Alan Moore

„Superheldenfilme schaden der Kultur“

Alan Moore (Bild: Arte)

Alan Moore (Bild: Arte)

 

Arte widmet Alan Moore eine achtteilige Webserie: „Beim Barte des Propheten„. In acht kurzen Videos äußert sich der Autor zu der Verwendung der „V wie Vendetta“-Maske durch die Hacktivisten Anonymous, zum Brexit und seiner Heimatstadt Northampton. Dabei distanziert er sich noch einmal von der Verfilmung seines Comics.

Im zweiten Teil gibt er sich kulturkritisch: „Wir brauchen eine Gegenkultur, damit unsere normale Kultur nicht stagniert oder ausstirbt“, sagt er. Diese habe es in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben. Besonders skeptisch äußert er sich über die Konjunktur von Comic-Verfilmungen: „Die derzeitige Flut amerikanischer Superheldenfilme tut unserer Kultur ganz und gar nicht gut“, sagt er. Superheldenfilme richteten die Kultur zugrunde. Sie stünden für eine Flucht in eine Fantasiewelt von Macht und Stärke, ihr Erfolg sei Zeichen unserer Infantilisierung, der Weigerung, erwachsen zu werden, das schade der Kultur und der menschlichen Vorstellungskraft. Außerdem zeige sich darin der Traum einer vermeintlich überlegenen weißen Herrenrasse.

Bemerkenswert daran ist, dass Alan Moore mit seinem Werk selbst zum Superhelden-Hype beigetragen hat, auch wenn er in seinen Comics wie Watchmen durchaus kritisch mit dem Sujet umgegangen ist.

Heldenblüte #2: Antihelden

Watchmen: Wir sind keine Helden.

Watchmen: Wir sind keine Helden. (Warner Bros.)

Die Kinogeschichte hat in den vergangenen 15 Jahren gezeigt, dass Helden nicht immer super sein müssen. Mit der neuen Qualität, die das Genre erreicht hat, übt es sich nicht nur in Selbstironie, sondern auch in Selbstkritik. Nachdem Marvel den Anfang gemacht hatte, legte DC mit Batman und Watchmen nach.

Der erste Kinobatman (in den 40er Jahren) war lieblos und billig, der zweite (in den 60er Jahren) bunt und schrill, aber auch albern und selbstironisch. Der dritte (von Tim Burton) war ein Fortschritt in Richtung Düsterkeit, aber immer noch comichaft überzeichnet. Mit den beiden Joel Schumacher-Filmen, Batman Forever und Batman & Robin, wurden alle Errungenschaften wieder über den Haufen geworfen und man fiel zum tumben Trash zurück. Aus dieser kreativen Sackgasse heraus half nur ein Neustart bei Null. Die von Marvel ausgelöste Renaissance der Superheldenfilme hatte vorgemacht, wie man Comics zeitgemäß adaptiert: indem man sie so ernst nimmt wie das Publikum. Nun musste Konkurrent DC Comics nachlegen.

Regisseur Christopher Nolan, der mit Memento Filmgeschichte geschrieben hatte, ging seinen Batman Begins (2005) ganz anders an: Er versuchte, seine Hauptfigur in die Realität zu holen – und zwar so glaubwürdig wie möglich. Das beginnt schon lange bevor man spitze Ohren und Gummimaske sieht. Nolan lässt sich zunächst viel Zeit dabei, Bruce Waynes Motive für seine Wandlung zu erklären. Zentrales Motiv ist die Angst. Wayne kämpft seit dem Sturz in die Höhle mit seinen Dämonen; er gibt sich die Schuld am Mord seiner Eltern. Folgerichtig ist Scarecrow der eine Schurke. Der andere ist Ra’s Al Ghul, der ihn lehrt, mit der Angst umzugehen. Es ist ein Geniestreich der Erzählökonomie, ihn zu Waynes Mentor zu machen, auch wenn das nicht den Comics entspricht. Schließlich bildet er auch in ethischer Hinsicht den perfekten Widersacher.

