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Was ist und wo liegt die Twilight Zone?

The Twilight Zone ist nicht nur der Titel einer Mystery-Serie, die von 1959 bis 1964 im Fernsehen lief, sondern auch der Name eines Ortes. Er sieht unserer Welt sehr ähnlich, wird bewohnt von Menschen, und es finden dort ungewöhnliche Ereignisse statt, die über die gewöhnliche Erfahrung hinausgehen. Die meisten Folgen spielen auf der Erde: in der Gegenwart, in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Manche spielen in Wild-West-Szenarien, manche im Zweiten Weltkrieg, manche auf anderen Planeten, nur die wenigsten spielen in Welten, die ganz anderen Gesetzen gehorchen. Und auch wenn jede der 156 Episoden für sich allein stehende Geschichten vom Übernatürlichen, Okkultem, von Science Fiction und Fantasy erzählen, könnten viele auch in derselben Welt spielen.

Und selbst wenn es unterschiedliche Welten mit eigenen Gesetzen sein sollten, entsteht durch die narrative Klammer der Eindruck, dass diese Welten an einem Ort versammelt sind, denn in jeder Folge erklärt Erfinder und Hauptautor der Serie, Rod Serling, dass sich alles in der „Twilight Zone“ abspielt. Beschrieben wird dieser Ort jeweils im Vorspann. Doch in fünf Staffeln gibt es insgesamt sechs verschiedene Intros, die anders aussehen und anders getextet sind.

Die Twilight Zone wird damit zu einem Ort, der nur vage umrissen und ständig im Wandel ist. Die einzige Konstante ist Rod Serling selbst, der aus dem Off das Geschehen kommentiert, in den meisten Folgen durch die Kulissen läuft, als Erzähler die vierte Wand durchbricht und am Ende wieder in der Realität ankommt, wenn er auf die nächste Episode teast und sogar Werbung für Zigaretten macht, die die Zuschauer kaufen sollen.

Was ist eine Zone?

Doch wie genau wird diese „Twilight Zone“ beschrieben? Und kann man sie verorten? Aber zuerst: Was ist überhaupt eine Zone?

Zone meint einen „Bereich gemeinsamer Eigenschaften“, so Wikipedia, „einen nach außen gewandten, von außerhalb wahrnehmbaren Teil eines Ganzen, wobei eine Zone sich nach einem bestimmten Kriterium von ihrer Umgebung (benachbarten Zonen) unterscheidet“. Nach 1945 kennt man die Besatzungszonen in Deutschland, die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea, aber auch verschiedene Geozonen. Das Wort bedeutet ursprünglich „Gürtel“.

Eine „Twilight Zone“ muss also etwas Abgegrenztes sein, in dem alles, was darin liegt, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist. Die gesprochenen Intros von Rod Serling suggerieren genau das, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Trotzdem bleibt es schwierig, sie scharf abzugrenzen, da sie in immer anderer Form erscheint.

Twilight Zone als Zwischenreich

Serlings Intro zu Staffel eins lautet:

„There is a fifth dimension, beyond that which is known to man. It is a dimension as vast as space and as timeless as infinity. It is the middle ground between light and shadow, between science and superstition, and it lies between the pit of man’s fears and the summit of his knowledge. This is the dimension of imagination. It is an area which we call The Twilight Zone.“

Serling beschreibt die Zone auf drei Ebenen: Zum einen handelt es sich um eine fünfte Dimension, jenseits der bekannten vier von Zeit und Raum, ein schier unendlicher, zeitloser Ort. Als solcher ist er schwerlich als klar abgegrenzte „Zone“ zu bezeichnen. Die Twilight Zone scheint – zumindest in der fünften Dimension – überall zu sein.

Zweitens wird sie als ein Ort der Mitte, des Dazwischen beschrieben, zwischen Licht und Schatten (daher „twilight“), zwischen Wissenschaft und Aberglaube, zwischen Ängsten und dem Wissen der Menschheit. In einer Folge heißt es sogar: „somewhere in between heaven, the sky, and the earth, lies The Twilight Zone“ (S01E18). Es ist also ein Ort jenseits von Physik und Metaphysik. Drittens spricht Serling von der Dimension der Einbildungskraft.

Das alles umreißt den Bereich allerdings nur vage. Doch ganz so abstrakt ist es nicht, denn zu den Worten gibt es noch eine visuelle Ebene im Vorspann: Während Serling den Text aufsagt, ist eine Landschaft zu sehen: Zunächst Wolken am Himmel, dann eine karge Ebene, eine Art Wüste, aus der sich ein paar Felsen erheben, die lange Schatten werfen, dann ein eine Höhle, schließlich Sterne im Weltall.

„It is a dimension as vast as space and as timeless as infinity.“

Das ist allerdings nicht der Urzustand der Twilight Zone. In der ersten Fassung der Pilotfolge („Where is everybody?“), in deren Vorspann nur das Weltall zu sehen ist, ist sogar von einer „sixth dimension“ die Rede. (Später nur von „another dimension“.) Die Twilight Zone bewegt sich also selbst durch die Dimensionen, von denen man nicht einmal weiß, wie viele es wirklich gibt. Das spiegelt sich auch im Konzept der Anthologieserie: Es kann unendlich viele Episoden geben, die völlig verschiedene Geschichten erzählen – was auch mit den späteren Reboots (jeweils ab 1985, 2002, 2019) passiert.

„… between the pit of man’s fears and the summit of his knowledge …“

Auch wenn die späteren Vorspanne anders gestaltet sind, bleiben die Bilder aus dem ersten als Zwischentitel vor der Werbepause bis zur dritten Staffel bestehen und am Ende sind immer die blinkenden Sterne des Alls zu sehen. Trotz des ständigen Wandels gibt es also wiederkehrende Merkmale, die die Twilight Zone als konkreten Ort markieren.

