Kultur

Wiedergeburt im Fantasy-Jenseits

Reborn

Reborn (Cover) (Image Comics)

Kommt was nach dem Tod? Und wenn ja, was? Himmel oder Hölle? Wiedergeburt? Mark Millar sagt: Alles zusammen, nur ganz anders, als man es sich bisher vorgestellt hat. In seinem Comic Reborn landen die Menschen und Tiere nach dem Tod in einer ebenso magischen wie technisch hochentwickelten Fantasy-Welt, in der die einst Guten gegen die einst Bösen kämpfen. Allerdings ist hier alles auch größer und mächtiger. Und jünger.

Die Heldin ist eine alte Frau, die als junge Frau wiedergeboren und sogleich als Heilsbringerin angesehen wird. Laut einer Prophezeiung soll sie den Oberschurken Lord Golgatha besiegen. Zusammen mit ihrem Hund und Vater, der wie andere Angehörige und Freunde vor ihr gestorben ist, zieht sie aber zunächst los, um ihren Ehemann wiederzufinden. Die Konfrontation mit den Bösen lässt sich aber nicht ganz vermeiden und es kommt, wie es kommen muss …

Die Guten sind gut, die Bösen sind fies, der Schurke ist nicht weniger als eine Art Teufel, der in Blut badet und das Böse um seiner selbst willen betreibt. So einfach die Figuren und so klassisch die ganze Story auch konstruiert ist, Mark Millar schafft es mit seinen kuriosen Einfällen und seiner kurzweiligen Erzählweise wieder einmal beste Unterhaltung zu schaffen. Da ist die Katze Frosty, die sich als Lord Frost an ihrer einstigen Besitzerin für eine Kastration rächen will. Am interessantesten ist eine Nebenfigur, die einst an Jesus geglaubt hat und nun desillusioniert, gelangweilt und lethargisch als Königin herrscht.

Wie üblich spart Millar auch hier nicht an Gewalt. Es beginnt mit einem Scharfschützen, der wahllos Menschen erschießt und geht weiter mit einem großen Gemetzel. Greg Capullo (Batman) inszeniert in der für ihn üblichen Detailfreude und Dynamik eine bunte Welt voller schrecklicher Monster und bizarrer Gestalten. Er ist ein Meister der großen Momente: Das wohl beeindruckendste seitenfüllende Panel zeigt, wie im Moment des Todes der Heldin ihre Erinnerungen wie ein großer Kronleuchter über ihr zusammenbrechen.

Was bei dem Tempo leider auf der Strecke bleibt, ist die Möglichkeit, tiefer in diese seltsame Welt einzutauchen und sich hier ein wenig heimischer zu fühlen. Stattdessen wird atemlos durchgerast, ohne näher auf Hintergründe einzugehen. Der Stoff könnte viel hergeben, aber das spart sich Millar wohl für Band zwei auf.

>> Mark Millar/Greg Capullo: Reborn. Book One, Image 2017 (dt. Panini 2017)

 

„Superheldenfilme schaden der Kultur“

Alan Moore (Bild: Arte)

Alan Moore (Bild: Arte)

 

Arte widmet Alan Moore eine achtteilige Webserie: „Beim Barte des Propheten„. In acht kurzen Videos äußert sich der Autor zu der Verwendung der „V wie Vendetta“-Maske durch die Hacktivisten Anonymous, zum Brexit und seiner Heimatstadt Northampton. Dabei distanziert er sich noch einmal von der Verfilmung seines Comics.

Im zweiten Teil gibt er sich kulturkritisch: „Wir brauchen eine Gegenkultur, damit unsere normale Kultur nicht stagniert oder ausstirbt“, sagt er. Diese habe es in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben. Besonders skeptisch äußert er sich über die Konjunktur von Comic-Verfilmungen: „Die derzeitige Flut amerikanischer Superheldenfilme tut unserer Kultur ganz und gar nicht gut“, sagt er. Superheldenfilme richteten die Kultur zugrunde. Sie stünden für eine Flucht in eine Fantasiewelt von Macht und Stärke, ihr Erfolg sei Zeichen unserer Infantilisierung, der Weigerung, erwachsen zu werden, das schade der Kultur und der menschlichen Vorstellungskraft. Außerdem zeige sich darin der Traum einer vermeintlich überlegenen weißen Herrenrasse.

