Wenn Menschen eine Verfilmung gesehen haben, heißt es meistens: Das Buch war viel besser. Aber das ist nicht immer so. Manchmal liefern Bücher nur eine Vorlage für ein ganz neues Werk eigenen Rechts. Und manchmal dienen sie nur als Inspirationsquelle für Filme, die sie an Qualität sogar übertreffen.
So ist es auch bei The Secret Service von Mark Millar und Dave Gibbons, das als Kingsman adaptiert wurde. Ein Nichtsnutz aus der englischen Unterschicht wird zum Super-Geheimagenten und rettet die Welt. Das ist kurzgefasst die Story. Wenn man die beiden Werke vergleicht, sieht man so große Unterschiede, dass Comic und Film völlig eigenständig sind. Und das ist bemerkenswert. Schon Wanted wurde so verfilmt, dass der Comic lediglich als Inspirationsquelle gelten konnte, aber im Grunde hatte der Film nichts mit der Vorlage zu tun. Hier aber nimmt sich der Film die Grundidee und baut sie sogar zu einem viel stimmigeren Werk aus, das zum einen viel überdrehter – also comicmäßiger -, zum anderen aber auch glaubhafter als das Original ist.
Dabei beginnt der Comic zunächst stärker. Hier ist es Mark Hammil (Luke Skywalker) persönlich, der von den Bösen entführt werden soll. Seine Entführer fragen ihn nach seiner Meinung zu den Star Wars-Prequels, er wird gerettet, aber die Rettung scheitert kläglich – eine wunderbare Sequenz voller schrägem Humor. Im Film kommt zwar Mark Hamill vor, aber nicht als er selbst: Er spielt nur einen Wissenschaftler. Das ergibt für den Plot mehr Sinn, aber leider fehlt auch der tolle Abschluss der Szene.
Wie der Agent Jack London den jungen Eggsy rekrutiert, wird im Film jedoch glaubwürdiger gemacht. Hier wie da müsste er längst über das Alter hinaus sein, in dem man sich noch zu einem Super-Agenten formen lassen kann. Aber im Film wird der junge Mann als geistig und körperlich ziemlich fit eingeführt, während er im Comic bloß vor der Spielkonsole sitzt. Im Film sieht man mehr von der Ausbildung, während im Comic ein Großteil davon übersprungen wird, um die Handlung voranzutreiben.
Was der Film viel stärker zelebriert, ist der englische Stil, in Kleidung und Accessoires, der so sehr übertrieben wird, dass er vom Klischee zum Inbegriff der Coolness wird. Wenn Colin Firth eine Bar voller Rüpel vermöbelt, ist das dank Schirm und herrlicher Choreografie so beeindruckend, dass die kurze Sequenz im Comic da nicht mithalten kann. Gleiches gilt auch für das spätere Gemetzel. Im Comic testet der Schurke seine Waffe, indem er bei einer Massenhochzeit die Paare sich gegenseitig umbringen lässt, im Film wird stattdessen eine Kirchengemeinde zu blutrünstigen Zombies verwandelt, was eine viel gewagtere Botschaft sendet. Allerdings: Auch bei der Hochzeit heißt es, es sei besser, die Paare würden sich schon jetzt als erst nach Jahren an die Gurgel gehen.
Im Comic ist der Schurke ein blasser Nerd, der die Menschheit dezimieren will, um den Weltuntergang aufzuhalten, im Film bekommt die Figur dank Samuel L. Jacksons Darstellung mehr Charakter: Er lispelt und lässt sich McDonald’s-Burger liefern. Statt der Bodyguards ist es im Film seine Gefährtin, die auf Prothesen herumläuft – und diese auch noch als Waffen einsetzt.
Comic und Film ergänzen sich in vielen Aspekten, aber am Ende muss man feststellen: The Secret Service ist eines von Mark Millars schwächeren Werken. Auch weil Dave Gibbons (Watchmen) Zeichnungen etwas altbacken aussehen. Umso bemerkenswerter ist, dass aus dem Stoff ein Film gemacht wurde, der das Beste übernimmt und sich so frei davon macht, etwas zu erschaffen, das wie eine stärkere Version des Comics wirkt. Ein Kondensat, eine Essenz, die länger in Erinnerung bleibt.
>> Mark Millar/Dave Gibbons: The Secret Service – Kingsman
Zu Beginn lesen wir, was wir in Filmen oft zu lesen kriegen: „Based on a true story.“ Adam McKays Film The Big Short(2015) erzählt sehr unterhaltsam, eindrücklich und verständlich, wie es zur Immobilien- und Finanzkrise kam. Aber wie viel „true story“ in einem Film steckt, kann sehr schwanken. Manchmal ist es eben nur „inspired by true events“, hat dann mit der Wahrheit nur wenig zu tun (oder gar nichts, wie bei Fargo). Am Ende ist jeder Spielfilm bloß eine dramatisierte Version der Ereignisse mit erfundenen Dialogen.
Tatsächlich gibt es in The Big Short nur wenige Figuren wirklich: Michael Burry (gespielt von Christian Bale) zum Beispiel ist sehr nah an seinem Vorbild, aber Mark Baum (Steve Carell) ist nur angelehnt an eine echte Person (Steve Eisman), dafür hat sein Team wiederum die Namen ihrer Vorbilder (Atwood „Porter“ Collins, Danny Moses, Vincent „Vinny“ Daniel). Der Erzähler Jared Venett (Ryan Gosling) basiert auf Greg Lippmann.
Wie genau der Film die Entstehung der Krise wiedergibt, darüber gibt es verschiedene Ansichten. Experten kritisieren, dass auch andere die Immobilienblase hätten kommen sehen, andere meinen, dass der Film zu einseitig den Banken die Schuld gebe, die Obama-Regierung fühlt sich unfair behandelt, weil am Ende behauptet werde, es habe sich nichts an den Zuständen geändert. Es scheint ein Konsens zu herrschen, dass ein komplexer Sachverhalt vereinfacht dargestellt werde. Manche sagen sogar: zu einfach.
