Frankfurter Fragmente

Frankfurter Fragmente #13: Ausverkauf

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Ein Großteil des Römerbergs ist nicht mehr begehbar, weil dort lauter grüne Männchen stehen, festgemacht an einem Geflecht aus dünnen Holzbrettern, damit sie niemand klaut. Die Männchen, nicht die Bretter, natürlich. Denn die Schreitenden, die den Berliner Ampelmännchen sehr ähnlich sind, haben die Eigenschaft, das Weite zu suchen, auch wenn in diesem Fall das Wort Fluchthilfe angebrachter wäre. Die grünen Dinger heißen Einheitsmännchen, stammen von dem Künstler Ottmar Hörl, und wurden extra auf Bestellung der Landesregierung zur Einheitsfeier im Oktober angefertigt. Es gibt auch schwarze, rote und gelbe, deutsche Farben. Damit sind nicht bloß alle Ampelphasen, sondern auch alle großen Parteien repräsentiert. Ganz zu schweigen vom bunten Multikulti – auch wenn alle gleich aussehen: nämlich wie Ottmar Hörl persönlich.

Neben der Hörlschen Belagerung durch seine Einheitsmann-Armee befindet sich das Haupquartier in einem weißen Feldzelt. Dort kann der Kunstfreund ohne Geschmack einige Restposten erwerben, die der alte Ottmar bei seinen vergangenen Invasionsaktionen nicht loswerden konnte. Denn der Ottmar, der macht das schon seit Jahren so: Einmal eine Form machen, dann hundert- bis tausendfach in Plastik gießen lassen – zackfeddich: Kunstwerk. Das ist einfach sein Ding, das ist seine Masche, die läuft einfach zu gut, um damit aufzuhören. Mit allen großen Deutschen hat er das so gemacht: Von Karl dem Großen bis Goethe. Und auch mit dem hessischen und dem bayrischen Wappenlöwen (nur Experten erkennen einen Unterschied). Und auch mit anderen Tieren.

Hörls Resterampe gleicht einem Zoo: Einen Frosch gibt es schon für 20 Euro zu haben, für einen Dürerhasen muss man schon 50 Euro hinlegen. Außerdem gibt es Schlossratten und Hähne, Raben und Pinguine, Frischlinge, Teddybären und Erdmännchen, letztere sogar in pink, für schlappe 60 Euro. Nur für einen schwarzen Rottweiler muss man 400 Euro flüssig haben, dafür ist der aber auch riesengroß – und außerdem immer noch billiger als ein echter. Abgesehen davon macht er sich bestimmt gut vor dem Hauseingang – vorausgesetzt, man schraubt ihn gut am Boden fest. 400 Euro sind eigentlich so gut wie geschenkt, wenn man bedenkt, dass es sich um große Kunst handelt. Wer käme sonst auf so einen genialen Einfall, einen Rottweiler in schwarzem Plastik zu verewigen? Eigentlich nur Ottmar Hörl. Seltsam, dass er noch nicht auf die Idee gekommen ist, des Deutschen liebstes Tier zu gießen: das Brathähnchen.

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Wer seinen Garten etwas aufhörlen will, kann zu einem der vielen Gartenzwerge greifen (je 50 Euro). Sie präsentieren sich in klassisch-deutschen Formen: betend, mit Stinkefinger oder Hitlergruß. Dass von letzterem keine Probleme mit dem Verfassungsschutz zu erwarten sind, macht ein Zettel klar, der dem ironiefreien Käufer bescheinigt, wie das Kunstwerk zu verstehen sei. Jetzt ist es also voll in Ordnung, sich einen goldenen Hitler-Zwerg in den Garten zu stellen, zum Beispiel damit der Nachbar blöd guckt. Die Frage ist nur, ob es als Perfomance durchgeht, wenn man mit erhobener Rechten zurückgrüßt.

