Die X-Men-Saga ist zu Ende. Wenigstens vorläufig. Wenigstens die Prequels. Und das ist ebenso gut wie schade. Was 2011 ambitioniert mit Erste Entscheidung (First Class) begann und einer bisher unterbelichteten Figur wie Raven endlich Leben einhauchte, hat Bryan Singer 2014 mit Zukunft ist Vergangenheit (Days of Future Past) noch gesteigert zum wahrscheinlich besten Film der Reihe. Beide Filme setzten nicht nur neue Akzente, sondern verankerten die X-Men glaubhaft in den jeweiligen Epochen, den 60ern und 70ern, der Zeit ihrer Ursprünge.
Leider machte Bryan Singer mit dem dritten Teil, Apocalypse, alles wieder zunichte, indem er versuchte, ein einfallsloses Drehbuch und einen faden, austauschbaren Schurken mit einer ermüdenden Materialschlacht zu kompensieren. Es konnte nur noch besser werden. Aber Autor Simon Kinberg, der sich im vierten Teil, X-Men: Dark Phoenix, auch als Regisseur versucht, hat es geschafft, das Franchise völlig an die Wand zu fahren.
Es ist ihm gelungen, einen Film ohne eine einzige gute Idee zu drehen. Weder inhaltlich noch formal bietet dieser Abschluss etwas Neues. Stattdessen ergehen sich die Hauptfiguren in endlosen Dialogen, in denen immer nur dasselbe mit anderen (und gleichen) Worten gesagt wird. Die wenigen Action-Szenen (eigentlich gibt es nur zwei richtige, am Anfang und am Ende) ergeht sich in Routinen, bei denen nie wirklich Spannung aufkommt.
ACHTUNG: SPOILER!!!
Worum es geht, bleibt Nebensache: Jean Grey absorbiert im All eine mysteriöse Macht, wird danach übermächtig und verbittert, tötet Raven im Affekt, will sich Magneto anschließen, der sich aus dem Rachegeschäft zurückgezogen hat, doch dann will er sich doch an ihr für Raven rächen, während die anderen sie retten wollen. Ach ja, und Formwandler-Aliens sind auch dabei: Angeführt von Jessica Chastain suchen sie Jean, um an ihre Macht zu kommen und die Welt zu vernichten.
Ravens Tod wird für einen Überraschungsmoment verschenkt. Nachdem die Figur in drei Teilen eine Hauptrolle spielte, tritt sie nun viel zu sang- und klanglos ab. Die Schurken sind genauso generisch und austauschbar wie einst Apocalypse. Und sonst interessiert sich Kinberg für keinen seiner X-Men und -Women wirklich. Zwar muss sich Charles Xavier viel Kritik anhören, aber der Konflikt wird nicht wirklich aufgelöst. Die Beziehungen unter den Figuren bleiben oberflächlich, selbst das Verhältnis der Antipoden Charles und Erik kommt nicht zu einem befriedigenden Abschluss. Es muss reichen, dass die beiden am Ende wieder Schach spielen. Ach ja, und die Tatsache, dass die Handlung 1992 angesiedelt ist, ist für die Geschichte völlig irrelevant. Die Epoche wird wie eine Pflichtübung abgehakt, um die letzte Lücke zu den ersten X-Men-Filmen der Nuller Jahe zu spannen – auch wenn die Kontinuität schon längst gebrochen wurde.
Hinzu kommt, dass Kinbergs Drehbuch völlig ohne Humor auskommt, selbst die wenigen Sprüche, die wohl witzig sein sollen, bleiben erschreckend pointenlos und erinnern damit an Kinbergs wahrscheinlich uninspiriertestes Werk, den jüngsten Fantastic Four-Film. Ein vergleichbares Gefühl der Leere stellt sich ein, während man sich zwei Stunden lang etwas ansieht, das man schon zu oft gesehen hat – und zwar deutlich besser.
Es stellt sich die Frage: Warum stecken Studios immer noch viel Geld in solche Produktionen ohne Sinn und Herz? Fox hat mit seinem X-Men-Franchise im Jahr 2000 Maßstäbe gesetzt, mit Wolverine einiges verbockt, hat ein Jahrzehnt später vieles wieder richtig gemacht, mit Deadpool Mut bewiesen (und einen Fehler korrigiert) und mit Logan sogar ein Meisterwerk des Superheldenfilms geschaffen (und damit zwei miese Wolverine-Filme wiedergutgemacht). Für eine Reihe, die so viel Potenzial hatte, ist das ein unwürdiger Abschluss. Und kaum sind die X-Men erledigt, sind schon für nächstes Jahr die New Mutants angekündigt, ein Film der sich wegen Nachdrehs verzögert, was bereits kein gutes Vorzeichen ist.
Angesichts der Maßstäbe, die die Marvel Studios mit dem Cinematic Universe gesetzt haben (wie zuletzt mit Avengers: Endgame) und der schieren Flut an Superheldenfilmen können mittelmäßige bis miese Produktionen nicht mehr bestehen. Das Publikum ist übersättigt – und es wird Machwerke ignorieren. Hoffentlich wird nach Disneys Fox-Übernahme ein neuer Kurs eingeschlagen. Wobei schon viel gewonnen wäre, wenn man die Mutanten für einige Jahre ruhen ließe.