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Vollendete Universalpoesie

Was Comics können (Teil 5): Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons
DC Comics

DC Comics

Watchmen gehört (neben The Dark Knight Returns) zu den bedeutendsten Superhelden-Comics. Damit erreicht das Genre seinen Höhe- und Endpunkt. Alan Moore und Dave Gibbons ist nicht nur ein Comic gelungen, das die Konventionen des Mediums sprengt. Es ist – Universalpoesie.

Mitte der 80er Jahre, nach fast einem halben Jahrhundert von Superman, Batman und Co., kamen die Superhelden in eine große Krise, eine Sackgasse. Das Konzept schien sich nun definitiv überlebt zu haben. DCs Multiversum war ein unübersichtlicher Haufen voller Helden und Welten geworden, in dem kaum noch einer durchblickte und der durchsetzt mit Brüchen war. Also beschloss man, reinen Tisch zu machen. 1985 wurde mit der zwölfteiligen Mini-Serie Crisis On Infinite Earths eine Schlacht eröffnet, bei dem im DC-Universum gründlich aufgeräumt wurde. Alte Helden starben, viel Unsinn (wie Superkatzen, -hunde und -pferde) wurde beseitigt. Derartig radikal entrümpelt war der Verlag offen für neue, frische Ideen.

In dieser Zeitenwende entstanden zwei größere Comic-Werke, die heute zum Kanon gehören und oft auch zusammen genannt werden – als Paradebeispiele für ernsthafte, erwachsene Superhelden-Storys: Frank Millers Batman-Dystopie The Dark Knight Returns (1986) und Alan Moores/Dave Gibbons‘ Watchmen (1986-1987). Beide Mini-Serien gelten als Abrechnungen mit dem Superheldengenre. Es sind Bankrotterklärungen: an hehre Ziele, Ideale und Heldentum. Es sind die beiden Endpunkte des Genres, Abgesänge und Totenfeiern – und die Säulen einer neuen Ära der ständigen Selbstzweifel und Rechtfertigungsversuche. Die Helden dieser Zeit werden zu Anti-Helden, Zynikern mit zweifelhaften Methoden, die selbst vor Folter und Mord nicht mehr zurückschrecken. Das entspricht einer Mode des sogenannten Modern Age (oder Dark Age, wie Grant Morrison es nennt): Die Helden sind so abgefuckt wie die Gesellschaft, die sie zu schützen versuchen. Eigentlich sind sie damit auch keine Helden, sondern bloß andere Freaks und Außenseiter, die die Drecksarbeit übernehmen, um wenigstens die schlimmsten Auswüchse einer verkorksten Welt zu beseitigen. Die Logik dahinter ist so einfach wie brutal: Der Abschaum rottet sich selbst gegenseitig aus.

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Warum Comics keine Graphic Novels sind

(Montage: Fragmenteum)

Eine Ära ist zu Ende gegangen: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat im November 2014 ihren täglichen Comicstrip eingestellt. Nach vielen großartigen Geschichten wie Ralf Königs Prototyp oder Flix‘ Faust (und auch belanglos-geschwätzigem Müll wie Strizz, der ebenfalls seine Fans hatte) muss diese Form der Autorenförderung eingespart werden. (Nach Leserprotesten erscheint Strizz jedoch wieder.) Aber die bloße Tatsache, dass die konservative FAZ 14 Jahre lang Comics publiziert hat, zeigt, dass ein in der deutschen Kulturszene lange vernachlässigtes Medium salonfähig wird.

