Literatur

Nobelpreis für Bob Dylan: Warum nicht mal ein Musiker?

dylan: what?

Keine Sorge: Bob Dylan gibt’s auch auf Papier

Es ist die Sensation des Jahres: Bob Dylan bekommt den Literaturnobelpreis. Schon lange wurde darüber gesprochen, dass er auf der Kandidatenliste stehe, aber es schien wie ein Wunschdenken seiner Verehrer. Jetzt ist das Unwahrscheinliche eingetroffen: His Bobness steigt offiziell in den Olymp der Literaten auf. So etwas hat es noch nicht gegeben: ein Musiker, ein Sänger, ein Songwriter! Und in dem ganzen Jubel darüber kommen auch die unvermeidlichen Stimmen, die fragen: Ist das überhaupt Literatur? Kann das sein? Darf es? Und gäbe es nicht viel verdientere Kandidaten, die schon so lange warten (Philip Roth etc.)?

Für Klaus Kastberger, Literaturprofessor, liegt der Fall klar: „Erstmals wird mit dem höchsten Preis, den es für die Literatur gibt, ein Mensch ausgezeichnet, der kein einziges literarisches Werk vorzuweisen hat.“ So steht es bei Zeit Online. Jetzt seien alle Dämme gebrochen, jetzt könnten auch Rammstein den Deutschen Buchpreis gewinnen. Warum? Kastberger erklärt über Dylan:

„Am Ende aber sind es doch immer nur lyrics, die er geschrieben hat, und eben keine Lyrik. Da konnte die Kulturwissenschaft bislang noch so viele Symposien zu seinem Werk veranstalten: So viel war fix, und dabei blieb es. Keine Lyrik, nirgends. Nur lyrics, überall.“

Noch einmal, zur Erinnerung: Kastberger ist Literaturprofessor. Heißt: er müsste es besser wissen. Eigentlich müsste gerade diese Nähe der Begriffe lyrics und Lyrik eine Herleitung nahelegen statt eine Abgrenzung. Eigentlich müsste hier einleuchten, dass Lyrik von Anbeginn an mit Musik verbunden war, gesungen zur Lyra. Die Texte wurden vorgetragen, die Trennung von Lyrik und Musik kam erst später. Und obwohl die freien Künste sich auch darüber definieren, dass sie miteinander verschmelzen und kaum noch scharf zu trennen sind, halten die Systematiker und Dogmatiker an ihren Schubladen fest.

Für die Engstirnigen besteht Literatur darin, auf Papier geschriebene, am besten in Bücher gedruckte Wörter zu sein. Punkt. Ende der Diskussion. Denn nur so kann sie sich der Bildungsbürger in sein Regal stellen und sich an seinen gebundenen Werkausgaben erfreuen wie ein Jäger an seinen Trophäen. Wie kann man nur so Ewiggestrig und doch so geschichtsvergessen sein? Für solche Leute gelten auch Comics per se als Schund, nur weil da Wörter mit Bildern zusammenkommen.

Und doch: schon vor Jahren haben sich Verlage die Mühe gemacht, Dylans lyrics als Buch herauszubringen, eine aktualisierte Werkausgabe erscheint im November. Sogar der Reclam-Verlag hat eine Auswahl veröffentlicht. Zum Nachlesen, Mitlesen und Vollschreiben mit Anmerkungen. Und siehe da: Wenn man sich die gedruckten Fassungen der Texte anschaut, dann sehen sie doch tatsächlich wie Gedichte aus. Links viel schwarz und rechts viel weiß. Die Verse reimen sich sogar. Haben Metrum, Rhythmus, Klangfiguren, Metaphern und sonstige literarische Kniffe, die man sonst nur bei den Lyrik-Buchautoren vermutet hätte. Ja, sogar manch hintergründige „Botschaften“ wird der Exeget darin finden, weil Literatur ja immer mehr sagen muss als an der Oberfläche zu sehen ist.

Kastberger behauptet zwar das Gegenteil von alldem, aber er belegt nichts. Er spottet nur und beschwört, wie die Verteidiger der Elfenbeintürme es wohl tun müssen, das Ende des Abendlands herauf. Im Grunde zeigt sich daran das, was sich jedes Jahr zeigt: sobald der „höchte Literaturpreis der Welt“ verliehen wird, scheiden sich die Geister. Es wird sich immer jemand finden, der sagt: Warum gerade der und nicht der? XY hätte es doch viel mehr verdient! – Die Begründungen dafür sind beliebig.