Nächster Halt: Twilight Zone

In den letzten Folgen der ersten Staffel wird das Intro gekürzt und verändert. Wir sehen ein Frauenauge in Nahaufnahme, dann wird die Iris mit einem hellen Kreis überblendet, während ein schwarzer Balken sich von rechts nach links in das Bild schiebt. (Was stark an die Rasiermesserszene aus dem surrealistischen Kurzfilm Der Andalusische Hund erinnert.) Dann schließt sich das Auge und der Fleck geht wie eine Sonne in dem Balken unter und die (veränderte, serifenlose) Titelschrift taucht auf. Der schwarze Balken bildet eine Art Gürtel, der ins Bild eindringt, es teilt, zur Horizontlinie wird und dann in der Dunkelheit verschwindet – als würde sich die Twilight Zone breitmachen.

Dazu passt Serlings Text:

„You are about to enter another dimension. A dimension not only of sight and sound but of mind. A journey into a wondrous land of imagination. Next stop—The Twilight Zone.“

War das erste Intro noch rein deskriptiv, wird nun der Zuschauer aktiv miteinbezogen. Der Vorspann wird zum Eingang zu einer „anderen“ Dimension. Diesmal ist von einer Dimension des Geistes bzw. des Verstandes die Rede. Es handelt sich nicht mehr um einen unendlichen, abstrakten Raum, sondern um ein konkretes, wenn auch wundersames Land der Einbildungskraft. Es scheint das Land zu sein, das man im Vorspann mit der Felsenwüste und dem Berg sehen konnte, das aber nun dem Auge und der „Sonne“ gewichen ist, aber Auge und Sonne als Licht der Erkenntnis verschwinden ebenfalls in der Dunkelheit. Das Sehen wird verdrängt, die Sonne überblendet nicht nur, sondern blendet, bis sie verschwindet. Der reisende Zuschauer hält an, um dieses Land des Zwielichts zu besuchen.

In der zweiten Staffel verschwindet wiederum das Auge, nur noch die Sonne ist zu sehen. Der Zuschauer wird noch aktiver. Er betritt nicht mehr die Dimension, er befindet sich bereits auf der Durchreise, sobald das Intro beginnt.

„You’re traveling through another dimension. A dimension not only of sight and sound but of mind. A journey into a wondrous land of imagination. Next stop—The Twilight Zone.“

Zugleich wird in Serlings Anmoderationen deutlich, dass es auch den Figuren so geht. Immer wieder ist (ab Staffel 2) davon die Rede, dass sie selbst die Twilight Zone betreten, wenn die Handlung einsetzt: „Next stop for Mr. Bartlett Finchley – The Twilight Zone.“ (S02E04). Die Zone bekommt Eigenschaften zugesprochen: Sie hat etwa eine „darkest corner“ (S05E03) und auch eine „misty region“ (S05E06). Dann werden auch oft auch Randbereiche der Zone genannt („the outskirts“, „the outer edges“), was angesichts der Unendlichkeit paradox erscheint, was man sich aber so erklären kann, dass dort die Twilight Zone unsere bekannte, vierdimensionale Welt berührt, sodass der Übertritt der Figuren überhaupt stattfinden kann.

Die Reise ist nicht nur das älteste Erzählmotiv, die Heldenreise ist auch der Archetyp der Erzählenstruktur und des Erzählens schlechthin. Der Übertritt in eine andere Welt ist darin bereits angelegt, besonders deutlich wird das in Fantasy-Erzählungen, wie in Alice im Wunderland, wenn die Heldin in den Kaninchenbau fällt. Die Twilight Zone ist der Ort, an den Figuren und Zuschauer gemeinsam auf die Reise geschickt werden.

Die Frage ist nur: Wenn nicht alle Folgen immer in der Twilight Zone spielen, sondern die Figuren auch nur in sie übertreten oder mit ihr in Berührung geraten, betreten die Zuschauer die Twilight Zone, bevor es die Figuren tun? In einigen Folgen (besonders ab Staffel 2) scheint es der Fall zu sein. Das Publikum wäre demnach den Figuren immer voraus, auch wenn es nicht weiß, was es erwartet. Die Zuschauer wissen aber, dass die Twilight Zone naht.

Das Schild zerfällt

Ab Folge vier der zweiten Staffel bekommt die andere Dimension ihre Grenzen aufgezeigt, es sind die Grenzen der Einbildungskraft, was impliziert, dass sie unendlich ist:

„You’re traveling through another dimension. A dimension not only of sight and sound but of mind. A journey into a wondrous land whose boundaries are that of imagination. That’s the signpost up ahead. Your next stop—The Twilight Zone.“

Wenn die Schrift auftaucht (wieder die aus der ersten Staffel), ist von einem Straßenschild die Rede. Die Schrift rückt näher und zerspringt in Einzelteile. Der Zuschauer kracht sozusagen mitten hinein in die Twilight Zone – oder die Twilight Zone in ihn. Doch es bleibt ein Straßenschild ohne Straße. Die Reise findet, anders als noch in der ersten Staffel, ohne festen Boden unter den Füßen statt. Die eindringliche, repetitive Titelmusik verstärkt den Effekt.

Reise in eine andere Dimension …

In Staffel drei verschwindet das Schild wieder aus der Ansage, auch die Grafik verändert sich. Wir sehen nun eine rotierende Scheibe mit schwarz-weißem Ringelmuster, die wirkt wie ein Trichter, der im Weltall davondriftet. Es entsteht eine Art Vertigo-Effekt, der für ein Schwindelgefühl oder auch Hypnose stehen kann. Nicht nur wird der Eindruck der Bodenlosigkeit verstärkt, es entsteht auch eine Art Sog-Effekt. Man wird in die Twilight Zone hineingezogen. Dann taucht die (wieder veränderte) Schrift aus dem Nichts auf und zerspringt wieder beim Näherkommen. Die Twilight Zone bleibt ungreifbar.