Ryan Gosling in The Big Short.
Der Film aber ist sich seiner Diskrepanz zur Wahrheit bewusst – und er stellt das ständig heraus. Wenn der Erzähler (Ryan Gosling) in Minute 24 zum ersten Mal im Bild erscheint, stellt er gleich die falsche Darstellung richtig: Indem er die vierte Wand durchbricht, wendet er ein, er habe nie einen solchen Club besucht, wie in der Szene gezeigt wird. Und: „I never hung out with these idiots after work, ever. I had fashion friends.“
Jiang mit Jenga.
Es gibt mehrere solcher Szenen, in denen sich Figuren an die Zuschauer wenden. Später, als Jared Venett Mark Baum und seinem Team seine Idee präsentiert (Minute 31), haben die anderen Zweifel an den Berechnungen. Venett führt seinen chinesischen Mathespezialisten „Yang“ vor und behauptet, er habe einen nationalen Mathewettbewerb in China gewonnen und spreche nicht mal Englisch. Daraufhin wendet sich der Mathematiker an das Publikum und stellt richtig, er heiße Jiang, er spreche Englisch und er sei beim Wettbewerb nur zweiter geworden. Jared habe das nur gesagt, um ihn authentischer wirken zu lassen.
Das versucht auch der Film. Er will ein möglichst authentisches Bild zeichnen: Immer wieder streut Regisseur Adam McKay Bilder aus der „wahren Welt“ ein, Dokumentaraufnahmen und Fotos von der Krise. Aber da er immer noch ein Spielfilm ist, muss er den Spagat schaffen, bei allen Fakten auch die Fiktion zu bedienen, was bedeutet, einen unterhaltsamen Film zu schaffen.
Jamie und Charlie
Eine dritte Szene (Minute 40) zeigt, wie die jungen Investoren Charlie Geller und Jamie Shipley in der Lobby einer Bank Jareds Prospekt finden, das sie ebenfalls ins Geschäft mit den Immobilienhypotheken einsteigen lässt. Jamie durchbricht die vierte Wand und räumt ein, die Sache habe sich anders abgespielt. Der Film aber verbindet die Einführung der Charaktere mit einer Szene, die die Handlung vorantreibt – das ist Erzählökonomie. Wo die Wahrheit auf der Strecke bleibt, wird das zumindest zugegeben. An anderen Stellen wird betont: Ja, das ist wirklich so passiert. (Im ursprünglichen Drehbuch finden sich noch mehr dieser Szenen.)
Anthony Bourdain erklärt CDOs.
Der Film handelt von einem großen Betrug – und er weiß, dass er als Fiktion in gewisser Weise sein Publikum selbst „betrügt“. Erzählt wird eine konstruierte Geschichte, die nur auf einer wahren basiert. Regisseur und Autor Adam McKay versucht dieses unauflösliche Dilemma zum einen durch Ehrlichkeit auszugleichen, zum anderen durch Erklärungen, die es dem Zuschauer erlauben, der Handlung zu folgen.
Die trockene Materie vermitteln vier Personen aus dem wahren Leben: Die Schauspielerin Margot Robbie erklärt, was Subprimes sind, der weltberühmte Chefkoch Anthony Bourdain erklärt CDOs (Collaterized Debt Obligations), der Ökonom Richard Thaler und die Sängerin Selena Gomez erklären synthetische CDOs.
Richard Thaler und Selena Gomez erklären synthetische CDOs.
Aber warum eigentlich? Bis auf Thaler sind diese Personen nicht gerade als Experten in der Finanzbranche bekannt. Man könnte meinen, Anthony Bourdain hat zumindest Grundkenntnisse in Ökonomie, weil er weiß, wie er nicht verkauften Fisch in seiner Küche verwendet. Aber Margot Robbie ist eine absurde Wahl, eher ein Gag als erst gemeint. Denn wenn die attraktive Schauspielerin „Subprimes“ im Schaumbad erläutert, dürfte es einigen Zuschauern sicher schwer fallen, ihren Ausführungen zu folgen.
The Big Short versucht es den Zuschauern so einfach wie möglich zu machen, abstrakte Begriffe und komplexe Zusammenhänge zu begreifen. Dabei greift der Film auf echte Menschen zurück, die die Zuschauer kennen (könnten) oder die zumindest authentisch wirken, weil sie keine Schauspieler sind (wie Bourdain oder Thaler). Sie dienen als Testimonials für den Film, sie verkaufen dem Zuschauer die Fiktion, indem sie sie mit „harten Fakten“ anreichern und glaubwürdiger machen, bis die Zuschauer den Film für die „true story“ halten, die zu Beginn nur als Grundlage eingeführt wurde.
The Big Short: Based on a true story.
Dieser Hang zur Offenheit findet sich auch in den Figuren: Michael Burry (gespielt von Christian Bale) erzählt im Vorstellungsgespräch von sich, wie er als Kind ein Auge verlor und dass er sich wegen seines Glasauges alleine wohler fühle. Er erzählt das, weil seine Frau ihm geraten habe, mehr von sich zu preiszugeben. Auch Mark Baum (Steve Carell) spricht sonst sehr frei aus, was er denkt, will aber in der Gruppentherapie nicht von seinem Bruder erzählen, der Suizid begangen hat. Und auch Marks Kollege Vinny Daniel, der seinen Vater durch ein Gewaltverbrechen verloren hat, will nicht darüber reden: „I don’t talk about it“, sagt er in die Kamera. Für die Zuschauer ist auch der verschlossenste Charakter offen genug, zumindest das zuzugeben.
Die Strategie dahinter dient zum einen dem Zweck eines jeden guten Drehbuchs: Charaktere bekommen Tiefe, die Handlung wird glaubwürdig, das Publikum nimmt Anteil. Aber hier hat die Strategie noch einen Nebeneffekt: Das Wahre an der Geschichte (die Finanzkrise) hat nämlich den Nachteil, dass die Zuschauer wissen, wie die Geschichte ausgeht. Die Story spoilert sich sozusagen selbst. Weil die Zuschauer zwar die Finanzkrise kennen, aber die Charaktere, verfolgen sie die Handlung mit Interesse: Sie wollen wissen wollen, was mit den Figuren passiert.