Ich schreibe: wird. Denn Comics haben in Deutschland längst nicht den Stellenwert wie etwa in Frankreich. Comics sind hier etwas für Kinder (Micky Maus) und pappengebliebene Nerds (Superhelden), Erwachsene lesen Asterix und Donald Duck höchstens noch auf dem Klo – und das nur zur Belustigung. Aber der Markt wächst. Vor allem im Bereich „Graphic Novel“. Das meint: gebundene Bücher mit düsteren Zeichnungen und reiferen Themen – Comics für Erwachsene. Der Begriff soll die Comics von ihrem schlechten Ruf als albernen Schund lösen. Novel – das klingt nach (gehobener) Literatur. Und genau das ist falsch.

Comics sind mehr als nur bebilderte Texte

Comics sind eine Form des Erzählens. Aber keine literarische. Auch wenn man sie zum Teil lesen kann, auch wenn sie sich der Schrift bedienen, auch wenn sie zu Büchern gebunden werden – der Comic hat mit der Tradition des Romans nichts zu tun. Seine Ursprünge sind bildlicher Art. Nach der mündlichen Erzählung ist die bildliche die älteste Form des Erzählens. Erst viel später kam die schriftliche. Und bis zur allgemeinen Alphabetisierung blieb das Bild auch die geläufigere Form. Das Volk konnte sich den Kreuzweg in den Kirchen in Bilderfolgen ansehen, bevor es lernte, in der Bibel zu lesen. Comics sind aber mehr als nur Text mit Bildern oder illustrierte Geschichten. Oft gehen Text und Bild eine gleichberechtigte Verbindung ein. Aber Comics funktionieren auch ganz ohne Text (andersherum geht es nicht). Diese visuelle Komponente ist die entscheidende, die gehorcht eigenen Gesetzen, bedient sich anderer Mittel. Auch wenn durch die schriftliche Komponente eine gewisse Ähnlichkeit zur Literatur gegeben ist, funktionieren Romane, Dramen und Gedichte ganz anders.

Kurzum: Der Comic stammt nicht vom Roman ab. Vielmehr dient Novel hier als Metapher für eine gedruckte Geschichte, die umfangreich genug ist, um als Buch gebunden zu werden. Und nicht zuletzt ist das auch ein Verkaufsargument für eine bestimmte (elitäre) Zielgruppe. Graphic Novel und Comic – das verhält sich zueinander wie Roman und Groschenheft. Die Abgrenzung zeugt von dem Vorurteil, das Medium mit seinem Inhalt, den Boten mit der Botschaft zu verwechseln. Ja, die meisten Comics sind Schund. Aber das gilt für die meisten Romane auch. Auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten steht meist Reißerisches wie Krimis, Thriller oder historische Romane, oder Seichtes wie Romanzen. Thomas Pynchon findet man dort selten. Ebenso wird sich ein anspruchsvolles, weil hochkomplexes Comic wie Jimmy Corrigan nie so gut verkaufen wie die jüngsten Bände der Serie Batman (wobei die auch ziemlich gut ist).

Der Begriff „Graphic Novel“ schadet mehr als er nützt

Comics als Literatur zu bezeichnen, hat den Zweck, sie zu adeln – was aber im Umkehrschluss bedeutet, dass sie grundsätzlich als Mist gelten. Tut man das gleiche mit Filmen? Nein. Aber mit Fernsehserien. Breaking Bad, The Wire und House of Cards heißen dann „Quality TV“ oder man hört die neue, aber schon abgedroschene Phrase von den „Romanen des 21. Jahrhunderts“. Fernsehen und Comics sind die Medien, von denen die Hochkultur glaubt, ihr immer noch mit wohlklingenden Labels in ihrem Ansehen auf die Sprünge helfen zu müssen. In der Musik ist der Graben zwischen Elite und Pop längst ausgehoben und die beiden Bereiche in E und U geteilt, als ob Klassische Musik nicht unterhaltsam sein könnte (und müsste) und Popmusik nicht ernstzunehmen wäre (oder sein könnte), aber das argumentativ untermauern zu wollen, wäre vergebliche Mühe. Um über den Verdacht des Trivialen erhaben zu sein, heißt es: Wir schauen keine Serien, wir lesen keine Comics, sondern wir rezipieren filmische oder grafische Romane. Als ob das Label etwas an der Sache ändern würde.