Die Debatte um den Nobelpreis zeigt jedes Jahr die Absurdität solcher Veranstaltungen. Einerseits braucht sie der Kunstbetrieb, um sich selbst am Leben zu erhalten, um Bücher zu verkaufen, um Kanon zu definieren und sich von der Masse abzugrenzen. Andererseits suggerieren Preise, es gäbe objektive Kriterien, um Kunst zu bewerten und zu kategorisieren. Aber es gibt kein Punktesystem für „literarisch wertvoll“ – denn dazu müsste man ja definieren können, was das überhaupt sein soll. Die Antwort darauf werden die Experten immer schuldig bleiben müssen.

Braucht Bob Dylan einen Literaturnobelpreis? Hat er nicht schon genug Musikpreise bekommen? Ja, aber Musikpreise werden eben nur für Musik vergeben. Höchste Zeit, dass auch die Texte gewürdigt werden – und sei es, dass man ihnen offiziell das Label „Literatur“ verpasst. Damit wird zwar strenggenommen auch getrennt, was zusammengehört (genauso wie in den Druckausgaben), aber zugleich setzt die Schwedische Akademie damit ein Zeichen, dass sie sich selbst nicht zu fein dafür ist, einen Lyriker außer Acht zu lassen, nur weil er singt und Instrumente spielt. Mit dem Literaturnobelpreis 2016 knallt die Akademie es auch den unverbesserlichen Hütern der Schubladen vor den Latz: „Klar sind Bob Dylans Texte Gedichte! Sehr gute sogar!“ Und dass sie in Musik eingebettet sind, macht sie sogar noch besser.

Drei Begegnungen mit Günter Grass

Günter Grass Buchmesse 2007 (Foto: Lukas Gedziorowski)

Günter Grass Buchmesse 2007 (Foto: Lukas Gedziorowski)

Meine erste Begegnung mit ihm fühlte sich an, wie der Blick der Medusa. Ich erstarrte. Es war 2007 auf der Frankfurter Buchmesse. Ich machte gerade erste Schritte als Journalist bei einem Praktikum, als man mich dorthin schickte. Günter Grass sollte seine neueste Werkausgabe vorstellen. Sein jüngstes Buch, Beim Häuten der Zwiebel, hatte ich längst gelesen, klar. Ein tolles Buch. Seit ich mit 15 die Blechtrommel gelesen verschlungen und mir als Zeichen meiner pubertären Renitenz ein Stück Kindheit in Oskar Matzerath bewahrt hatte, war ich ein Fan. Doch der Fan war leider unvorbereitet, vor seinen Herrn zu treten. Also durchwühlte er kurz vor dem Termin noch eilig die Bestände beim Antiquar vor den Toren der Messe, doch Grass war skandalöser Weise rar, und ich wollte auf keinen Fall etwas kaufen, das ich schon besaß, schließlich fand ich ein Buch: Örtlich betäubt und Aus dem Tagebuch einer Schnecke – in einem Band. Sechs Euro. Völlig überteuert, egal. Jetzt aber schnell!

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Auf der Suche nach Romantik und Poetik

Unscharfe Romantik

Drei Abende Romantik und einen Abend Daniel Kehlmann – unser Autor hat sich in dieser Woche die volle Dröhnung Poesie gegeben. Doch leider waren die Erträge gering, die Romantik im Literaturhaus kam zu kurz, auch nach Poetik musste man suchen.

„Was wir suchen, ist alles.“ – Ein hoher Anspruch für ein Literatur-Festival. Aber auch ein naheliegender, denn immerhin geht es um Romantik, also die Epoche und Geistesströmung, in der es nicht um weniger ging: Universalpoesie, progressiv und transzendental,  jeder mit jedem, alles mit allem – und davon bitte nicht zu knapp – eierlegende Wollmilchsäue. Aus dem Projekt wurde nix, nix als lauter Trümmer, Angefangenes ohne Ende, ein Haufen Papier und eine deutsche Affäre, die bis heute nachwirkt. Aber gut – genug der Geschichtsstunde, wir schauen nach vorne, Romantik heute, jawoll, es geht mal wieder um alles, also alles bitte noch mal von vorn, jetzt aber richtig.

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Die romantische Zukunft der Literatur

Diskussion zum Erzählen der Zukunft im Literaturhaus Frankfurt (Foto: Lukas Gedziorowski)

Porombka, von Borries, Moderator Schumacher, Breitlauch, Brüggemann im Literaturhaus Frankfurt (Foto: Lukas Gedziorowski)

Vier Menschen sprachen am Sonntag beim Romantik-Festival in Frankfurt über die Zukunft des Erzählens – im Hinblick auf die von den Frühromantikern geforderte Universalpoesie. Doch leider konnten die Epigonen nicht den Anspruch des Abends einlösen, es mangelte an klaren Visionen und vor allem an romantischen Perspektiven.

