderer schrieb mir am Tag darauf diese drei Sätze:
„Sie sind ja so Dumm, das die Welt über sie lacht ! Das was sie machen ist kein Journalismus – das ist Ungebildete Hetze. So hat es vor 70 Jahre Goebbels auch gemacht !“
Keine Anrede, kein Gruß. Immerhin ein Name neben der E-Mail-Adresse.
Am 1. April veröffentlichte der Renn-Klub eine weitere Pressemitteilung, in der es hieß, der DFB ziehe in den Palmengarten und die Rennbahn bleibe erhalten – natürlich ein platter Aprilscherz. Ich nahm den Text zur Vorlage für einen eigenen Spaß und schrieb die Mitteilung so um, dass in meinem Artikel der Renn-Klub zum Schurken wurde, weil er den Palmengarten vernichten wollte. Damit auch jeder den Text begreift, legte ich dem Bürgermeister die Vermutung in den Mund, es handle sich wohl um einen Aprilscherz. Bei mindestens zwei Lesern kam der Witz an. Bei anderen nicht. Eine Leserin dachte, ich hätte die Pressemitteilung des Renn-Klubs nicht verstanden warf mir vor, sie schlampig gelesen zu haben. Einer kommentierte:
„soweit ich diesen Lukas Gedziorowski einschätzen kann ist der total spaßbefreit… (…) leider hat der unlustigste Typ der Redaktion die PM abgefangen und das natürlich nicht verstanden.. (ODER ER IST NEUERDING SO KRASS LUSTIG SARKASTISCH, DASS ICH ES NICHT MEHR VERSTEHE – wäre aber auch eine ganz neue Seite an seinen Artikeln..) Was machen wir denn mal mit diesem Lukas G., der braucht dringend mal ein bisschen Spaß in seinem Leben und/oder guten Sex… (…) *der guckt schon so unheimlich *zitter*“
Der Kommentar wurde gelöscht. Von mir aus hätte er stehen bleiben können. Hiermit sei er der Nachwelt überliefert. Manchmal erhält ein Text seinen Witz erst durch seine Rezeptionsgeschichte.
(Die Rechtschreibfehler in den Kommentaren wurden beibehalten.)