Eintritt durch die Tür

In Staffel vier und fünf gibt es ein konkretes Symbol für den Übertritt in die Zone: Wir sehen eine Tür durchs All schweben, die sich öffnet. Hinter der Tür sieht man ein Fenster (samt Ausblick!) zerspringen, ein Auge und die Einsteinsche Formel „E=mc2“. Dann sehen wir eine Gliederpuppe und eine Uhr aus dem Nichts auftauchen und verschwinden. Die Schrift zerspringt nicht, sondern wird aus Teilen zusammengesetzt und löst sich beim Näherkommen auf.

Serlings Ansage ist neu, besteht aber zum großen Teil aus vertrauten Elementen:

„You unlock this door with the key of imagination. Beyond it is another dimension. A dimension of sound. A dimension of sight. A dimension of mind. You’re moving into a land of both shadow and substance, of things and ideas. You’ve just crossed over into the Twilight Zone.“

Hier definiert die Einbildungskraft nicht die Zone, sondern ist nur der Schlüssel, der die Tür zur eigentlichen Dimension der Twilight Zone öffnet. Dem Zuschauer wird nicht bloß die Rolle eines Reisenden ins Land der Imagination zugesagt, er muss mit seiner eigenen Einbildungskraft selbst aktiv werden.

Die Zone selbst wird von Klang, Licht und Geist/Verstand bestimmt. Die Zone ist kein Zwischenreich mehr, sondern ein Land, das Schatten und Substanz, Dinge und Ideen miteinander vereint. Die Synthese des „middleground between light and shadow, between science and superstition“ hat sich in eine Dialektik der Gegensätze aufgelöst. In der Twilight Zone können daher auch mehrere miteinander unvereinbare Sphären neben- oder nacheinander bestehen. Jedes Mal wenn man über die Türschwelle überschreitet, betritt man eine andere Geschichte. Aber dazu ist eben der Zuschauer gefordert, sich darauf einzulassen, mitzuwirken und also selbst zum Mitschöpfer zu werden.

Hier und Jetzt

Was ist also die Twilight Zone?

The Twilight Zone erzählt nicht nur von Utopien und Dystopien, die Twilight Zone scheint auch der Utopos schlechthin zu sein – der fantastische Ort, den es nicht gibt und nicht geben kann. Folgerichtig lautet der deutsche Titel „Unwahrscheinliche Geschichten“. Tatsächlich ist sie aber der Ort des Geistes, wo das Unwahrscheinliche passieren kann. Es ist ein Ort der Möglichkeiten. Er ermöglicht die Geschichten, die in ihm und durch ihn stattfinden.

Und wo liegt die Twilight Zone? Sie ist ein Zwischenreich, begrenzt von

  1. Licht und Schatten
  2. Wissenschaft und Aberglaube
  3. Angst und Wissen
  4. Imagination/Einbildungskraft

Mit Licht und Schatten sind auch Wissen und Nichtwissen, bzw. Auflärung und Unwissenheit gemeint, wie in den anderen Begriffspaaren deutlich wird. Die Einbildungskraft füllt diesen Raum dazwischen aus. Sie sorgt dafür, dass er eben kein Utopos ist.

Jede Folge demonstriert, dass es diesen Ort sehr wohl gibt – genauso wie die Einbildungskraft und jede andere Fiktion existiert. Jeder Fernsehzuschauer kann sich davon selbst überzeugen. Serling selbst sagt: „It can happen in the Twilight Zone“ (S01E04) und sogar „it did happen in the Twilight Zone“ (S01E02). In „The Gift“ (S03E32) heißt es: „Anyplace and all places can be The Twilight Zone.“ Die Twilight Zone kann potenziell überall sein. Also auch in der bekannten Welt der Zuschauer, die sie Realität nennen.

Zu Beginn der Pilotfolge, in der ein Namenloser ohne Gedächtnis in eine verlassene Stadt kommt, heißt es sogar:

„The place is here. The time is now, and the journey into the shadows that we are about to watch, could be our journey.“

Als Angabe von Raum und Zeit ist das nicht hilfreich, aber es drückt aus: Die Handlung spielt – obwohl in der Twilight Zone – im Hier und Jetzt. Was wir sehen, ist eine Möglichkeit. Die Twilight Zone macht das Mögliche wie das Unwahrscheinliche und Unmögliche wahr. Sie zeigt, was Fiktion tut und zu was sie fähig ist. Fiktion ist hier nicht die Abbildung von Realität in einer Art „Unwirklichkeit“, sondern eine Wirklichkeit als „Was wäre wenn?“ Und dafür steht die Twilight Zone.

Rod Serling erscheint im Fernsehen der Twilight Zone.

Creator of the Twilight Zone

Für den Zuschauer existiert die Twilight Zone nicht nur im Kopf, sondern ganz konkret im Fernsehen. Im Schwarzweiß-Fernsehen als Ort von Licht und Schatten. Rod Serling wird zu einer Art Reiseleiter, der zwischen den Welten und Dimensionen wandeln kann. Er weiß mehr als die Zuschauer über die jeweiligen Welten der Twilight Zone. Zunächst ist er nur aus dem Off als Erzähler zu hören und nach dem Ende jeder Folge zu sehen, wenn er die nächste Episode ankündigt. Ab der zweiten Staffel taucht er auch zu Beginn der Folgen in den jeweiligen Filmsets auf: mal steht er in den Kulissen oder läuft hundurch, mal fährt er im Aufzug, mal lehnt er sich an ein Auto, einmal taucht er sogar auf dem Bildschirm eines Fernsehers auf – und meistens raucht er.

Bevor er am Ende eine Vorschau auf die nächste Episode gibt, wird er von einem Sprecher als „creator of The Twilight Zone“ eingeführt. Serling ist damit aber nicht nur Urheber der Serie und Autor einzelner Drehbücher, sondern tatsächlich gottgleicher Schöpfer der Zone.

