literatur

Die Ökonomie des Erzählens

Was Comics können (Teil 9): Fun Home von Alison Bechdel
Bild: Carlsen Verlag

Bild: Carlsen Verlag

Erzählen ist eine Frage der Ökonomie. Es kommt es auf das richtige Haushalten an. Wie gut eine Geschichte funktioniert, hängt im Wesentlichen davon ab, wann man welche Informationen preisgibt. Der Krimi zum Beispiel lebt davon, dass man nicht weiß, wer der Mörder ist – das hält den Leser bei der Stange. Der Krimi ist daher etwas wie die Genese einer Geschichte: die Ermittler müssen rekonstruieren, was passiert ist. Doch auch sonst empfiehlt es sich nicht, eine Geschichte chronologisch zu erzählen, weil es viel interessanter ist, eine Figur erst im Laufe der Geschichte kennenzulernen und nicht schon von Beginn alles über sie zu wissen.

Alison Bechdel vollendet dieses Prinzip in Fun Home. In ihrem autobiografischen Buch, das ihre Familiengeschichte, vor allem ihre Vater-Tochter-Beziehung beschreibt, geht sie nicht chronologisch vor, sondern springt in sieben Kapiteln ständig in der Zeit, um das schwierige Verhältnis greifbar zu machen. Immer wieder nähert sich die Erzählerin ihrem Vater neu an, jedes Kapitel ist einem anderen Aspekt gewidmet. Zunächst führt sie den Vater als gefühlskalten und zugleich cholerischen Tyrannen ein, zugleich als pedantischen Inneneinrichter und Hobbyhandwerker, der das Familienhaus zu einem Museum mit period rooms gestaltet und in dem die Kinder nur Staffage sind. Das Haus der Bechdels wirkt steril wie ein Museum, der Vater behandelt „Möbel wie Kinder und seine Kinder wie Möbel“, ein perfekt geschmückter Raum gleicht einem „Stillleben mit Kindern“. Dann, im zweiten Kapitel, wird nachgereicht, dass der Vater nicht nur Englisch-Lehrer, sondern auch Bestatter ist. Das Fun Home ist die Kurzfassung für Funeral Home, in dem Alison und ihre beiden Brüder einen unverkrampften, geradezu spielerischen Umgang mit dem Tod lernen. Und ab dem dritten Kapitel wird die geheim ausgelebte Homosexualität des Vaters beschrieben. Später wird erzählt, wie er vor Gericht landete, weil er einem Minderjährigen Bier gekauft hat. Nach und nach fügt sich aus den Einzelteilen ein Gesamtbild – wenn auch ein widersprüchliches, dafür ein umso realistischeres.

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