Zwischendrin werden die Zuschauer mit einigen flotten Sprüchen, Situationskomik und unterhaltsamen Erklärungen bei Laune gehalten. The Big Short ist, obwohl er nur von Männern handelt, die viel reden, auch optisch ein sehr abwechslungsreicher Film mit vielen schnellen Schnitten und einer dynamischen Handkamera. So schafft es Adam McKay, ein so trockenes und komplexes Thema wie die Finanzkrise als spannende Geschichte zu erzählen. Den letzten Zweiflern hilft nur der Hinweis im Abspann: Wer die wahre Geschichte wissen will, muss das Buch von Michael Lewis lesen, auf dem der Film basiert.
In Adam McKays nächstem Film, Vice (2018), heißt es souveräner: „The following is a true story.“ Doch dann kommt die Einschränkung: „Or as true as it can be given that Dick Cheney is one of the most secretive leaders in history. But we did our fucking best.“
Die tapferen Polizisten von Centervillle (Bild: Focus Features)
Jedes Genre hat seine Zeit. Eine ganze Weile waren Vampire in Mode, zeitgleich mit den Zombies. Aber nach neun Staffeln The Walking Dead und fünf Staffeln Fear the Walking Dead, dazu unzähligen anderen Serien und Spielfilmen wirkt das Genre ziemlich am Ende. Aber wie schon bei Only Lovers Left Alive am Ende der Vampir-Blütezeit kam, ist auch mit dem Zombies erst alles gesagt, wenn Jim Jarmusch seinen Beitrag dazu geleistet hat.
Jetzt also The Dead Don’t Die. Auf den ersten Blick ist alles klassisch: Eine Kleinstadt-Kulisse, die Toten knabbern die Lebenden an und die Lebenden werden zu Zombies. Hemmungen müssen fallen, damit Köpfe abgetrennt werden können. Doch dann ist vieles ganz anders, als man es kennt: Die Zombies sehnen sich nicht nur nach Menschenfleisch, sondern auch nach dem, was sie als Lebende mochten, zurück, wie Kaffee und YouTue. Die Helden sind drei gutmütige Polizisten (Bill Murray, Adam Driver, Chloe Sevigny), die schon beim Anblick von Leichen überfordert sind, aber genauso sehen wir vielen anderen Bürgern beim Kämpfen zu: Tilda Swinton spielt eine Bestatterin, die sich als ebenso kompetent mit Schminke wie mit dem Samurai-Schwert erweist, aber einer wie der Tankstelleninhaber und Dorfnerd Bobby kann sich auch dank bester Zombie-Film-Kenntnisse nicht retten.
Das ganze mischt Jarmusch mit Umwelt- und Sozialkritik: Die Zombies stehen auf durch Fracking an den Polkappen, das das Magnetfeld der Erde durcheinander bringt, Steve Buscemi spielt einen fiesen Farmer, der laut der Aufschrift seiner Mütze, Amerika wieder weißer machen möchte, aber dann doch Konversation mit einem schwarzen Mitbürger (Danny Glover) hält und sich gegen politisch inkorrekte Zweideutigkeiten absichert, nachdem er sagt, der Kaffee sei ihm zu schwarz. Der Einzige, der heil aus der Sache rauskommt, ist einer, der sich von Anfang an von allem fernhält: Einsiedler-Bob (Tom Waits). Wer naturverbunden lebt und sich vor Menschen und Konsum hütet, der ist auch vor den Ausgeburten des Unheils sicher.
Jim Jarmusch hat bereits in seinem Vampirfilm Only Lovers Left Alive sozialkritische Statements eingestreut, als er die Vampire im geisterhaft leeren Detroit residieren und weitgehend unmodern leben ließ. Hier aber fügt er noch einige Gags auf Meta-Ebene hinzu: Adam Driver erkennt den Sturgill-Simpson-Song „The Dead Dont’t Die“ als Titelmelodie des Films, außerdem weiß er, dass alles böse enden wird, weil er das ganze Drehbuch gelesen hat. Überhaupt weiß er gut über Zombies Bescheid und nebenbei trägt er einen kleinen Sternenzerstörer aus Star Wars als Schlüsselanhänger – eine Anspielung auf seine Schurkenrolle als Kylo Ren in dem Franchise. Doch Jarmusch macht aus all dem nicht mehr, es bleiben bloß Anlässe für Gags.
Bei all dem, was typisch für Jarmusch ist, die lakonischen Dialoge und die Situationskomik, gelingt es ihm nicht, aus all dem ein stimmiges Ganzes zu fügen. Der Film hat mehr Action und Figuren als andere Jarmusch-Werke, er steckt voller direkter und verstecker Referenzen, aber mittendrin gehen ihm die eigenen Ideen aus und es läuft auf ein typisches Gemetzel-Finale hinaus, bei dem auch die Ironie in Albernheit umschlägt, aber viele Neben-Erzählstränge nicht aufgelöst werden.
Damit fügt Jarmusch anders als mit seinem Vampirfilm dem Zombie-Genre keinen substanziellen Beitrag hinzu, sodass am Ende nur die Erkenntnis bleibt: Was tot ist, sollte man lieber ruhen lassen, wenn man es nicht wirklich wiederbeleben kann.
Die X-Men-Saga ist zu Ende. Wenigstens vorläufig. Wenigstens die Prequels. Und das ist ebenso gut wie schade. Was 2011 ambitioniert mit Erste Entscheidung (First Class) begann und einer bisher unterbelichteten Figur wie Raven endlich Leben einhauchte, hat Bryan Singer 2014 mit Zukunft ist Vergangenheit (Days of Future Past) noch gesteigert zum wahrscheinlich besten Film der Reihe. Beide Filme setzten nicht nur neue Akzente, sondern verankerten die X-Men glaubhaft in den jeweiligen Epochen, den 60ern und 70ern, der Zeit ihrer Ursprünge.