Die teuersten Stücke sind natürlich die Promis: Deutsche Geistesgrößen wie Goethe und Marx, deutsche Macher wie Karl der Große und Franz Josef Strauß und deutsche Antisemiten wie Luther und Wagner. Doch der Preisvergleich macht stutzig. Die meisten kosten 500 Euro, mehr als ein Rottweiler, aber warum ist Marx (natürlich in rot) bloß 350 Euro wert? Und vor allem: so viel wie Franz Josef Strauß (natürlich in schwarz)?! Was hat der feiste Bayer mit dem armen Vordenker zu tun? Der CSUler mit dem Autor des Kapitals? Man kann vom Kommunismus oder Sozialismus halten, was man will, aber der bärtige Denker hat wahrscheinlich mehr zum geistigen Fortschritt der Menschheit beigetragen als diese bayrische Weißwurst.

Nein, Ottmar, das geht gar nicht! Schon gar nicht außerhalb von Bayern. Aber vielleicht gehorcht Hörl auch nur den Gesetzen des Marktes von Angebot und Nachfrage, vielleicht sind Marx und Strauß auch bloß die größten Ladenhüter, selbst der Rottweiler ist wohl mehr gefragt. Ganz zu schweigen von den Antisemiten. Da dürften die Hitler-Zwerge und Einheitshörlchen weggehen wie warme Semmeln. Wenn auch nicht unbedingt für Geld. Darf man daraus Schlüsse auf Deutschland, 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, ziehen? Lieber nicht.

Frankfurter Fragmente #12: Labsaal

Der ästhetische Reiz des Verfallenen liegt wohl vor allem darin, dass es eine Geschichte mit sich trägt. Wer Ruinen besichtigt, wähnt sich als Zeitreisender, als ein Archäologe, der die Vergangenheit anhand der Relikte rekonstruiert. Man muss für eine solche Reise nicht zu antiken Stätten fahren, sogenannte Lost Places gibt es auch bei uns, mitten in der Stadt.

Der Labsaal war einst die erste Mensa auf dem Campus Bockenheim der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit Jahren ist sie geschlossen, das Gebäude wurde noch zum Teil für Seminare oder als Archiv genutzt. In einigen Jahren soll es abgerissen und durch einen Neubau für Büros und Wohnungen ersetzt werden. Doch zunächst soll es in einigen Wochen als Notunterkunft für Flüchtlinge dienen. Bis dahin werden die ehemaligen Speisesäle zu Bettenlagern hergerichtet.

Ein Rundgang durch das geräumte Labsaal-Gebäude ist eine Entdeckungsreise ins vergangene Jahrhundert.

Frankfurter Fragmente #11: Pressekonferenz

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Die Frankfurter Verkehrsgesellschaft lädt zur Pressekonferenz ein. Es geht um den Ausbau des Mobilfunknetzes in U-Bahn-Tunneln. Eigentlich eine gute Sache. Ebenso gut gemeint ist auch der Pressetermin. Treffen am U-Bahn-Steig, Station Hauptbahnhof. Dann: Einstieg in eine U-Bahn. Sonderzug. Modern, alles vom Feinsten. Nur für die Presse. Viele Kollegen sind gekommen, alle Medien sind vertreten. Sitze wurden mit Holzplatten zu Tischen umfunktioniert, auf denen Getränke und Häppchen serviert werden. Auf den ersten Blick scheint es klar: Wo wäre eine Pressekonferenz über U-Bahnen besser aufgehoben als in einer U-Bahn? Aber nach der Logik müsste man Pressekonferenzen zum Thema Krieg in Panzern abhalten.