Allerdings hat diese Macht auch Grenzen, wie sich in der letzten Folge der ersten Staffel zeigt, wenn Serling das erste Mal auftaucht, um seinen Epilog zu sprechen und das einzige Mal mit einer Figur interagiert. (Die Folge wurde nicht von Serling, sondern von Richard Matheson geschrieben.)

Die Episode handelt vom Autor Gregory West, der mithilfe seines Diktiergeräts fiktive Figuren real werden lassen kann. Man kann sagen: Ein Alter Ego von Serling. Bis Serling am Ende sagt: „We hope you enjoyed tonight’s romantic story on The Twilight Zone. At the same time, we want you to realize that it was, of course, purely fictional. In real life, such ridiculous nonsense could never—“ Gregory unterbricht ihn: „Rod, you shouldn’t! I mean, you shouldn’t say such things as ’nonsense‘ and ‚ridiculous‘!“ Dann wirft er einen Umschlag mit Tonband und der Aufschrift „Rod Serling“ ins Feuer. Serling kommentiert: „Well, that’s the way it goes.“ Und verschwindet. Aus dem Off sagt er, Gregory sei „apparently in complete control of the Twilight Zone„. Damit endet die erste Staffel.

Rod Serling, Schöpfer der Twilight Zone.

Die Twilight Zone entzieht sich selbst der Kontrolle ihres Schöpfers. Wo Serling nicht selbst schreibt, ist auch er ihren Gesetzen unterworfen. Mit anderen Worten: Wenn er sich durch die Twilight Zone bewegt, erfasst sie auch ihn. Serling ist hier nicht der Autor, sondern er nimmt eine Rolle ein, wird selbst zu einer Figur, die von anderen gesteuert wird oder gesteuert werden kann. In dem Fall schreibt nicht Serling die Twilight Zone, sondern die Twilight Zone schreibt ihn. Nicht von ungefähr taucht er von da an jedes Mal am Anfang und am Ende auf und wird zum Teil der Twilight Zone. Selbst der einzigen Konstante wird der feste Boden der Sicherheit entzogen. Die Zuschauer sind auf sich allein gestellt, sie sind der Twilight Zone ausgeliefert. Um sie dreht sich alles in dieser Serie: Die Twilight Zone ist nicht nur der Schauplatz, sondern auch der Antagonist, an dem sich alle Beteiligten abarbeiten – von dem Schöpfer über seine Figuren bis hin zu den Zuschauern.

Immer im Fluss

Die Twilight Zone entwickelt sich auch selbst weiter. Im Kinofilm von 1983 finden sich Remakes dreier Episoden aus der Originalserie, weitere Remakes gibt es in den drei späteren Twilight-Zone-Serien von 1985-1989, 2002-2003 und 2019. Jede Generation hat ihre eigene Twilight Zone. Sie erweist sich als unendlicher Fundus von Möglichkeiten und ist zugleich eine Maschine, die immer neue Geschichten generiert.

Und was macht eigentlich Rod Serling? Der weilt zwar nicht mehr unter uns, doch jüngst hat Comic-Künstler Koren Shadmi ihm ein Nachleben in der Twilight Zone beschert: In dem Comic The Twilight Man: Rod Serling and the Birth of Television lässt er Serling von dort aus seine Lebensgeschichte selbst erzählen. 

Spiel mit Haken

Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Die Scheibe und der Trichter. Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Man stelle es sich vor: ein Spiel, das einen die Realität vergessen lässt. Das so viel Lust bereitet, dass man nichts anderes mehr machen will. Das muss man sich nicht vorstellen, das gibt es längst. Spielsucht ist nichts Neues. Beobachten kann man sie in Casinos und Wettbüros wie an den Rechnern und Konsolen weltweit. Aber nun gibt es Pokémon Go, ein Spiel, in dem Realität und Virtuelles miteinander verschmelzen und das in wenigen Tagen nicht nur ein Hype, sondern sich so rasant wie eine Pandemie verbreitet. Es macht einem fast Angst, wie die App quer durch alle Altersschichten Menschen beschäftigt. Wie Zombies gehen sie in Scharen durch die Stadt, starren auf ihre Handys und ignorieren die einfachsten Verkehrsregeln und Privateigentum. Mittlerweile soll das Spiel im Netz populärer sein als Pornos …

Energize: Captain Picard als Zocker.

Energize: Captain Picard als Zocker.

Die Sache erinnert stark an eine Folge aus der Fernsehserie Star Trek – The Next Generation. Wieder hat sich die Science Fiction als visionär erwiesen. In „The Game“ (dt. Gefährliche Spielsucht, Staffel 5, Episode 6, 1991), verfällt die Crew einem ganz ähnlichem Spiel, das sich ebenfalls vor dem Hintergrund der Realität, aber als Projektion vor den Augen entfaltet. Man setzt sich ein Gestell auf und los geht’s. Ziel des Spiels ist es, mittels Willenskraft rote Scheiben in violette Trichter zu werfen. Als Belohnung wird das Lustzentrum im Hirn stimuliert.

Riker ist begeistert.

Riker ist begeistert.

Der erste Offizier, Commander Riker, bringt das Spiel von einer Reise mit. An Bord entwickelt sich ein Trend, dem bald alle anheimfallen. Die Besatzung macht kaum noch etwas anderes, als verträumt vor sich hinzustarren – auch beim Gehen. Nur der kleine Sternenflotten-Kadett Wesley Crusher und seine Freundin widersetzen sich dem Spiel und finden heraus, dass es nicht nur süchtig macht, sondern auch das Denken ausschaltet. Wesley sucht Hilfe bei Captain Picard, doch auch er ist schon auf dem Trip hängengeblieben. Schließlich fliegen die jugendlichen Rebellen auf, werden von ihren Freunden und Kollegen gefangen genommen und zum Spiel gezwungen. Es ist ein Alptraum, nicht von ungefähr erinnert der dramatische Höhepunkt im Finale an den Film Clockwork Orange.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Am Ende kann interessanterweise nur eine andere Maschine gegen das Computerspiel helfen: Commander Data, ein Android, der präventiv von der Crew ausgeschaltet wurde, erwacht aus seiner Starre und bringt mittels eines Blinklichts alle wieder zur Vernunft.