Leider machte Bryan Singer mit dem dritten Teil, Apocalypse, alles wieder zunichte, indem er versuchte, ein einfallsloses Drehbuch und einen faden, austauschbaren Schurken mit einer ermüdenden Materialschlacht zu kompensieren. Es konnte nur noch besser werden. Aber Autor Simon Kinberg, der sich im vierten Teil, X-Men: Dark Phoenix, auch als Regisseur versucht, hat es geschafft, das Franchise völlig an die Wand zu fahren.
Es ist ihm gelungen, einen Film ohne eine einzige gute Idee zu drehen. Weder inhaltlich noch formal bietet dieser Abschluss etwas Neues. Stattdessen ergehen sich die Hauptfiguren in endlosen Dialogen, in denen immer nur dasselbe mit anderen (und gleichen) Worten gesagt wird. Die wenigen Action-Szenen (eigentlich gibt es nur zwei richtige, am Anfang und am Ende) ergeht sich in Routinen, bei denen nie wirklich Spannung aufkommt.
ACHTUNG: SPOILER!!!
Worum es geht, bleibt Nebensache: Jean Grey absorbiert im All eine mysteriöse Macht, wird danach übermächtig und verbittert, tötet Raven im Affekt, will sich Magneto anschließen, der sich aus dem Rachegeschäft zurückgezogen hat, doch dann will er sich doch an ihr für Raven rächen, während die anderen sie retten wollen. Ach ja, und Formwandler-Aliens sind auch dabei: Angeführt von Jessica Chastain suchen sie Jean, um an ihre Macht zu kommen und die Welt zu vernichten.
Ravens Tod wird für einen Überraschungsmoment verschenkt. Nachdem die Figur in drei Teilen eine Hauptrolle spielte, tritt sie nun viel zu sang- und klanglos ab. Die Schurken sind genauso generisch und austauschbar wie einst Apocalypse. Und sonst interessiert sich Kinberg für keinen seiner X-Men und -Women wirklich. Zwar muss sich Charles Xavier viel Kritik anhören, aber der Konflikt wird nicht wirklich aufgelöst. Die Beziehungen unter den Figuren bleiben oberflächlich, selbst das Verhältnis der Antipoden Charles und Erik kommt nicht zu einem befriedigenden Abschluss. Es muss reichen, dass die beiden am Ende wieder Schach spielen. Ach ja, und die Tatsache, dass die Handlung 1992 angesiedelt ist, ist für die Geschichte völlig irrelevant. Die Epoche wird wie eine Pflichtübung abgehakt, um die letzte Lücke zu den ersten X-Men-Filmen der Nuller Jahe zu spannen – auch wenn die Kontinuität schon längst gebrochen wurde.
Hinzu kommt, dass Kinbergs Drehbuch völlig ohne Humor auskommt, selbst die wenigen Sprüche, die wohl witzig sein sollen, bleiben erschreckend pointenlos und erinnern damit an Kinbergs wahrscheinlich uninspiriertestes Werk, den jüngsten Fantastic Four-Film. Ein vergleichbares Gefühl der Leere stellt sich ein, während man sich zwei Stunden lang etwas ansieht, das man schon zu oft gesehen hat – und zwar deutlich besser.
Es stellt sich die Frage: Warum stecken Studios immer noch viel Geld in solche Produktionen ohne Sinn und Herz? Fox hat mit seinem X-Men-Franchise im Jahr 2000 Maßstäbe gesetzt, mit Wolverine einiges verbockt, hat ein Jahrzehnt später vieles wieder richtig gemacht, mit Deadpool Mut bewiesen (und einen Fehler korrigiert) und mit Logan sogar ein Meisterwerk des Superheldenfilms geschaffen (und damit zwei miese Wolverine-Filme wiedergutgemacht). Für eine Reihe, die so viel Potenzial hatte, ist das ein unwürdiger Abschluss. Und kaum sind die X-Men erledigt, sind schon für nächstes Jahr die New Mutants angekündigt, ein Film der sich wegen Nachdrehs verzögert, was bereits kein gutes Vorzeichen ist.
Angesichts der Maßstäbe, die die Marvel Studios mit dem Cinematic Universe gesetzt haben (wie zuletzt mit Avengers: Endgame) und der schieren Flut an Superheldenfilmen können mittelmäßige bis miese Produktionen nicht mehr bestehen. Das Publikum ist übersättigt – und es wird Machwerke ignorieren. Hoffentlich wird nach Disneys Fox-Übernahme ein neuer Kurs eingeschlagen. Wobei schon viel gewonnen wäre, wenn man die Mutanten für einige Jahre ruhen ließe.
SPOILER-WARNUNG: Die nachfolgende Besprechung verrät die Handlung von Avengers Endgame!
Es ist vollbracht. Mit Avengers Endgame hat Marvel eine lange Reise vorläufig beendet. 22 Filme umfasst das Marvel Cinematic Universe, dazu eine Reihe von TV-Serien. Es ist damit das erfolgreichste Franchise der Filmgeschichte. Doch es ist viel mehr als nur eine Formel zum Gelddrucken: Die Marvel-Studios haben in elf Jahren gezeigt, dass es möglich ist, das Prinzip der unendlichen Geschichte von Superheldencomics auf die Leinwand zu bringen.
Jeder Avengers-Film war ein Meilenstein. Jeder zeigte, dass es sich lohnt, ein Universum von langer Hand zu planen, langsam aufzubauen, jeder Figur eigene Filme zu widmen, bevor man es wagt, sie zu einem Team zusammenzubringen. Regisseur und Autor Joss Whedon stellte 2012 mit The Avengers unter Beweis, dass es sogar möglich war, lauter Schwergewichte sehr leichtfüßig wirken zu lassen, ohne ins Banale oder Lächerliche abzudriften, wie schon einige Superheldenfilme davor. Avengers: Age of Ultron wurde zu einem nachdenklicheren und düsteren Film, mit dem der Ernst Einzug hielt. Der Blick wurde geweitet auf die Welt und die zivilen Opfer, aus der Angst der Helden heraus entstand die Paranoia und der Wille, präventiv die Gefahren zu bekämpfen, was in eine weitere Katastrophe mündete.