Und als ebenso unpraktikabel erweist sich der Termin in der Bahn: Manche sitzen, die meisten stehen. Die, die stehen, müssen sich immer wieder gut festhalten, während die Bahn sinnlos durch die Stadt kurvt, mal abbremst und mal anfährt. Ein Kameramann wird gleich zu Beginn fast umgeworfen. Zu sehen gibt es nichts. Wenn einer am anderen Ende spricht, kann der am anderen Ende vor lauter Rauschen und Quietschen des Zuges kaum etwas verstehen. Wer eine Flasche in der Hand hält, kann nicht schreiben und sie auch nur schwerlich abstellen, ohne dass sie umstürzt. Da hilft es auch nicht, dass der VGF-Sprecher beteuert, man habe den besten Fahrer verpflichtet. Am Ende gibt es Häppchen, doch noch bevor alle übers Buffet herfallen können, hält der Zug wieder am Hauptbahnhof und weil man sich die Chance nicht entgehen lassen will, steigt man schnell wieder aus. Man kann ja nie wissen, wann sie wieder dort ankommen wird.

Und schließlich bleibt die Erkenntnis: Es geht nichts über schnöde Konferenzräume mit Stühlen, Tischen und Ruhe hinter geschlossenen Türen. In diesem Fall hätte es eine Pressemitteilung aber auch getan.

Frankfurter Fragmente #10: Trailer

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Im Kino hat man die meisten Déjà-vus. Wenn man Filme schaut, hat man oft das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. In Kurzform zwar, aber die wichtigsten, witzigsten oder spektakulärsten Szenen waren schon dabei. Bei fleißigen Kinobesuchern sogar mehrfach. Man nennt sie Trailer, diese kleinen Vorschauen zwischen der Eis-, Bier- und Kippenwerbung. Und wer’s kaum erwarten kann, zieht sie sich schon zu Hause rein. Doch so sehr man sich freut auf diese ersten Einblicke hinter den Vorhang, so sehr einen die ersten Bilder von Star Wars anfixen und sich Nostalgie mit Vorfreude vermischen, so sehr vermiesen sie einem auch das Sehvergnügen, weil Premieren dadurch keine mehr sind.

In der FAS steht heute der Satz zu Ant-Man: „Ein schon im Trailer gebührend gewürdigter Showdown findet auf einer Spielzeugeisenbahn statt.“ Und genau das ist das Problem. Die Szene hat jeglichen Reiz verloren, weil man sie schon mal gesehen hat. Man weiß was kommt, die Überraschung ist dahin – und ebenso der Witz, der einen nur beim ersten Mal hat lachen lassen. Ebenso bei Avengers: Age of Ultron. Da war es die Szene, in der die Helden der Reihe nach versuchen, Thors Hammer zu heben. Keiner kriegt ihn hoch – haha, aber im Film war das altbekannt, weil man den Trailer schon gefühlte 100 mal gesehen hat. (Und ich habe ihn sogar noch im Kino kurz vor dem Hauptfilm gezeigt gekriegt – warum auch immmer.)

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #9: Leaks

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Vor der Schirn Kunsthalle in Frankfurt hat der US-amerikanische Künstler Doug Aitken eine Installation aufgebaut. Unten ist ein großes kreisförmiges Becken inmitten eines Haufens von Steinen, Schutt und Sand. Darüber schwebt eine quadratische Vorrichtung aus Rohren und Düsen. Daraus kommt Wasser: mal tropft es, mal schüttet es. Der Schall wird von Mikrofonen im Becken in Lautsprecher übertragen, sodass Echo-Effekte entstehen. Wie das bei Kunst so ist, kann man sich viel dabei denken. Für mich ist die Installation eine Allegorie auf ein Phänomen der Informationskultur. Das Phänomen der Leaks. Ständig tröpfeln Daten unterschiedlicher Quellen in das große, unersättliche Sammelbecken des Internets, mal mehr, mal weniger, aber konstant füllt es sich, ohne je überzuschwappen, und auf jeden Aufprall folgt ein gesteigertes Echo.