Ein Faktor, der dazu beiträgt, Comics in die Nähe von Literatur zu rücken, ist die Adaption. Neuerdings kann man Kafka und sogar Proust als „Graphic Novel“ lesen. Nun sind Adaptionen nicht grundlegend verwerflich: Das Kino hat schon immer Literatur als Vorlage benutzt, nicht immer erfolgreich, aber oft mit eigenständigen formalen Ansätzen, manchmal werden die Vorlagen sogar übertroffen. (Dennoch kommt niemand auf die Idee, diese Filme literarisch zu nennen.) Bei „Graphic Novels“ allerdings wirken Literaturadaptionen – allein wegen dieses Labels – wie Romane für Analphabeten, Zurückgebliebene, Kinder oder Lesemuffel. Wer keine Lust hat, sich durch tausende Seiten Proust zu kämpfen, kann auch zur bebilderten Schmalspurvariante greifen. Kluge Comic-Künstler sind sich dessen bewusst, dass bei Adaptionen etwas verloren geht und sie selbst etwas Eigenes herstellen. Aus Konsumentensicht wirken Comics aber wie Hilfsmittel, um Literatur bildungsfernen Schichten näher zu bringen. Und das schadet dem Ansehen des Mediums Comic.

Ein Begriff ohne Alternative

Ein Argument gegen den Begriff Comics ist, dass das Wort die Assoziation wecke, es handle sich dabei um komische Werke und das nicht auf alle zutreffe. Das Argument hinkt jedoch. Comic ist ein historisch bedingter und etablierter Begriff, für den es keine richtige Alternative gibt außer vielleicht Manga im Japanischen oder Bildergeschichte im Deutschen (wobei jetzt Verfechter der Sprechblasen einwenden werden, das sei ja ganz was anderes – aber da bin ich anderer Meinung). Mit der gleichen Begründung könnte man den Begriff Roman aushebeln, da es nicht mehr wie ursprünglich „in romanischer Volkssprache“ bedeute. Abgesehen davon haftete dem Roman als nicht-kanonischer Gattung ebenfalls lange, nämlich bis zum 18. Jahrhundert, der Ruf der banalen Volksbelustigung an. Heute ist es andersrum: Der Begriff hört sich nach Goethe und Thomas Mann an und ist meistens bloß 50 Shades of irgendwas. (Ebenso wenig trifft die englische Novel die ursprüngliche Bedeutung von „neu“.)

Der Comic-Pionier Will Eisner hat 1978 sein Buch A Contract With God „Graphic Novel“ genannt, damit sein Werk von potenziellen Verlegern ernst genommen wird. Dabei handelt es sich um keine große, ausufernde Erzählung, sondern um vier Erzählungen. Der Begriff wird also in mehrerer Hinsicht unscharf gebraucht. Selbst wenn ein Comic in gebundener Form erscheint, ist noch längst nichts über die Kohärenz seines Inhalts gesagt. Eine „Graphic Novel“ könnte genausogut eine Sammlung von „graphic short stories“ oder „graphic novellas“ sein – aber auch das führt in die Irre. Comics sind nun mal keine grafische und schon gar keine illustrierte Literatur. Comics sind genauso wenig Literatur wie Film nur „abgefilmtes Theater“ ist.

Der Begriff dient allein dem Marketing für bestimmte Zielgruppen. Die eigentliche Frage hinter der Debatte ist, wie Begriffe konnotiert sind. Wenn man Comics nicht per se als albern begreift, muss man auch nicht mehr von „Graphic Novels“ sprechen. Um es mit Alan Moore, einem der Urväter moderner „Graphic Novels“ (wie Watchmen), zu sagen: „The term ‚comic‘ does just as well for me.