Jeff Lemire: Roughneck (2017)
Zwei Männer sehen einen Glatzkopf, der an der Bar hockt: Ist das nicht der bekannte Eishockeyspieler Derek Ouellette? Sie sprechen ihn an, er will seine Ruhe, das Spiel im Fernsehen anschauen, einer reicht ihm die Hand, er verweigert sich. Als der eine ausfällig wird, rammt Derek ihm die Stirn gegen die Nase und schlägt ihn zu Boden. Kurz darauf kommt der Sheriff vorbei, um Derek festzunehmen. Aber da sich die beiden schon lange kennen, kann Derek einfach weggehen, ohne dass ihm Konsequenzen drohen.
So läuft es in der Welt von Roughneck. Mit dem Comic kehrt Jeff Lemire wieder zu seinen Anfängen und Lieblingsthemen zurück: Das ländliche Kanda, die Enge der Kleinstadt, Eishockey und einen Einzelgänger, der sein Leben verpfuscht hat und sich buchstäblich durchs Leben schlägt (vgl. Lost Dogs und Sweet Tooth). Dereks Karriere als Eishockeyspieler endete, als er sich ein Vorbild an seinem Vater nahm und einen gegnerischen Spieler auf dem Eis ausknockte. Seitdem brät er Eier in einem Diner und schläft in der Abstellkammer einer Hockey-Halle. Als seine jüngere Schwester Beth plötzlich auftaucht, weil sie vor ihrem gewalttätigen Mann ist, und dann auch noch eine Überdosis erleidet, wird er zu ihrem Beschützer.
Die tragische Vorgeschichte der Geschwister bedient ein weiteres Lemire-Motiv: ein totes Familienmitglied (vornehmlich Elternteil), diesmal die Mutter, die auf der Flucht vor ihrem (gewalttätigen) Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt. Beth lebte eine Zeit lang in der Stadt auf der Straße, nahm Drogen, ist jetzt schwanger. Und noch ein bekanntes Motiv wird hier deutlich: Geschichte wiederholt sich. Beth macht bei der Partnerwahl den gleichen Fehler wie ihre Mutter, Derek ist ein Säufer und Schläger wie sein Vater, der aber seine Schwester vor ihrem Mann bewahren muss. Klar, dass es auf eine Katharsis hinauslaufen muss, bei der der Kreislauf durchbrochen wird. (Und Clint Eastwood lässt mit Gran Torino grüßen.)
Lemire zeichnet und malt (wie schon bei The Nobody) überwiegend monochrom, die verschneite Gegend wird mit bläulich-grauer Wasserfarbe angereichert, nur die Rückblenden erscheinen – entgegen der Gewohnheit – vierfarbig. Die Landschaft bekommt viel Raum in meist breiten Panels, die Figuren wirken – typisch Lemire – nicht nur einsam, sondern verloren. Ähnlich wie die Krähe in Essex County dient hier wieder ein Tier als wiederkehrender Beobachter, ein streunender Hund, der den Helden in stillen Momenten ansieht und ihn an seine Verangenheit erinnert. Schließlich wird er sein Gefährte – der Held schließt Frieden mit sich selbst und kann immerhin die Gesellschaft eines Tieres dulden.
Trotz seiner von Lemire bekannten Motive ist Roughneck ein starkes Werk, was Charakterzeichnung und Ausdruck angeht. Es zeigt einen gebrochenen Helden, der sich überwindet, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen – und damit auch den der Geschichte.
>> Jeff Lemire: Roughneck, Simon & Shuster 2017. (Keine deutsche Ausgabe.)
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