Informationen sind längst nichts Besonderes mehr. Leaks ragten zunächst aus der Masse raus, schienen an die Stelle der Scoops zu treten. Bevor sich traditionelle Medien auf Storys stürzten, war alles schon im Netz zu lesen. Als Wikileaks Geheimdokumente enthüllte, wurde das als die Freiheit der Internetguerillas gefeiert. (Dann kam Edward Snowden und er zeigte uns, dass unsere Rechner nicht bloß lecken, sondern ständig abgeschöpft werden – die dunkle Kehrseite des Internets.) Nichts ist mehr sicher vor dem Zugriff der Hacker, Hacktivisten und Whistleblower. Aber Leaks sind mittlerweile an der Tagesordnung, vor allem als kulturelles Phänomen inflationär. Leaks sind Ausdruck der Informationsgier und der Ungeduldigen. Wir wollen alles sofort haben, und immer schneller. Nachdem die ersten vier Folgen der fünften Staffel von Game of Thrones im Netz waren bevor sie auf HBO ausgestrahlt wurden, schrieb David Denk für die Süddeutsche: „Das Unbezahlbare am Leak ist, dass er das betroffene Kunstwerk mit der Aura des Begehrten auflädt, und zwar ganz egal, wie gelungen oder vergeigt es tatsächlich ist. Immerhin hat sich jemand die Mühe gemacht, es zu stehlen.“ Aber der Autor übersieht, dass Game of Thrones, genauso wie Superhelden-Blockbuster, diese Aufladung nicht nötig haben. Sie werden geleakt, weil sie bereits begehrt werden.

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #8: Meinung

Lautstarke Meinungsbekundung (Foto: Lukas Gedziorowski)

Lautstarke Meinungsbekundung (Foto: Lukas Gedziorowski)

Das Schönste an Meinungen ist, dass jeder eine haben kann – auch mangels Ahnung. Das Allerschönste ist, dass jeder sie auch äußern darf – auch wenn er ein Idiot ist. Das Dumme an Meinungen ist, dass sie stark auseinandergehen – und sogar sich widersprechen. Das Dümmste ist aber, wenn dann einer meint, die Meinung des Anderen, sei so falsch, dass sie verboten gehöre.

Ich schrieb vor kurzem, dass ich einen Film nicht mochte. Und dann bekam ich zurück: Frechheit! Ich hätte wohl Verdauungsprobleme. Oder ich schrieb, dass ich mit der jüngsten Frankfurter Poetikvorlesung nichts anfangen konnte. Dann schnappte gleich einer ein, gab sich empört und kam mir mit Bücherverbrennung (ich verstehe das auch nicht). Beide Kommentatoren haben neben ihrer Hypersensibilität noch etwas gemeinsam: Sie verweisen auf die Meinung der anderen, derer, deren Meinung sie teilen. Der eine auf den Erfolg des Films an den Kinokassen, der andere auf das Lob der Feuilletons. Meine Meinung zählt nicht, solange es andere gibt, die einem genehmer sind. Ja, mehr noch: Meine Meinung ist offenbar so falsch, dass sie kein Recht hat, geäußert zu werden.

Ich habe vor einigen Wochen bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Lügenpresse“ erlebt, wie einer sagte, er lese nur Zeitungen, in der er seine eigene Meinung wiederfinde. Das ist bemerkenswert, weil ich bis dahin gedacht hatte, dass man Zeitung liest, um etwas Neues zu erfahren, nicht nur im Sinne von Nachrichten, sondern auch im Sinne von anderen Standpunkten. Aber manche suchen offenbar bloß Selbstbestätigung. (Fragt sich nur, wozu man dafür Zeitungen kaufen muss.) Und wenn man sie bei einem Autor nicht findet, wenn der sogar noch eine Mehrheitsmeinung vertritt, oder noch schlimmer die der Herrschenden, dann muss er wohl gekauft sein oder sich nicht trauen, „die Wahrheit“ zu sagen. Auf jeden Fall ist er – für solche Leser – unglaubwürdig.