Data in The Game.

Deus ex machina bringt Erleuchtung.

Während sie in der Star Trek-Episode alle irgendwann mit diesen Aufsätzen durch die Gegend laufen, ist es jetzt das Smartphone, das sich die Leute vors Gesicht halten, während sie virtuellen Monstern nachjagen – und dabei die Welt um sich herum ausblenden. Bei Star Trek wird das Spiel nicht nur als Droge gefährlich: es ist ein perfides Mittel der Unterwerfung der Sternenflotte durch Aliens. Nintendo wird wohl nur eine Absichten verfolgen: Profit. Eingriffe in ihre Gehirne und ihre Lebenswelt lassen die Menschen von ganz allein zu. Und das einzige Blinklicht, das sie am Ende aus der Hypnose befreit, wird wohl bloß der nächste Hype sein …

Die Monster sind überall

Twilight Zone: Maple Street

Maple Street – eine ganz normale Straße. Nicht nur in der Twilight Zone.

Es soll Leute geben, die haben keinen Fernseher – und sind auch noch stolz drauf. Wozu braucht man auch so ein Ding, wenn es Internet gibt? Einschalten lohnt sich ohnehin meist nicht. Es sei denn, man will sich informieren – aber das Fenster in die Welt zeigt hässliche Dinge: In den USA erschießen Polizisten Zivilisten wegen ihrer Hautfarbe. Zivilisten schießen zurück. Einige Wochen zuvor erschoss ein Mann einige Menschen wegen ihrer Sexualität. Und in Deutschland werden Menschen angegriffen wegen ihrer Herkunft. Ganz zu schweigen vom Rest der Welt.

Manchmal aber lohnt sich der Blick in die Glotze. Nicht, um dem Grauen zu entgehen, sondern um ihm auf ungeahnte Weise zu begegnen und den Blick  für die Ursachen zu schärfen. In der Urzeit des Fernsehens gab es eine Serie mit dem Namen The Twilight Zone (1959-1964). Der erste deutsche Titel lautete „Unwahrscheinliche Geschichten“, und tatsächlich erzählen die meist 20-minütigen Episoden allerhand Kurioses, mit dem sich die Wahrscheinlichkeitskrämer dieser Welt, die Realisten, nicht abgeben müssen, weil es scheinbar nichts mit ihnen zu tun hat.

Twilight Zone

Twilight Zone

Es gibt aber eine Ausnahme. Eine dieser Episoden passt damals wie heute, weil sie nicht vom Fantastischen, sondern der harten Realität handelt: The Monsters Are Due On Maple Street (S01E22, dt. Die Monster der Maple Street). In dieser Episode gibt es fast nichts Übernatürliches, jedenfalls nichts von Belang. Es sind die Menschen, die zu Monstern werden. Die Handlung spielt in einer klassischen Vorstadt-Idylle der USA. Eines Abends sehen die Menschen ein ungewöhnliches Licht am Himmel flackern – und plötzlich gehen bei ihnen die Lichter aus. Kein Strom mehr, nicht einmal Autos funktionieren. Außer bei einem. Sein Auto springt plötzlich von selbst an. Dass es kurz darauf wieder aufhört, spielt keine Rolle. Denn die Nachbarn sind skeptisch geworden.

Ein Junge hat ihnen von seinen Comicgeschichten erzählt, in denen Alien-Invasionen immer damit beginnen, dass der Strom ausfällt, um die Menschen verwundbar zu machen. Obwohl die Geschichten des Jungen Fiktion sind und die Menschen das wissen, nehmen sie sie wörtlich und suchen die Realität nach Gemeinsamkeiten ab. Also ist der Nachbar, dessen Auto plötzlich läuft, ein potenzielles Alien, das sich in Menschengestalt unter ihnen versteckt hält. Den Bewohnern der Maple Street fallen dann einige Seltsamkeiten an ihm auf, etwa dass er nachts in die Sterne sieht. Der Mann beteuert, bloß an Schlaflosigkeit zu leiden, doch der Mob hat Blut geleckt.

Twilight Zone: Maple Street

Auch in der Maple Street hängen Waffen griffbereit.

Die Hexenjagd verlagert sich auf andere, die Menschen werden paranoid, bis einer, bei dem die Schrotflinte sehr locker sitzt, einen Unschuldigen erschießt. Daraufhin gehen bei ihm zu Hause die Lichter an. Der Mörder wird zum Sündenbock, jemand wirft den ersten Stein und die ganze Stadt bricht in Chaos aus.

Am Ende stellt sich heraus, dass doch Außerirdische für den Vorfall verantwortlich sind. Mit einem simplen Mittel wie einem Stromausfall hetzen sie die Menschen gegeneinander auf, damit sie sich gegenseitig ausschalten. Die Welt, so sagen sie zynisch, sei voller Maple Streets – und so ziehen sie von einer zur anderem, um überall gleich vorzugehen.

„There are weapons that are simply thoughts, attitudes, prejudices – to be found only in the minds of men“, resümiert der Erzähler Rod Serling in seinem Epilog. „For the record, prejudices can kill – and suspicion can destroy – and a thoughtless frightened search for a scapegoat has a fallout all of its own – for the children – and the children yet unborn.“ So etwas gebe es nicht nur in der Twilight Zone. Man kann auch sagen: Solche Dinge gibt es nicht nur im Fernsehen.

Twilight Zone: Maple Street

Weiter zur nächsten Maple Street.