In Captain America: Civil War, der inoffizielle „Avengers 2,5“, wurden die Helden selbst angezweifelt. Sie wurden für ihr Versagen verantwortlich gemacht und sollten sich politischer Kontrolle unterwerfen. Die Gruppe zerfiel in zwei Lager, die einander bekämpften. Es ging nicht mehr um außeridische Invasoren oder eine Armee feindseliger Roboter, sondern es wurde persönlich.
Filme für Fans
Mit jedem Avengers-Film wurde die Story nicht nur auf eine andere Ebene gehoben, sondern auch zunehmend komplexer und voraussetzungsreicher. Stets war es wichtig, alle anderen Filme aus dem Universum zu kennen, um noch mitzukommen. Infinity War war ohne das Wissen um die vielen Vorgeschichten und die Jagd nach den Infinity-Steinen nicht zu verstehen. Und erst recht ist Endgame zu einem Film für Fans geworden, die Marvel seit dem Beginn mit Iron Man im Jahr 2008 die Treue gehalten haben.
Der Film setzt nicht nur viel voraus, er kehrt auch zu seinen Anfängen zurück und rekapituliert vergangene Episoden, so auch verschmähte Filme wie Thor: The Dark World (bzw. The Dark Kingdom). Dank einer Zeitreise besuchen die verbliebenen Avengers die Szenarien, in denen sie die Steine wiederbeschaffen können. Wie bei Zurück in die Zukunft sehen wir die Helden auf ihre alten Versionen treffen. Dabei werden auch Fans nostalgisch. Die Suche nach den Steinen gerät zur Nebensache. Die Helden müssen sich mehr ihrer Vergangenheit stellen, als ausgeklügelte Pläne umzusetzen.
Helden in Sinnkrisen
Statt Action stehen Charaktere im Vordergrund, was ohnehin schon immer die größte Stärke des Universums war: Menschen, für die man sich interessiert. Thanos‘ Genozid wird dabei zum Anlass für interessante Wandlungen und Sinnkrisen: Tony Stark gründet eine Familie, Thor wird zum Wrack, einem übergewichtigen Säufer, Bruce Banner lernt, den Hulk mit seinem Verstand zu versöhnen, Hawkeye wird nach dem Verlust seiner Familie zum brutalen Rächer.
Endgame ist damit – wenigstens in der ersten Hälfte – der ruhigste aller Marvel-Filme. Angesichts immer größerer Krawall-Schlachten im Kino ist das wohltuend. Den großen Kampf aller gegen alle spart man sich fürs Ende auf, jedoch ohne die Zuschauer mit Reizüberflutung oder Langatmigkeit zu überfordern. Stattdessen überrascht man mit Fanservice: Captain America schwingt Thors Hammer.
Die Zukunft gehört den Frauen
Endgame ist auch der emotionalste Film: Thor sieht Jane und seine tote Mutter wieder. Tony Stark trifft seinen Vater und versöhnt sich mit ihm. Schließlich findet Captain America zu seiner alten Flamme Margaret Carter zurück. Endgame ist ein Abschiedsfilm, aber auch ein Neuanfang. Der gealterte Steve Rogers übergibt seinen Schild an Sam Wilson, der zum neuen Captain America wird, Thor übergibt Asgard an Valkyrie, Tony Stark stirbt und Pepper Potts wird zur Iron Woman. Während der Endschlacht wird überdeutlich, dass die Zukunft von Marvel den Frauen gehört.
Captain Marvel dürfte dabei eine Vorreiterrolle zukommen. Leider ist sie in Endgame mehr eine Funktion als ein Charakter. Am Anfang und Ende jeweils darf sie Deus Ex Machina spielen und dazwischen bekommt sie einen neuen Haarschnitt – mehr sieht man von ihr nicht. Dafür, dass sie groß angekündigt wurde und kurz zuvor noch einen eigenen Film bekam, ist das etwas dürftig.
Aber bei so viel Story und so vielen Charakteren können auch drei Stunden Laufzeit nicht ändern, dass manche Aspekte zu kurz kommen. Die Liebe zwischen Bruce Banner und Natasha Romanoff scheint längst vergessen, stattdessen wird die Freundschaft zwischen ihr und Clint Barton auf die Probe gestellt.
Komplexität zahlt sich aus
Trotz seiner Schwächen ist Avengers Endgame ein würdiges Finale mit vielen Höhepunkten, überraschenden Wendungen und Lachern. So kurzweilig vergehen drei Kino-Stunden selten. Und angesichts der Bedeutung dieses Films ist zu bewundern, was die Autoren, Regisseure und vor allem Produzent Kevin Feige bis hierhin erreicht haben. Das Marvel Cinematic Universe ist eine wunderbar funktionierende, weitverzweigte Comic-Welt im Film. Die Komplexität hat nicht geschadet, im Gegenteil: ein breites Publikum lässt sich darauf ein und verfolgt mit Spannung jeden neuen Film, um zu erfahren, wie die große Geschichte weitergeht. Endgame stellt eine Zäsur da. Die „Infinity Saga“ ist beendet. Eine runde Sache. Was danach kommt, wird etwas anderes mit vielen neuen Gesichtern sein.
Nach Spider-Man: Far From Home (Juli 2019) werden Doctor Strange, Black Panther, Captain Marvel und Guardians of the Galaxy fortgesetzt, Black Widow bekommt ihren eigenen Film, mit The Eternals wird eine neue Superheldengruppe eingeführt. Auch Ant-Man könnte noch mit einem dritten Film gewürdigt werden und sicher sind neue Versionen von Thor, Iron Man und Captain America zu erwarten. Angekündigt sind auch TV-Serien mit Loki, Hawkeye, The Falcon and the Winter Soldier sowie WandaVision (Scarlet Witch und Vision) sind für den neuen Streamingservice Disney+.