Wenn es ein frühromantische Projekt schlechthin gibt, dann ist es das der Universalpoesie. Es ist wahrscheinlich der höchste Anspruch, der je an Literatur gestellt worden ist: Alles vereinend, allumfassend, „ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt“, schreibt Friedrich Schlegel, „der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig“ und wenn man noch Novalis Forderung hinzudenkt, dass die ganze Welt romantisiert werden solle, bedeutet das auch, dass alle Welt (universal-)poetisch werden soll. – Wow! Ein Wahnsinnsprojekt. Schlegel selbst gesteht in seinen Fragmenten ein, dass daraus nichts werden kann: „Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.“ Man kann damit nur scheitern, aber auch immer daran weiterarbeiten.

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Weiße Cover, schwarze Cover

Unser Autor macht sich seine Gedanken über das Schwarze und das Weiße auf den Buchumschlägen und Plattenhüllen dieser Welt. Ein Essay über den Minimalismus und das Heischen nach Aufmerksamkeit.

Beckett: Der HofNeulich in der Buchhandlung. Ein schwarz-weißes Cover erregt meine Aufmerksamkeit. Doch vor allem, weil die Schrift zwar auffällt, aber der Titel nicht zu lesen ist: „ER“ steht da auf der oberen Hälfte, „OF“ auf der unteren, wobei jeweils die ersten beiden Buchstaben zum Teil abgeschnitten sind, dazwischen der Autorenname: „Simon Beckett“. Und obwohl mich weder der Autor, noch das Genre, mit dem ich seinen Namen verbindet, interessieren, greife ich zum Buch, weil ich wissen will, was dieses Cover soll, wie der Titel lautet. Ich drehe das Buch um: Ein D, ein H – „DER HOF“ steht da, was mich zunächst enttäuscht, aber dann wiederum an John Grisham erinnert, der wohl am konsequentesten Titel nach dem Schmema „Artikel + Substantiv“ fabriziert. Vor allem aber fühle ich mich in die Falle getappt: Jetzt hat mich der Verlag genau da, wo er mich haben wollte. Raffiniert, das muss man denen lassen. Ich kaufe es trotzdem nicht.

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Superhelden wie wir

Schaufensterhelden (Foto: Lukas Gedziorowski)

Schaufensterhelden (Foto: Lukas Gedziorowski)

Comic-Autor Grant Morrison hat ein Sachbuch über Superhelden geschrieben. Darin verbindet er Comic-Geschichte mit seiner Autobiografie und Exkursen darüber, was Superhelden mit der Realität zu tun haben. Das Ganze bildet zwar ein nicht immer schlüssiges Werk, dennoch ein lesenswertes für alle, die mehr über das Thema erfahren wollen.

Von Superhelden kann man so einiges lernen. Als ich ein Kind war, hörte ich den weisen Superman aus dem 78er Film sagen, dass Fliegen – statistisch gesehen – immer noch das sicherste Verkehrsmittel sei. So eine Weisheit, von einer Autorität wie dem besten Helden aller Zeiten gesagt, brannte sich ein. Dann, ein paar Jahre später, las ich in einem Comic (JLA #18), wie Bruce Wayne sagt, dass es Aufzüge mit Fluchtluken, die auch von innen aufgehen, nur in Filmen gebe. In Filmen, aber offenbar nicht zwingend in Comics – seltsam, dachte ich, so viel Realismus, inmitten so viel Fantastik. Und schließlich, im Jahr 2008, die Szene in The Dark Knight, in der Bruce Wayne seinen Gimmick-Entwickler Lucius Fox um einen neuen Anzug bittet. Dieser sieht nur an ihm herab und sagt ironisch: „Ja, drei Knöpfe sind 90er Jahre, Mr. Wayne.“ Daraufhin wurde mir klar, dass auch ich eine neue Garderobe brauchte.

Nun gibt es seit vergangenem Jahr ein Buch über Superhelden mit dem (viel zu langen) Untertitel Was wir von Superman, Batman, Wonder Woman und Co. lernen können. Geschrieben hat es der Großmeister Grant Morrison, der im Jahr 1989 Arkham Asylum, eines der innovativsten Batman-Comics geschrieben hat, danach die JLA reformierte und später für Batman und Superman zuständig war. Der Mann kennt sich aus in der Comic-Historie. Und so ist sein Buch, trotz seines Versprechens im Untertitel, vor allem ein Text über ein Stück Kulturgeschichte geworden. Und das ist auch gut so, denn viel lernen können „wir“ vor allem von Morrison.