Bemerkenswert daran ist, dass Alan Moore mit seinem Werk selbst zum Superhelden-Hype beigetragen hat, auch wenn er in seinen Comics wie Watchmen durchaus kritisch mit dem Sujet umgegangen ist.

Spiel mit Haken

Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Die Scheibe und der Trichter. Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Man stelle es sich vor: ein Spiel, das einen die Realität vergessen lässt. Das so viel Lust bereitet, dass man nichts anderes mehr machen will. Das muss man sich nicht vorstellen, das gibt es längst. Spielsucht ist nichts Neues. Beobachten kann man sie in Casinos und Wettbüros wie an den Rechnern und Konsolen weltweit. Aber nun gibt es Pokémon Go, ein Spiel, in dem Realität und Virtuelles miteinander verschmelzen und das in wenigen Tagen nicht nur ein Hype, sondern sich so rasant wie eine Pandemie verbreitet. Es macht einem fast Angst, wie die App quer durch alle Altersschichten Menschen beschäftigt. Wie Zombies gehen sie in Scharen durch die Stadt, starren auf ihre Handys und ignorieren die einfachsten Verkehrsregeln und Privateigentum. Mittlerweile soll das Spiel im Netz populärer sein als Pornos …

Energize: Captain Picard als Zocker.

Energize: Captain Picard als Zocker.

Die Sache erinnert stark an eine Folge aus der Fernsehserie Star Trek – The Next Generation. Wieder hat sich die Science Fiction als visionär erwiesen. In „The Game“ (dt. Gefährliche Spielsucht, Staffel 5, Episode 6, 1991), verfällt die Crew einem ganz ähnlichem Spiel, das sich ebenfalls vor dem Hintergrund der Realität, aber als Projektion vor den Augen entfaltet. Man setzt sich ein Gestell auf und los geht’s. Ziel des Spiels ist es, mittels Willenskraft rote Scheiben in violette Trichter zu werfen. Als Belohnung wird das Lustzentrum im Hirn stimuliert.

Riker ist begeistert.

Riker ist begeistert.

Der erste Offizier, Commander Riker, bringt das Spiel von einer Reise mit. An Bord entwickelt sich ein Trend, dem bald alle anheimfallen. Die Besatzung macht kaum noch etwas anderes, als verträumt vor sich hinzustarren – auch beim Gehen. Nur der kleine Sternenflotten-Kadett Wesley Crusher und seine Freundin widersetzen sich dem Spiel und finden heraus, dass es nicht nur süchtig macht, sondern auch das Denken ausschaltet. Wesley sucht Hilfe bei Captain Picard, doch auch er ist schon auf dem Trip hängengeblieben. Schließlich fliegen die jugendlichen Rebellen auf, werden von ihren Freunden und Kollegen gefangen genommen und zum Spiel gezwungen. Es ist ein Alptraum, nicht von ungefähr erinnert der dramatische Höhepunkt im Finale an den Film Clockwork Orange.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Am Ende kann interessanterweise nur eine andere Maschine gegen das Computerspiel helfen: Commander Data, ein Android, der präventiv von der Crew ausgeschaltet wurde, erwacht aus seiner Starre und bringt mittels eines Blinklichts alle wieder zur Vernunft.

Data in The Game.

Deus ex machina bringt Erleuchtung.

Während sie in der Star Trek-Episode alle irgendwann mit diesen Aufsätzen durch die Gegend laufen, ist es jetzt das Smartphone, das sich die Leute vors Gesicht halten, während sie virtuellen Monstern nachjagen – und dabei die Welt um sich herum ausblenden. Bei Star Trek wird das Spiel nicht nur als Droge gefährlich: es ist ein perfides Mittel der Unterwerfung der Sternenflotte durch Aliens. Nintendo wird wohl nur eine Absichten verfolgen: Profit. Eingriffe in ihre Gehirne und ihre Lebenswelt lassen die Menschen von ganz allein zu. Und das einzige Blinklicht, das sie am Ende aus der Hypnose befreit, wird wohl bloß der nächste Hype sein …