Die Maschine läuft weiter. Wie von selbst. Aber man füttert sie gerne. Man darf sich darauf freuen. Das Problem ist nur, dass man nach 22 Filmen schon sehr viel gesehen hat und die Maßstäbe für alles Weitere sehr hoch gesetzt sind. Es wird immer schwieriger, zu überraschen. Aber wenn Marvel eins gezeigt hat, dann das: Was in den Comics funktioniert, kann auch im Kino und Fernsehen klappen.
Arte widmet Alan Moore eine achtteilige Webserie: „Beim Barte des Propheten„. In acht kurzen Videos äußert sich der Autor zu der Verwendung der „V wie Vendetta“-Maske durch die Hacktivisten Anonymous, zum Brexit und seiner Heimatstadt Northampton. Dabei distanziert er sich noch einmal von der Verfilmung seines Comics.
Im zweiten Teil gibt er sich kulturkritisch: „Wir brauchen eine Gegenkultur, damit unsere normale Kultur nicht stagniert oder ausstirbt“, sagt er. Diese habe es in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben. Besonders skeptisch äußert er sich über die Konjunktur von Comic-Verfilmungen: „Die derzeitige Flut amerikanischer Superheldenfilme tut unserer Kultur ganz und gar nicht gut“, sagt er. Superheldenfilme richteten die Kultur zugrunde. Sie stünden für eine Flucht in eine Fantasiewelt von Macht und Stärke, ihr Erfolg sei Zeichen unserer Infantilisierung, der Weigerung, erwachsen zu werden, das schade der Kultur und der menschlichen Vorstellungskraft. Außerdem zeige sich darin der Traum einer vermeintlich überlegenen weißen Herrenrasse.
Bemerkenswert daran ist, dass Alan Moore mit seinem Werk selbst zum Superhelden-Hype beigetragen hat, auch wenn er in seinen Comics wie Watchmendurchaus kritisch mit dem Sujet umgegangen ist.
Erinnert sich noch jemand an den Prolog von Star Trek? Klar, er wird ja ständig wiederholt, wenn auch mittlerweile als Epilog der Serie. Aber wann hat jemand zuletzt über seine Bedeutung nachgedacht? Egal, ob dort der Weltraum „the final frontier“ genannt wird oder von „unendliche Weiten“ die Rede ist: Die Reise der Enterprise geht stets dahin, wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist („where no one has gone before“). Fremde neue Welten, neues Leben, neue Zivilisationen – das sollte Programm sein. Eigentlich.
(ACHTUNG SPOILER!!!)
Nachdem die ersten beiden Filme des Reboots stets Erde und die Föderation im Mittelpunkt standen, soll es nun also „Beyond“ gehen, darüber hinaus. Und so sehen wir endlich, im dritten Teil der Reihe, die Enterprise zwar durchs weite Weltall tingeln. In einem starken Monolog macht Captain Kirk deutlich, welche Entbehrungen damit verbunden sind. Aber leider sind von den fünf Jahren Mission bereits drei rum, ohne dass wir etwas davon gesehen hätten. Das Neue besteht in einem Schauwert: einer gigantomanische Raumstation, eine wahnwitzig konstruierte Megalopolis in Form einer Schneekugel – aber das war’s auch schon. Denn was folgt, kommt einem zu bekannt vor. Statt neue Welten und Zivilisationen zu erkunden, geht die Reise bloß zu einem Planeten, der der Erde sehr ähnlich sieht (wenigstens der Wald), und der Schurke entpuppt sich am Ende als ehemaliges Föderationsmitglied. Schon wieder.
Immer die alte Leier: Rache
Wie schon Khan vor ihm (und vor ihm der Romulaner Nero, und vor ihm Shinzon usw.) hegt er Rachegelüste auf die Föderation. Und er ist nicht einmal das reptilienhafte Wesen, als das er zunächst erscheint, sondern bloß ein Mensch, der zusammen mit der Lebenskraft auch das Äußere anderer Wesen annimmt. Das Fremde ist doch immer wieder das Vertraute. Und wieder endet es mit einem Finale, bei dem der Feind auf eine Stadt zusteuert, um sie zu vernichten …
Wieder wird eine Enterprise geschrottet – wie schon in Star Trek III, VII und zum Teil auch Star Trek X (in VIII wird eine Selbstzerstörungssequenz gestartet, aber wieder abgebrochen). Damit reiht sich der Film in die Tradition ein, aber die Haltbarkeitsdauer von Raumschiffen sinkt rapide. Ein Zugeständnis an den Zeitgeist der Wegwerfgesellschaft? Vielleicht. Oder auch einfach ein Trend zur Zerstörungswut in Blockbustern. Das Dumme ist nur: der Effekt verbraucht sich. Zum Trost sehen wir am Ende von Beyond eine neue Enterprise im Zeitraffer entstehen. (Was eigentlich nur ein billiger Trick ist, um die Vernichtung zu annullieren.)
Harmonie auf der Enterprise
Selbstverständlich lebt ein Science Fiction-Film wie Star Trek nicht vom Plot allein. Und so bekommen die Fans genug Weltall-Soap geboten: Kirk und Spock, Spock und Pille, Uhura und Spock – was sich liebt, das neckt sich. Nur überwiegen hier eher die Liebesbekenntnisse, die Seitenhiebe teilt man nur noch der Tradition wegen aus, und sei es um ein paar Lacher einzustreuen. Leider bleiben dabei aber die Charaktere Sulu und Chekov unterrepräsentiert, was besonders traurig stimmt, wenn man bedenkt, dass Chekov-Darsteller Anton Yelchin vor kurzem gestorben ist.