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„Man muss die ganze Gegend erzählen, die Zeit!“

Kurzeck im Café Fellini (Foto: pk)

Peter Kurzeck im Café Fellini (Foto: pk)

Am 25. November starb der Schriftsteller Peter Kurzeck im Alter von 70 Jahren in Frankfurt am Main. Sein auf zwölf Bände angelegter Romanzyklus Das alte Jahrhundert bleibt nach dem fünften Band unvollendet. Eine Hommage an einen zu Lebzeiten zu wenig beachteten Autor.

„Immer der gleiche endlose leere Winternachmittag, bevor ich gegen vier in die Stadt gehe. Und Mer­de­rein (in seiner bodenlosen Verzweiflung demnächst bevorstehenden oder kürzlich statt­gehab­ten unvermeidlichen Nervenzusammenbruch kurzfristig ganz ver­gessend noch ein Schluck, es ist kurz vor drei) gerät gleich übergangslos ins Faseln. Siehe, dies ist die Gegenwart. Erzählt aus dem Stehgreif Lügengeschichten: wie er neulich mal in Frankfurt am Main an der Haupt­wache, im Advent, frischer Schnee war gefallen, wie er da diesen überlebensgroßen Eis- oder Grizzly­­bär, der ihm un­berechtigt nach dem Leben […]“ – hier nun muss man den Merderein unver­schäm­­ter­weise unterbrechen, ehe er noch weiter erzählen – lügen? – kann.

Ein Rastloser, Getriebener ist dieser Merderein, der Protagonist von Kurzecks zweitem Roman ‚Das schwarze Buch‘. Es ist ein Mann der vielen Tode, der unter anderem im Main er­trinkt, weil er mit einer ster­­benden Katze im Arm in ei­ner gutbeleuchteten Neujahrsnacht über den unzureichend ge­fro­renen Fluss möch­te, be­trun­­ken. Der von einem Lastwagen überrollt wird, als er die kleine und dunkle Knei­pe im Allerheiligenviertel doch noch verlässt; der im Schwimm­bad ertrinkt oder von den herabfallenden Trümmern eines baufälligen Hauses erschlagen wird. Immer weiter treibt ein unaufhaltsamer Erzählstrom die Figur vor sich her. Diese Ge­trie­ben­heit ist Kurzecks eige­ner nicht unähnlich und nicht wenige verstehen Merde­rein als Alter Ego des kürzlich Ver­storbenen. Und das, obwohl er eigentlich gar nichts mit ihm zu tun, dem Merderein, so Kurzeck selbst. Kenne die Leute ja nicht. Trotzdem stünden sie manchmal nachts an seinem Bett, um zu erzählen, unge­fragt und wollen oder können nicht aufhören.

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Romantik-Ausverkauf

Romantik zum Schlürfen. (Foto: Gedziorowski)

Romantik zum Schlürfen. (Foto: Gedziorowski)

Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt ist kurz vor dem Ziel: Bald hat das Freie Deutsche Hochstift genug Spenden zusammen, um sein Projekt am Goethe-Haus realisieren zu können. Auf der letzten Etappe geht das Hochstift in die Vollen und heckt sich immer mehr genialische Streiche aus, wie sie die restlichen Moneten herbeischaffen kann: Mit dem Anstiften zum Konsum. Unser Autor hat sich im Fan-Shop umgesehen.

Der Spendenpegel steigt. Von den 8 Millionen Euro, die das Freie Deutsche Hochstift für ihr Deutsches Romantik-Museum auftreiben muss, sind 6,2 bereits beschafft, fehlen also noch 1,8 Millionen. Für manche ein Taschengeld, für das Hochstift eine Menge Holz. Die Kampagne läuft also auf Hochtouren. Plakate und Postkarten tragen die Botschaft in alle Welt hinaus: Es geht um Sehnsucht, Taugenichtse, ja und auch um Goethe, wenn’s denn unbedingt sein muss. Kurz mit Novalis: „Die Welt muss romantisiert werden!“ Und während Anne Bohnenkamp-Renken, Direktorin des Hochstifts, mit dem Klingelbeutel auf Tournee ist und nicht müde wird, ihr Evangelium von der Bedeutung des Projekts, von der einmaligen Chance und von dem universalpoetischen Konzept zu predigen, sucht die Romantik-Task Force des Hochstifts nach anderen Einkunftswegen. Die Zeit läuft davon.

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