Die Folge erschien im Jahr 1960, einige Jahre nach dem Ende der Kommunistenhetze der McCarthy-Ära, einige Jahre vor dem Ende der Rassentrennung. 56 Jahre später scheint sich in Sachen Vernunft nicht viel getan zu haben. Die Evolution schleicht. Und beim Menschen macht sie immer wieder einen Sprung zurück. Man sollte diese Parabel auf die Menschheit jedem Schulkind zeigen. Vielleicht wäre das ein erster Ansatz, den Einfältigen endlich Vernunft einzuhämmern.

Manchmal sollte man das Fernsehen nicht zu früh abschreiben.

Wenn die Lichter ausgehen.

Wenn die Lichter ausgehen.

>> Die Episode findet sich auf der DVD der ersten Staffel von Twilight Zone.

Es müssen nicht immer Nazis sein

Was wäre wenn … ? Das ist wohl die zentrale Frage jeder Fiktion. Sie regt des Menschen höchste Gabe, die Vorstellungskraft, an. Sie befriedigt die Neugier nach den Dingen, die unergründbar sind. Und das schönste: Es gibt keine Grenzen. Alternative Geschichtsszenarien sind daher besonders beliebt, weil man es mit Fakten noch weniger genau nehmen muss als sonst. Eines, das die Fantasie vieler Autoren beflügelt hat, ist dieses: Was wäre, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Das Horror-Szenario schlechthin. Vielleicht gar die Mutter aller Dystopien. Nazis ziehen immer. Sie sind die perfekten Schurken, die idealen Unterdrücker, das personifizierte Böse. Ein Hakenkreuz ist mittlerweile eindeutiger als Hörner und Pferdefuß. Für Amerikaner rufen vielleicht nur Hammer und Sichel so viele Urängste heror. Und auch bei den Deutschen ziehen Nazis immer. Fast.

Die Amazon-Serie The Man in the High Castle, die auf einem Roman von Philip K. Dick (Total Recall, Minority Report) basiert, reizt diese Vorstellung aus. In den frühen 60er Jahren sind die USA zwischen dem „Greater Nazi Reich“ und den Japanern aufgeteilt, dazwischen eine neutrale Zone. Hakenkreuze überall – selbst auf Telefonwählscheiben -, damit man auch ja nie vergisst, in welcher schlimmen Welt wir uns befinden. Die wahren Greuel kommen aber nur am Rande vor: Euthanasie, Vergasungen, Verbrennungen und Massengräber. Der Rest ist typisches Dystopia: Totale Kontrolle, Überwachung, Paranoia, Willkür, Verhöre mit Folter. Und natürlich ein Widerstand. Eine Frau aus San Francisco, die durch Zufall in Gefahr gerät, ein Nazi-Spion aus New York, der sich für einen Rebellen ausgibt. Man trifft sich in der Mitte, der neutralen Zone, um dem Chef der Widerstandsbewegung, dem ominösen Mann im hohen Schloss, einen verbotenen Film zu überbringen, einen Film, der eine alternative Geschichte zeigt: darin haben die USA den Krieg gewonnen. Ist das Fiktion? Propaganda? Die Wahrheit? Die Zukunft? Ein Paralleluniversum?

Man weiß es nicht. Und erfährt es in den ersten zehn Folgen nicht – bis erst in der letzten Szene der ersten Staffel eine Lösung angedeutet wird. Trotz dieser McGuffins, dem roten Faden, der die Erzählung spannend machen könnte, tritt die Handlung so oft auf der Stelle, wirken die Protagonisten so unentschlossen, planlos und lethargisch, dass man am liebsten selbst zur Tat schreiten würde – aber leider kann man nicht, leider ist ja alles nur Fiktion. Denn in der Realität sind die Dialoge zwar auch nicht häufig intelligenter, aber immerhin sind die Menschen nicht so eindimensional. Die Guten verkörpern die reine, naive Unschuld, die Bösen ausgefuchst wie es nur bei imaginären Übermenschen denkbar ist (natürlich auch Hitler) und die Wankenden schnell bekehrt. Und so bleibt The Man in the High Castle eine Serie, die die Neugier, die sie mit ihrer Prämisse weckt, schnell verspielt. Sie erschöpft sich im „Was-wäre-wenn?“ In diesem Fall ist aber die „wahre Geschichte“ eindeutig die spannendere – und selbst die reißerischen Nazi-Dokus des deutschen Fernsehens die bessere Wahl.

Reboot der Gesellschaft

Fscociety: Werbung für Mr. Robot (Foto: Lukas Gedziorowski)

Fscociety: Werbung für Mr. Robot (Foto: Lukas Gedziorowski)

Wer immer noch glaubt, das Internet bedeute Freiheit, sollte sich die Serie Mr. Robot ansehen.

Es gibt zwei Filme, erschienen kurz vor der Millenniumswende, die sollte man niemals direkt hintereinander schauen – das wäre so gefährlich, wie Benzin und gefrorenes Orangensaftkonzentrat zusammenzubringen: Matrix und Fight Club. Sonst könnte man danach revolutionäre Tendenzen entwickeln. Denn die Filme sind Geschwister im Geiste: In beiden geht es um ein System der Kontrolle, das es zu überwinden gilt. In Matrix die totale Überwachung innerhalb einer künstlichen Welt, die einem Realität vorgaukelt, um einen auszubeuten. In David Finchers Fight Club ist das System der Kapitalismus, der einen mit Werbung einlullt, falsche Träume erschafft und Bedürfnisse weckt, die nicht zu befriedigen sind.

Die Serie Mr. Robot handelt nicht nur von denselben Themen, sondern bringt die Motive beider Filme zusammen: Ein Hackerdrama, der Fall aus dem tristen Büroalltag in den Kaninchenbau des düsteren Wunderlands, der Kampf gegen einen bösen Konzern, der frei heraus einfach „Evil Corp“ heißt, und das Ziel der Weltrevolution, die die Befreiung der Menschen von der Knechtschaft der Schulden bedeutet. Matrix und Fight Club in einem? Das klingt nach einer billigen Gleichung, ergibt aber tatsächlich rund zehn Stunden beste Unterhaltung.

