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Father Fred, ein alter Pfarrer, übernimmt eine Gemeinde in Gideon Falls, einem kleinem Ort auf dem Land. Nicht nur der Alkohol ist sein Problem: In der ersten Nacht erscheint ihm sein Vorgänger, der eigentlich tot sein müsste, er folgt ihm ins Kornfeld, sieht eine schwarze Scheune aus dem Nichts auftauchen und verschwinden, kurz darauf liegt eine Leiche vor ihm. Er gerät unter Mordverdacht. Niemand glaubt ihm …
Aber da gibt es noch Norton, einen jungen Mann, der in einer größeren Stadt den Müll nach alten Holzsplittern und Nägeln durchsucht. Er sammelt die Teile, um daraus eine schwarze Scheune zu bauen, ein Bild, das ihn seit der Jugend verfolgt. Norton hat offenbar psychische Probleme, geht zur Therapie, aber auch seine Therapeutin glaubt ihm nicht – bis sie selbst Dinge sieht, die sie sich nicht erklären kann.
Autor Jeff Lemire hat so ziemlich jedes große Comic-Genre abgegrast: Science-Fiction, die Dystopie, Superhelden und das ganz bodenständige Drama. Mit der Serie Gideon Falls traut er sich (wie schon bei The Underwater Welder) in den Bereich von Horror und Mystery vor. Das Thema Wahnsinn ist ihm seit Moon Knight nicht fremd, und traurige, gebrochene Charaktere sind ohnehin schon immer sein Spezialgebiet gewesen. Hier bringt er alles zusammen, und wieder auf dem Land, wo auch schon Essex County und Black Hammer spielen.
Man merkt an Gideon Falls, dass Lemire ein Twin Peaks-Fan ist: Die schwarze Scheune erinnert als Ort des Bösen an die schwarze Hütte (black lodge) aus der Serie von David Lynch, hier wie da gelten eigene, zunächst undurchsichtige Gesetze. Es gibt auch hier eine Geheimgesellschaft von Lokalhelden, die dagegen kämpft (Ploughmen), in Twin Peaks sind es die Bookhouse Boys, der Held ist in beiden Fällen ein Fremder von außen, und wenn eine Schachtel eingewickelt in Folie erscheint („wrapped in plastic“), muss man einfach unweigerlich an die tote Laura Palmer denken. Die Anleihen sind jedoch nur angedeutet. Lemire bringt so viel eigene Phantasie ein, dass seine Geschichte auf eigenen Füßen steht. Gekonnt baut er Spannung auf und überrascht in jedem Kapitel mit neuen Enthüllungen, die zeigen, dass hinter der Oberfläche eine umfangreiche Mythologie mit vielen Schaurigkeiten steckt.
Ein wichtiger Träger der Geschichte sind die Bilder, die Andrea Sorrentino für sie findet. Lemire hat bereits an Green Arrow und Old Man Logan mit dem Italiener zusammengearbeitet, aber hier übertrifft sich der Künstler mal wieder selbst. Sorrentino hat einen Sinn für düstere, beklemmende Stimmungen, das er hier mit harten Schatten, unruhigen Schraffuren und furchterregende Gestalten voll ausleben kann, ganz besonders den mysteriösen, jokerhaft grinsenden Mann, der immer wieder starrend aus der Finsternis auftaucht.
Sorrentino beweist hier aber auch sein Faible für ungewöhnliche Perspektiven und experimentelle Layouts. In Gideon Falls gibt es immer wieder Doppelseiten, in denen die Panels zersplittern und sich überlappen, sie erscheinen kreisförmig, wellenförmig und einmal sogar in einer Reihe von Würfeln, die auf jeder Seite eine Sequenz aus einer anderen Perspektive zeigen. Manche Seiten sind regelrecht überflutet von unzähligen winzigen Panels, man muss ganz genau hinschauen, einige Male muss man das Heft oder Buch sogar drehen, um der Handlung folgen zu können.
So wird das Lesen selbst zu einem einzigartigen Erlebnis, weil man sich nicht nur ständig fragt, was als nächstes passiert, sondern auch die Form hat etwas beunruhigend Unstetes an sich, sodass man sich in diesem Comic ständig neu einrichten muss. Sorrentino fordert die Leser visuell heraus, dank ihm bekommt die Geschichte eine größere Tiefe und lässt erahnen, dass da noch viel mehr kommen wird, worauf man sich freuen kann – oder besser gesagt: Was man fürchten muss. Ohne zu wissen, welche Wendungen die Story in den nächsten Bänden nehmen wird, kann man sagen: Gideon Falls ist jetzt schon ein Meisterwerk der Comic-Kunst.
>> Jeff Lemire/Andrea Sorrentino: Gideon Falls Vol. 1: The Black Barn, Vol. 2: Original Sins, Image Comics 2018/2019 (dt. Gideon Falls Bd. 1: Die Schwarze Scheune, Splitter Verlag 2019; Band 2 erscheint im September).
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