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #7: Kinokarte

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Die kindliche Begeisterung mag lange vorbei sein, aber jetzt ist das Kino völlig entzaubert. Neulich wollte ich eine Kinokarte kaufen. Doch obwohl ich 10,30 Euro auf den Tisch legte – an einem Dienstag wohlgemerkt -, habe ich keine bekommen, sondern bloß eine Quittung. Es war nicht einmal das Logo des Kinos darauf. Bloß ein bisschen pixelige Computerschrift auf Thermopapier und aus der Mitte starrte mich ein QR-Code aus quadratischen Augen an und sagte stumm: Scan mich! Obwohl der Zettel größer ist als eine normale, schlanke Kinokarte, sieht er nach so viel wengiger aus. Eigentlich nach nichts. Und bei der Hitze, die herrschte, hatte ich auch Angst, dass der Aufdruck den Weg zum Scanner am Einlass nicht übersteht. Nicht, dass ich Kinokarten sammeln würde, aber mit diesem Wisch ist die letzte Aura des Lichtspielhauses verflogen. Ich erinnere mich noch an den Film Last Action Hero, darin bekam der Protagonist eine goldene Kinokarte, um ins Filmgeschehen eintauchen zu können. Eine schöne Vorstellung. Jetzt ist die Freude beim Kartenkauf etwa so überschwänglich wie Pfandflaschen im Supermarkt abzugeben. Der Zettel, den man bekommt, sieht jedenfalls ganz ähnlich aus.

Und dann der Film: die Minions. Bevor es losging, kam wie immer Werbung. Nur, dass sie dieses Mal viel vom Film vorwegnahm: Minions-Kekse, Minions-Getränke und die Kinobesucher trugen Minions-Popcorn durch die Gegend. Im Supermarkt habe ich sogar Minions-TicTacs gesehen. Eigentlich müsste es doch auch Minions-Kondome geben – Geschmacksrichtung Banana, versteht sich.

Der Film selbst war nichts als eine mal lustige, aber meist alberne Aneinanderreihung von Quatsch. Die Beilage als Hauptgericht serviert, hat das mein Kollege beim Journal Frankfurt in seiner Rezension genannt. Das trifft es perfekt. Ein Teller voller Pommes ist auf Dauer etwas ermüdend. Ach ja, man müsste noch mal Kind sein, dann hätte man mehr Spaß an so einem unschuldigen Unsinn. Aber vielleicht kommt etwas von diesem Gefühl im Dezember mit Star Wars wieder. Vielleicht ist dann die Karten-Quittung schnell vergessen, wenn erst mal das Logo über die Leinwand fliegt und Fanfaren dazu ertönen und man vor Ehrfurcht erstarrt oder zittert oder gleich ins Koma der Glückseligkeit fällt. Wie sagt es Prinzessin Leia doch so schön? „Helft mir, Obi-Wan Kenobi, Ihr seid meine letzte Hoffnung!“

Frankfurter Fragmente #6: Selfie-Stick

noselfiesticks

Die Touristen aus Fernost haben eine neue Waffe. So neu ist sie vielleicht nicht, aber in Frankfurt sieht man neuerdings keine Reisegruppe mehr ohne. Es ist ein Stock mit Greifzange, aber die Touristen lesen damit keinen Müll auf, sondern befestigen daran ihr Allerwertvollstes, ihre Smartphones, um damit Fotos von sich selbst zu schießen. Wo dem normalen Smartphone-User eine Armlänge reicht, um sich gekonnt in Szene zu setzen, erweitern andere damit den Blickwinkel ihrer Kameras – jedenfalls scheinbar. Denn Hauptsache ist immer noch, dass man selbst auf dem Foto ist. Und nicht nur bei Asiaten ist der sogenannte Selfie-Stick beliebt, mittlerweile gibt es ihn auch hier zu kaufen und auch immer mehr Einheimische gehen nicht mehr ohne Stange aus dem Haus, wenn sie Selbstporträts anfertigen.