Münchner Fragmente #2: Zeit

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Dass Zeit gleich Geld ist, kann man am besten vor dem Apple Store beobachten, wo bereits vier Tage vor dem Verkaufsstart eines neuen Geräts Camper anzutreffen sind. Sie zahlen nicht bloß 739 bis 1069 Euro dafür, dass das iPhone 6 nun ein „S“ im Namen trägt, (was bereits viel Arbeitszeit kostet) sondern auch mit dem Einsatz von Lebenszeit. Mindestens vier Tage. Das sind 92 Stunden. Das fast so viel wie man für eine Luxus-Ausgabe des iPhones arbeiten muss – bei einem Stundenlohn von zehn Euro. Sie zahlen also eigentlich das Doppelte, nur um die Ersten zu sein, die ein Gerät besitzen dürfen. Um privilegierte Kunden zu sein, nehmen sie die größten Strapazen auf sich, bringen die größten Opfer. Insofern darf man diese Konsumopfer, die in freiwilliger Obdachlosigkeit vor dem Apple Store ausharren, als die ärmsten Mitglieder der Wohlstandsgesellschaft bemitleiden. Ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe wäre es, ihnen ein bisschen Lebensinhalt zu schenken, um ihren Kauf vielleicht mit etwas Sinnvollem anzureichern. Vielleicht könnte man sie mit ein paar Flüchtlingen bekannt machen. Das wäre bestimmt für beide Seiten bereichernd. Ganz zu schweigen von dem Beitrag zur Integration.

Münchner Fragmente #1: Uniform

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Wenn der Deutsche feiert, dann am liebsten in Uniform. Alles ist erlaubt, solange man sich an bestimmte Regeln hält. Je reglementierter die Verkleidung, desto größer die Narrenfreiheit. Der Inbegriff traditionalistischen Spießertums als Maskerade des Exzesses. Tradition als Rechtfertigung für die Konservierung des Gehaltlosen. Die Arbeitskleidung deutscher Dionysiker und Anakreonten kommt in Tracht daher. Es spricht für sich, dass diese bayrische Eigenart Oktoberfest – im Gegensatz zum Karneval – zum deutschen Gesamtkonsens, ja sogar als Exportschlager des Deutschtums geworden ist. Bemerkenswert ist, dass es die Verächter des Oktoberfestes sind, die als Spießer und Klemmis gelten.

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Frankfurter Fragmente #6: Selfie-Stick

noselfiesticks

Die Touristen aus Fernost haben eine neue Waffe. So neu ist sie vielleicht nicht, aber in Frankfurt sieht man neuerdings keine Reisegruppe mehr ohne. Es ist ein Stock mit Greifzange, aber die Touristen lesen damit keinen Müll auf, sondern befestigen daran ihr Allerwertvollstes, ihre Smartphones, um damit Fotos von sich selbst zu schießen. Wo dem normalen Smartphone-User eine Armlänge reicht, um sich gekonnt in Szene zu setzen, erweitern andere damit den Blickwinkel ihrer Kameras – jedenfalls scheinbar. Denn Hauptsache ist immer noch, dass man selbst auf dem Foto ist. Und nicht nur bei Asiaten ist der sogenannte Selfie-Stick beliebt, mittlerweile gibt es ihn auch hier zu kaufen und auch immer mehr Einheimische gehen nicht mehr ohne Stange aus dem Haus, wenn sie Selbstporträts anfertigen.

Das Time Magazine zählt den Selfie-Stick zu den 25 besten Erfindungen des vergangenen Jahres – zusammen mit dem 3D-Drucker und dem Reaktor für die Kalte Fusion. Allerdings ohne zu erklären, warum. Und so bleibt dieses Hilfsmittel ein Rätsel, vor allem aber die Nutzer. Wenn man diese bestockten Selfisten sieht, überkommt den außenstehenden Beobachter das Befremden, dann die Fremdscham und schließlich die gar nicht so fremde Abscheu. Man fragt sich: Haben diese Menschen denn gar keine Würde?

(mehr …)

Ansichten einer Maus

FAZ: Art Spiegelman zu Charlie Hebdo (Foto: Lukas Gedziorowski)

FAZ: Art Spiegelman zu Charlie Hebdo (Foto: leg)

Zu Charlie Hebdo wurde mittlerweile alles von jedem gesagt. Nur einer der prominentesten Cartoonisten und Comic-Künstler hat bislang geschwiegen: Mehr als sechs Wochen hat sich Art Spiegelman damit Zeit gelassen, den Anschlag auf Charlie Hebdo zu kommentieren. Am vergangenen Samstag (21. Februar 2015) ist in der FAZ ein einseitiger Comic von ihm erschienen, in dem Spiegelman sich in seiner typischen Maus-Maske, die ihm seit seinem Comic anhaftet, über die Meinungsfreiheit äußert. Er nennt sich selbst „Meinungsfreiheitsfundamentalist“. Als solcher müsste seine Meinung klar sein. Ist sie aber nicht. Denn auch wenn er sich mit Charlie Hebdo solidarisiert und für die Freiheit der Kunst eintritt, gibt es in seinem Strip zu viele „aber“.