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Aus großer Macht folgt Größenwahn

Netflix

Netflix

Es gibt diese Szene bei Breaking Bad, in der der DEA-Agent Hank Schrader seinem Neffen Walter Jr. ein Buch schenkt (S03E08, „I See You“). Es handelt von den Agenten, die den kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar verfolgt haben. Hank bedauert, dass es immer nur die Bösen seien, die die Aufmerksamkeit bekämen, nie die Guten. Das ist natürlich ein Kommentar zur Serie: alle lieben den Schurken Walter White, der Anständige Ermittler Hank ist bloß Mittel, um die Handlung spannend zu machen. Spätestens seit Al Capone und den Corleones sind Mafiosi die interessanteren Charaktere als die Unbestechlichen. In der Realität sollen die Guten gewinnen, in der Fiktion fasziniert das Böse.

So ist es auch mit Narcos. Die neue Netflix-Serie erzählt von Aufstieg und Fall Escobars und den Männern, die ihn bekämpft haben. Ähnlich gleichberechtigt wie bei The Wire werden die beiden Seiten dargestellt, wobei Narcos wegen seines Erzählers aus dem Off und den eingestreuten Originalaufnahmen noch dokumentarischer wirkt als Baltimores großes Drogen-Epos. Allerdings ist die Serie mehr als bloßes Reenactment. Erzähler ist zugleich der Protagonist, der DEA-Agent Steve Murphy. Doch leider erweist sich der Ansatz als größtes Manko der ansonsten gelungenen Serie und beweist einmal mehr, dass die Schurken die besseren Helden sind. Denn Murphy ist nicht nur ein fader Charakter, ein Milchbubi, der gerne der tough guy wäre und in der Drogenhölle Kolumbiens zum bad cop mutiert, aber selbst in all den Jahren im Ausland es nicht fertig bringt, Spanisch zu lernen. Man kann ihn nicht ernst nehmen – ganz zu schweigen davon, dass man sich schwerlich für diesen langweiligen Durchschnittsamerikaner interessieren kann. Selbst sein Partner Javier Peña wirkt sympathischer.

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Einer gibt immer acht

Netflix/Twitter

Netflix/Twitter

Zählen wir mal durch, ob auch alle da sind:

  1. Eine Frau jagt sich eine Kugel durch den Kopf.
  2. Ein Polizist in Chicago geht der Sache nach.
  3. Eine Inderin soll einen Mann heiraten, den sie nicht liebt.
  4. Ein Berliner raubt mit seinem Freund ein paar Diamanten und bekommt dafür Ärger.
  5. Eine Isländerin klaut Geld und Drogen und wirft alles wieder weg.
  6. Ein schwuler mexikanischer Schauspieler geht eine Dreierbeziehung ein, die ihn die Karriere kosten könnte.
  7. Eine Koreanerin geht für ihren Bruder in den Knast.
  8. Ein Kenianer versucht sich als Kleinbusunternehmer.
  9. Eine Transsexuelle soll lobotomisiert werden, weil sie angeblich geisteskrank ist. Doch sie ist bloß mit all den oben genannten Menschen mental verknüpft – was auch auf die anderen zutrifft.

Darum geht es in Sense8, der Netflix-Serie von den Wachowskis und J. Michael Straczynski. Acht Menschen, verstreut über die ganze Welt, mit verschiedenen Problemen, können allein mittels Geisteskraft miteinander kommunizieren und Fähigkeiten austauschen, was immer in brenzligen Situationen nützlich ist. Die Koreanerin kann kämpfen (liegt ihr wohl im Blut). Der Berliner Deutsch-Russe kann ballern und skrupellos sein. Die Inderin kann gut mit Chemie umgehen. Der Mexikaner kann gut so tun als ob, also lügen. Der Kenianer kann Autos kurzschließen und kennt alle Filme von Jean-Claude Van Damme auswendig. Der Polizist kann, was gute Polizisten so können, im Zweifel den Helden spielen. Und die Isländerin kann immerhin Isländisch (eine seltene Gabe) – und sieht ganz süß aus.

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Irrfahrt durch die Wüste ins Nichts

AMC

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Es gibt Serien, die setzen Maßstäbe fürs Enden. Es gibt das Sopranos-Ende, das vielleicht brutalste Ende aller Zeiten, es gibt das Lost-Ende, das dem Zuschauer Harmonie vorgaukelt, aber seine Neugier unbefriedigt zurücklässt, es gibt das Breaking Bad-Ende, an dem (für die Charaktere) nichts wirklich gut ist, aber trotzdem storytechnisch alles rund läuft. Wie Mad Men endet, schien wiederum nicht so wichtig. Die Serie lebte nie von Cliffhangern oder einer groß angelegten Handlung, wichtig waren bloß die Charaktere. Die größte Frage, die sich stellte, war, ob Don Draper sein Glück findet oder nicht. Doch wie schon zuvor war nicht entscheidend, was passierte, sondern wie.

ACHTUNG SPOILER!!!

Nun, da ist es, das letzte Bild: Don Draper meditiert an der Küste Kaliforniens inmitten einer Hippie-Gruppe, brummt sein Om und lächelt. Doch ist es nur ein trügerisches Werbeglück, wie es die folgende Coca-Cola-Werbung suggeriert? Oder hat Don etwa die Erleuchtung in Form einer Werbeidee? Und sollte Don mit sich im Reinen sein: Was veranlasst ihn zu diesem Glück? Denn wenig deutet darauf hin, was eine Wende zum Guten verheißt. Die letzten sieben Folgen wirken wie eine Irrfahrt ins Nichts. Und für den Zuschauer ist es kein Genuss, sie mitzuverfolgen.