Im Weltall nix Neues? Wie schade. Dabei gäbe es in den unendlichen Weiten des Weltalls auch unendliche Geschichten zu erzählen. Stattdessen bringen die Star Trek-Macher immer wieder das Gleiche. Diese Angst vor dem Neuen, das auch Risiko bedeutet, konnte man zuletzt auch bei Star Wars beobachten, der erschreckend nah an seinen Vorlagen klebte, obwohl er genug Energie hatte, etwas Neues zu erzählen. Man muss sich daher fragen, was dieses „Beyond“ im Titel soll: Jenseits von was?
Mehr Pioniergeist bitte!
Was bleibt, ist das Spektakel. Überwältigende und überfordernde Wimmelbilder, rasante Action. Was fehlt, ist das, was Star Trek schon immer ausgemacht hat: Der Pioniergeist, der Forscherdrang, das Streben nach Wissen sowie moralische und philosophische Fragen. Zugegeben: Die Filme blieben meistens hinter diesen Tugenden der Serien zurück. Schon immer standen die Crew, alte Fehden, offene Rechnungen und Föderationsprobleme im Mittelpunkt, bekannte Spezies wie Klingonen, Romulaner und Borg dominierten. Aber vielleicht wäre es deshalb an der Zeit, diese Kinotradition zu brechen. Es ist genug Elan in dieser neuen Crew, das man sie auch mal in neue Gefilde steuern lassen könnte. Das würde auch wieder mehr Konflikte in diese all zu harmonische Familie bringen.
Bislang fehlt eine Fernsehserie, die diese Bedürfnisse der Trekkies befriedigen könnte. Nächstes Jahr soll sie kommen – aber ohne die bekannte Crew um Kirk. Aber damit allein kann es nicht getan sein. Denn es ist das Kino, das das Außerordentliche auf die große Leinwand bringen sollte. Daher wäre zu wünschen, dass die Macher der Star Trek-Filme endlich ihren Mut aufbringen, einmal über die Grenzen ihres Erfahrungshorizontes hinauszugehen. Denn um nichts anderes geht es in den Geschichten von Star Trek.
Maple Street – eine ganz normale Straße. Nicht nur in der Twilight Zone.
Es soll Leute geben, die haben keinen Fernseher – und sind auch noch stolz drauf. Wozu braucht man auch so ein Ding, wenn es Internet gibt? Einschalten lohnt sich ohnehin meist nicht. Es sei denn, man will sich informieren – aber das Fenster in die Welt zeigt hässliche Dinge: In den USA erschießen Polizisten Zivilisten wegen ihrer Hautfarbe. Zivilisten schießen zurück. Einige Wochen zuvor erschoss ein Mann einige Menschen wegen ihrer Sexualität. Und in Deutschland werden Menschen angegriffen wegen ihrer Herkunft. Ganz zu schweigen vom Rest der Welt.
Manchmal aber lohnt sich der Blick in die Glotze. Nicht, um dem Grauen zu entgehen, sondern um ihm auf ungeahnte Weise zu begegnen und den Blick für die Ursachen zu schärfen. In der Urzeit des Fernsehens gab es eine Serie mit dem Namen The Twilight Zone (1959-1964). Der erste deutsche Titel lautete „Unwahrscheinliche Geschichten“, und tatsächlich erzählen die meist 20-minütigen Episoden allerhand Kurioses, mit dem sich die Wahrscheinlichkeitskrämer dieser Welt, die Realisten, nicht abgeben müssen, weil es scheinbar nichts mit ihnen zu tun hat.
Twilight Zone
Es gibt aber eine Ausnahme. Eine dieser Episoden passt damals wie heute, weil sie nicht vom Fantastischen, sondern der harten Realität handelt: The Monsters Are Due On Maple Street (S01E22, dt. Die Monster der Maple Street). In dieser Episode gibt es fast nichts Übernatürliches, jedenfalls nichts von Belang. Es sind die Menschen, die zu Monstern werden. Die Handlung spielt in einer klassischen Vorstadt-Idylle der USA. Eines Abends sehen die Menschen ein ungewöhnliches Licht am Himmel flackern – und plötzlich gehen bei ihnen die Lichter aus. Kein Strom mehr, nicht einmal Autos funktionieren. Außer bei einem. Sein Auto springt plötzlich von selbst an. Dass es kurz darauf wieder aufhört, spielt keine Rolle. Denn die Nachbarn sind skeptisch geworden.
Ein Junge hat ihnen von seinen Comicgeschichten erzählt, in denen Alien-Invasionen immer damit beginnen, dass der Strom ausfällt, um die Menschen verwundbar zu machen. Obwohl die Geschichten des Jungen Fiktion sind und die Menschen das wissen, nehmen sie sie wörtlich und suchen die Realität nach Gemeinsamkeiten ab. Also ist der Nachbar, dessen Auto plötzlich läuft, ein potenzielles Alien, das sich in Menschengestalt unter ihnen versteckt hält. Den Bewohnern der Maple Street fallen dann einige Seltsamkeiten an ihm auf, etwa dass er nachts in die Sterne sieht. Der Mann beteuert, bloß an Schlaflosigkeit zu leiden, doch der Mob hat Blut geleckt.
Auch in der Maple Street hängen Waffen griffbereit.
Die Hexenjagd verlagert sich auf andere, die Menschen werden paranoid, bis einer, bei dem die Schrotflinte sehr locker sitzt, einen Unschuldigen erschießt. Daraufhin gehen bei ihm zu Hause die Lichter an. Der Mörder wird zum Sündenbock, jemand wirft den ersten Stein und die ganze Stadt bricht in Chaos aus.
Am Ende stellt sich heraus, dass doch Außerirdische für den Vorfall verantwortlich sind. Mit einem simplen Mittel wie einem Stromausfall hetzen sie die Menschen gegeneinander auf, damit sie sich gegenseitig ausschalten. Die Welt, so sagen sie zynisch, sei voller Maple Streets – und so ziehen sie von einer zur anderem, um überall gleich vorzugehen.
„There are weapons that are simply thoughts, attitudes, prejudices – to be found only in the minds of men“, resümiert der Erzähler Rod Serling in seinem Epilog. „For the record, prejudices can kill – and suspicion can destroy – and a thoughtless frightened search for a scapegoat has a fallout all of its own – for the children – and the children yet unborn.“ So etwas gebe es nicht nur in der Twilight Zone. Man kann auch sagen: Solche Dinge gibt es nicht nur im Fernsehen.
