Wenn Comics als „Graphic Novels“ erscheinen, dann adaptieren sie entweder Biografien oder Literatur. Und am besten Biografien von Literaten: Dann sieht man James Joyce, Sartre oder Anne Frank als Comichelden, mit mal mehr, mal weniger Erfolg. Aber die großen Namen ziehen eben Leser an.
Im Fall von Winsor McCay, den Schöpfer des revolutionären Zeitungscomics Little Nemo in Slumberland, scheint sich eine Comicbiografie geradezu aufzudrängen. Allerdings eignet sich nicht jede Biografie dazu, auch als Comic erzählt zu werden. Denn nur weil jemand etwas außerordentlich geleistet hat, heißt es nicht, dass er auch ein aufregendes Leben hatte oder sich dieses bildstark zeigen lässt.
So auch bei McCay. Das hat den Autor Thierry Smolderen und den Künstler Jean-Philippe Bramanti trotzdem nicht davon abzuhalten, 200 Seiten mit Bild und Text über den Pionier zu füllen. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, haben sie seine Lebensgeschichte mit so etwas wie einer Handlung aufgemotzt. Es geht um eine Reihe übernatürlicher Morde, die ein gewisser Silas, ein Gefährte aus Zirkuszeiten und Namensgeber für McCays Pseudonym, aus einem Ort heraus begeht: der vierten Dimension. Er hat es auf den Großverleger William Randolph Hearst abgesehen.
Die Handlung wird in sehr kunstvoll gemalten Panels mit beschränkter Farbpalette und Noir-Ästhetik in eine düstere Stimmung versetzt. Das ändert aber nichts daran, dass die meiste Zeit nur geredet wird. Viel Pseudowissenschaftliches und Spekulatives über diese ominöse „vierte Dimension“, die der Held in psychdelischen Panels zu betreten lernt, um den Schurken zu besiegen. Interessant ist das nicht. Es ermüdet.
Die Story springt dann auch noch so sehr in der Zeit, Monate und Jahre vergehen, dass selten echte Spannung aufkommt. Auch eine Liebesaffäre oder Gastauftritte von Houdini und anderen Zeitgenossen können nicht über die faden Dialoge und des forcierten Mystery/Science-Fiction-Plots hinwegtrösten. Auch Little Nemo hat nicht mehr als ein paar kleine Cameo-Auftritte. Um den Zeichner und Animator McCay geht es hier eigentlich nicht. Es ist kein Buch für Neugierige, die etwas über ihn erfahren wollen, sondern über Verehrer, die gut Bescheid wissen. Und darin besteht die große Enttäuschung eines Buches, das „McCay“ heißt.
Bei dem Ausmaß dieser Fiktionalisierung kann man sich fragen, warum man überhaupt eine historische Figur gewählt hat, um diese Geschichte zu erzählen. Wahrscheinlich weil sie sonst nicht erzählenswert wäre. „McCay“ soll eine Hommage sein und ein bemühter Versuch, mit künstlerischer Ambition, dem großen Vorbild an Kühnheit gerecht zu werden. Daran scheitert Smolderen, indem er als Erzähler nicht einmal Bramantis visueller Qualität gerecht wird. „McCay“ fehlt es am Visionären eines „Little Nemo“. Eine verschwendete Chance – falls es denn überhaupt eine war.
>> Thierry Smolderen/Jean-Philippe Bramanti: McCay, Carlsen 2019.