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Serienloch

Das Schlimmste an der Serie Lost ist nicht ihr Ende, sondern dass sie überhaupt zu Ende geht. Wer kann sie nicht noch spüren, wenn er sich erinnert: diese innere Leere als alles vorbei war und man sich fragte, wie das Leben jetzt weitergehen soll. Ein Dasein ohne Lost schien möglich, aber sinnlos. Von einem so kontinuierlichen Adrenalin-Trip war es nicht leicht, so schnell runterzukommen. Man will eigentlich, dass er immer weitergeht, bis die Nerven vor Spannung reißen, bis man ein seelisches Wrack ist. Aber das Problem ist: im Gegensatz zu jeder anderen Droge gibt es Serien zwar im Überfluss, aber nie ohne Ende, und selten knallt mal eine richtig rein.

Nach Lost kam also erst Mal ein Loch. Man musste sich mit Dingen wie The Wire begnügen, eher ein Downer als ein Upper, Baltimore ist eher das Gegenteil von der mysteriösen Insel, die uns zu einem zweiten Zuhause geworden war, es verlangte ein anderes Sehen – und doch wurde jeder belohnt, der einen langen Atem hatte. Und dann war da noch so eine neue Serie namens Breaking Bad, ganz nett für den Anfang … Aber dann: Mit jeder neuen Staffel wurde klar, dass hier der Serienjunkie wieder drauf war. Nicht auf Adrenalin, sondern auf blauem Crystal Meth – dem so ziemlich feinsten Shit ever. Wie bei Lost, nur viel besser, weil ohne eine sich irgendwann totlaufende Selbstüberbietung, erlebte man die Höhen und Tiefen, als wäre man selbst einem Wechsel von Trip und kaltem Entzug ausgesetzt, als hinge das eigene Leben davon ab.

Und was machen wir seitdem? Boardwalk Empire – ganz schön, The Leftovers – großartiger Geheimtipp, Silicon Valley – sehr witzig, Fargo und True Detective waren super, aber leider kommt bei Anthologie-Serien keine echte Sucht auf. Mad Men ist eher ein Leisetreter und außerdem schon zu Ende … Bis auf House of Cards erreichte keine Serie bisher dieses Gefühl eines Allzeithochs, aber da kriegt der Junkie zwar die volle Dröhnung mit 13 Folgen auf einmal, aber auf die muss er jeweils ein Jahr warten. Aber trotz des Erfolges ist House of Cards weit entfernt davon, Kunst und Mainstream zu versöhnen, wie Lost oder Breaking Bad es getan haben. Die Serie ist hervorragend gemachte, anspruchsvolle Unterhaltung für Menschen, die beim Schauen gerne ihr Hirn einschalten. Der Rest guckt Game of Thrones oder The Walking Dead

Warum fehlen die Kicks? Weil wir verwöhnt, weil wir verdorben sind. Mit jeder genialen, großartigen, weltbewegenden Serie steigt der Anspruch an die nächste. Es ist der Fluch des Quality TV: Die Qualität muss ständig steigen, um die Zuschauer noch umzuhauen. Gierig durchstöbern wir das Angebot von HBO oder Netflix, geifernd nach dem nächsten Knaller. Alle Hoffnung ruht auf den großen Innovatoren. Daredevil haben wir verschlungen, es ist wohl die beste Superheldenserie aller Zeiten, irgendwann in diesem Jahr erscheint auch Jessica Jones, die nächste Marvel-Serie. Im Juni kommt Sense8 von den Wachowskis, vielleicht wird das ja das nächste Lost, hoffentlich besser (zugegeben: die Wachowskys haben seit Matrix nix Anständiges mehr gemacht, aber Co-Autor ist J. Michael Straczynski, daher besteht Hoffnung). Und HBO hat Westworld in der Mache. Selbstverständlich freut sich die Twin Peaks-Fangemeinde auf eine dritte Staffel mit 18 Folgen, die auch noch alle von David Lynch gemacht und mitgeschrieben werden. Doch wahrscheinlich ist das nächste geniale Ding wieder mal eine Serie, mit der niemand rechnet.

Früher waren Serien gut, wenn wir dabei abschalten konnten, aber nicht weggeschaltet haben. Heute dürfen sie nicht weniger als süchtig machen, sonst sind sie bloß ein schnell vergessener Zeitvertreib. Aber wie viel besser kann es noch werden, um den wachsenden Maßstäben gerecht zu werden? Wir leben in einer dekadenten Epoche, die geprägt ist von binge watching, Serienjunkietum und Snobismus. Wir versinken in Lethargie, weil der Luxus uns lähmt – deshalb wird es immer schwieriger, den Ansprüchen gerecht zu werden und die Zuschauer aus dem Koma zu wecken. Das ist Flucht und Segen zugleich.

Blinder Katholik in Teufelsküche

Netflix

Netflix

Nach den ersten 13 Episoden von Marvel’s Daredevil auf Netflix kann man sagen: Die Serie ist geglückt und macht Lust auf mehr. Das Cinematic Universe ist um einen Helden und einige Charaktere reicher.

Da hat man sein Jura-Studium mit Bravour beendet, sein Referendariat bei einer großen Kanzlei gemacht, doch statt seine Seele an den Teufel zu verkaufen und reiche Arschlöcher zu vertreten, macht man eben seine eigene auf, um den kleinen Mann zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Doch was tun, wenn all die hohen Ideale, die man als junger Mann hat, nicht einsetzen kann, weil die Klienten ausbleiben? Dann ist es von Vorteil, wenn man in der Kampfkunst trainiert ist: Man legt sich eine Maske zu und macht nachts die Stadt unsicher, um die bösen Buben zu verhauen. Das geht meist schneller, als die Mühlen der Justiz mahlen zu lassen. Man muss nur darüber hinwegsehen, dass es eigentlich gegen die Regeln ist, die man als Anwalt verteidigen will. Aber für einen Blinden dürfte das kein Problem sein.

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