Weiter zur nächsten Maple Street.
Die Folge erschien im Jahr 1960, einige Jahre nach dem Ende der Kommunistenhetze der McCarthy-Ära, einige Jahre vor dem Ende der Rassentrennung. 56 Jahre später scheint sich in Sachen Vernunft nicht viel getan zu haben. Die Evolution schleicht. Und beim Menschen macht sie immer wieder einen Sprung zurück. Man sollte diese Parabel auf die Menschheit jedem Schulkind zeigen. Vielleicht wäre das ein erster Ansatz, den Einfältigen endlich Vernunft einzuhämmern.
Manchmal sollte man das Fernsehen nicht zu früh abschreiben.
Wenn die Lichter ausgehen.
>> Die Episode findet sich auf der DVD der ersten Staffel von Twilight Zone.
Papier ist was für Pussies. Die wahren coolen Typen, die Genies und Macher, schreiben dahin, wo es alle sehen können: an Fensterscheiben. So verliert der Autor auch nie den nötigen Aus- und Weitblick. Hier die mathematische Gleichung, dort die Welt, die sie verändern wird. Alternativ kann man auch Spiegel benutzen. So behält man beim Schreiben auch das Wichtigste im Auge.
Matt Damon in Good Will Hunting
Allerdings sollte man sich bei Fenstern vorher gut überlegen, ob gegenüber jemand mit einem Teleobjektiv sitzen könnte. So vermeidet man später Ärger beim Patentamt. (Facebook hat da nochmal Glück gehabt.)
Andrew Garfield in The Social Network
Der wahre Zweck solcher Aktionen ist natürlich nur einer: Mädels beeindrucken. Grips macht bekanntlich sexy. (Dabei kann es auch helfen, wie Ben Affleck auszusehen.)
Über einen Film, in dem David Bowies Musik die Hauptrolle spielt.
Touchstone Pictures
Steve Zissou, der alte Mann mit dem weißen Vollbart und der roten Strickmütze, steht vor einem jungen Mann in Postboten-Uniform. „Du bist angeblich mein Sohn, nicht wahr?“, fragt Zissou. „Das weiß ich nicht. Doch ich wollte Sie kennenlernen. Für alle Fälle.“ – „Das ist nett von dir.“ – „Ich bin gleich wieder da. Nicht weggehen.“ Sogleich verschwindet der Alte, läuft über das Deck seines Schiffes bis an den Ausguck am Bug und zündet sich eine Zigarette an. Als er seinen ersten tiefen Zug genommen hat, wird die Zeit für einen Moment gedehnt. Und noch während er läuft, wird der Song lauter, dessen Vorgeklimper bereits zuvor zu hören war: David Bowies „Life on Mars?“ Eine dramatische Ballade, getragen von einem Klavier und Streichern, ein Song, der sich theatralisch steigert bis zu einem pathetischen Ausbruch. Für den plötzlich Vater gewordenen Zissou ein Spiegel seiner Gefühle, die er gerade mit einer Kippe zu beruhigen versucht.
In Wes Andersons Film Die Tiefseetaucher (The Life Aquatic with Steve Zissou, 2004) ist Bowies Musik gefühlt allgegenwärtig. Gespielt wird sie nur zweimal von ihm selbst aus dem Off (das zweite Stück ist „Queen Bitch“), sonst interpretiert sie der brasilianische Sänger Seu Jorge auf einer Akustikgitarre, wobei er die Songs auf portugiesich singt. In mehreren Szenen sieht man ihn bloß auf dem Schiff sitzen, spielen und singen, so selbstvergessen, dass er selbst die Piraten nicht kommen sieht. Seine einzige Pflicht an Bord scheint ohnehin zu sein, für die musikalische Untermalung zu sorgen.
Es sind die Songs aus Bowies frühester Glanzzeit der 70er Jahre: Von „Space Oddity“ über „Ziggy Stardust“ bis „Rebel, Rebel“, im Abspann „Queen Bitch“. Jorge spielt sie einfühlsam, geradezu zerbrechlich. Oft zeigt sich erst in solchen Unplugged-Versionen, bar jeglicher Produktionsmätzchen, wie gut das Songwriting ist. Jorge lässt sie glänzen Aber wohl am überraschendsten, wenn er aus der straighten Rocknummer „Rebel, Rebel“ eine lässige Ballade macht – und mit dem Wellenrauschen im Hintergrund wird daraus ein Strandsong für Sonnenuntergänge. Selbst David Bowie soll von Seu Jorges Interpretationen begeistert gewesen sein.
Was haben aber die Songs mit dem Film zu tun? Warum gerade so viel Bowie? Die absurde Tragikomödie Die Tiefseetaucher – man könnte auch titeln „Der alte Murray und das Meer“ oder „Kapitän Ahab alias Zissou jagt den Jaguar-Hai“ – handelt von einem Laien-Meeresforschern, das Dokumentarfilme dreht (wie einst Jacques Cousteau), deren beste Jahre längst hinter ihnen liegen. Steve Zissou und sein Team sind in den 70ern hängen geblieben, die übrige Musik (The Stooges, Devo) stammt aus dieser Epoche oder gar aus früherer Zeit. Bei Wes Anderson ist Nostalgie ein Grundmotiv, Retro ist ein wichtiges Merkmal seines Stils. Da bietet David Bowie sich als Hauptvertreter der 70er natürlich an. Sie waren auch seine beste Phase, oder besser gesagt: mehrere Phasen. Doch im Gegensatz zu Zissou ist Bowie nie auf der Höhe stehengeblieben.
Auf dem Soundtrack sind fünf Bowie-Cover enthalten, auf einer weiteren CD (The Life Aquatic Studio Sessions) sind 13, davon acht, die nicht auf dem Soundtrack zu hören sind. Eine bessere Hommage ist schwer vorstellbar.