Das Time Magazine zählt den Selfie-Stick zu den 25 besten Erfindungen des vergangenen Jahres – zusammen mit dem 3D-Drucker und dem Reaktor für die Kalte Fusion. Allerdings ohne zu erklären, warum. Und so bleibt dieses Hilfsmittel ein Rätsel, vor allem aber die Nutzer. Wenn man diese bestockten Selfisten sieht, überkommt den außenstehenden Beobachter das Befremden, dann die Fremdscham und schließlich die gar nicht so fremde Abscheu. Man fragt sich: Haben diese Menschen denn gar keine Würde?

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #5: Nazis

Widerstand Ost West, Frankfurt 20.6.2015

Foto: Lukas Gedziorowski

Nazis sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Früher erkannte man sie an Hakenkreuzen und braunen Uniformen. Später an den Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefeln. Noch später wurden die Codes subtiler: Kleidung der Marken Lonsdale, Consdaple, Thor Steinar etc. Vor einigen Jahren übernahmen die Rechten einfach den Dresscode der Linken: schwarze Hoodies, Che-Shirts, Palästinenser-Tücher und schwarze Sonnenbrillen. Und so waren die Typen, die sich am vergangenen Samstag im Freiwildgehege von „Widerstand Ost West“ in Frankfurt versammelt haben, kaum von der Antifa zu unterscheiden, die woanders Blockaden errichtete. Außer an der Statur vielleicht. Und natürlich an den ganzen Aufschriften, mit denen sich die größten Dumpfbacken als Hooligans offenbarten.

Doch viele andere waren nicht schwarz gekleidet, sondern ganz durchschnittlich bürgerlich. Manche wirkten sogar fast schon linksalternativ. Und während außerhalb des Geheges die Gegner die Leute von „Widerstand Ost West“ als „Nazis“ beschimpften, die Satiriker von „Die Partei“ ihre Hitler-Plakate hochhielten, war einer der häufigsten Sätze im Gehege: „Wir sind keine Nazis.“ Und allen, die ihnen vorhalten könnten, sich damit nur herauszureden, weil es ja keine Nazis mehr gibt und geben darf, sondern höchstens Neonazis etc., schoben sie auch Sätze hinterher wie: „Wir sind keine Rassisten“ und „Wir sind keine Ausländerfeinde“. Die Äußerungen sind nicht neu. Auch die Leute von Pegida haben schon so gesprochen. Die alte Leier von „Wir haben nichts gegen Ausländer, aber …“.

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #4: Poetikvorlesung

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Von allen Veranstaltungen, die eine Universität anbietet, sind die Poetikvorlesungen die zweifelhaftesten. Denn niemand scheint zu wissen, was eine Poetikvorlesung sein soll. Niemand weiß, was einen erwartet. Und die Dozenten wissen offenbar meist selbst nicht, was sie damit anfangen sollen. Poetik? Das müssten die meisten wahrscheinlich erst einmal nachschlagen. Dann aber kämen sie zu dem Schluss, dass es eine Poetik im eigentlichen Sinn nicht mehr gibt und geben kann. Poetik, das bedeutet „wie man etwas macht“, also ein Regelwerk: So muss man schreiben. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist das überholt. Denn fürs Schreiben gibt es keine Regeln, Literatur ist etwas, das kann man nicht lernen, und es jemandem beibringen zu wollen wirkt anmaßend. Entweder man hat Genie oder nicht.

Jedenfalls im Goethe-Land. Kreatives Schreiben findet man hier eher an der Volkshochschule als an der Uni. Und dennoch gibt es das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, eine Art Talentschmiede. Manche behaupten, dort würde bloß öder Einheitsbrei entstehen. Doch sind schon manche erfolgreich diesem Brei entstiegen und haben es auf die Bestsellerlisten geschafft. Das sagt zwar nichts über Qualität aus, aber darüber, dass Schriftsteller auch ein Brotberuf sein kann. Literaturinstitut sei dank? Das sei dahingestellt. Thomas Mann und Günter Grass sind ja auch nie dort gewesen.

(mehr …)