(mehr …)

Frankfurter Fragmente #1: Geschwisterlichkeit

Titanic-Aktion bei Anti-Fragida-Demo in Frankfurt (Foto: Lukas Gedziorowski)

Aktion von Die PARTEI bei der Anti-Fragida-Demo in Frankfurt (Foto: Lukas Gedziorowski)

Am 26. Januar soll in Frankfurt am Main eine große Kundgebung stattfinden. Das Ziel ist ehrenwert: Es geht darum, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Islamophobie usw. einzutreten, also eine Art Anti-Pegida oder in diesem Fall Anti-Fragida zu veranstalten. (Auch wenn die bislang rudimentäre Fragida-Gruppe nach einem großen Protest schmollend aufgegeben hat.) Das Motto der Kundgebung: Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit“. – Wie bitte? Moment mal, was ist mit der guten alten Brüderlichkeit geworden, der dritten französischen Kardinalstugend seit der großen Revolution? Die ist abgeschafft. Denn für eine integrative (oder gar inklusive) Demo ziemt es sich offenbar nicht, in den Verdacht zu geraten, Schwestern auszuschließen. Das verträgt sich nicht mit dem Gleichheitsgedanken. Also sollen wir jetzt alle Geschwister sein.

(mehr …)

Kritzeln, Klecksen, Tippen, Tatschen

Foto: Lukas Gedziorowski

Foto: Lukas Gedziorowski

Geht die Kulturtechnik der Handschrift verloren? Die FAZ sagt ja. Ein Versuch über die Vor- und Nachteile verschiedener Schreibformen.

Gute Science Fiction ist immer ein Spiegel der Gegenwart. Die beste jedoch ist die, die zufällig mal mit einer Prognose richtig liegt. Man nennt das dann visionär – allerdings haftet diesem Begriff seit Helmut Schmidt etwas pathologisches an … Wie dem auch sei: Die Fernseh-Serie Star Trek: The Next Generation (1987-1994) ist ein gutes Beispiel für eine Zukunftsprognose. Wer sie heute schaut, wird überall nur Touchscreens und Tablet-Computer finden. Nie nimmt jemand an Bord der Enterprise auch nur einen Stift zum Schreiben in die Hand. Und niemand scheint sich daran zu stören. Auch gelesen wird meistens am Bildschirm, es sei denn der bibliophile Captain Picard findet mal wieder die Zeit für Shakespeare oder Melville – dann greift er zum guten alten Buch. Antik wirken die Bände in den Händen des alten Mannes, der sich bei aller Weitsicht und Fortschrittsgläubigkeit immer wieder in Nostalgie verliert.

Was Medienkonsum angeht, spielt Star Trek in unserer Gegenwart. Wie die Autorin Ursula Scheer in der FAZ (14.1.2015, online nur im Archiv für 2,50 Euro) feststellt, wird nicht nur im Alltag auf Tastaturen getippt statt mit der Hand geschrieben, auch in Schulen werde die Schreibschrift kaum noch gelehrt. Kurz: die Schreibschrift stirbt aus. Das erinnert an die Argumentation, die FAZ-Kollege Markus Günther im Mai 2014 vortrug und dabei grundsätzlich den Untergang der Schriftkultur heraufbeschwor. Ich habe das damals skeptisch kommentiert. Aber wie steht es um die Schreibschrift?

(mehr …)

Schreiber in der Krise

Die Liste der Woche: Schriftstellerfilme

typewriter bartonfink

Wer schreibt kennt die Probleme: die Angst vor dem leeren Blatt, Versagensängste, Blockaden. Schreiben ist ein mühsames, einsames und undankbares Geschäft. Eigentlich gibt es keinen Grund, es zu tun – es sei denn, man hängt sein Herz dran. Und obwohl das Schreiben an sich kein spektakulärer Vorgang ist, bei dem es viel zu sehen gibt, hat Hollywood es geschafft, über solche hoffnungslosen Verzweiflungstäter ein paar sehr schöne Filme zu drehen. Wir stellen die besten vor – und einen ganz miesen als Warnung.

  1. Misery
  2. Shining
  3. Adaptation
  4. Barton Fink
  5. The Wonder Boys
  6. Finding Forrester
  7. Sunset Boulevard
  8. The Words

(mehr …)