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Mark Millar: The Secret Service – Kingsman

Wenn Menschen eine Verfilmung gesehen haben, heißt es meistens: Das Buch war viel besser. Aber das ist nicht immer so. Manchmal liefern Bücher nur eine Vorlage für ein ganz neues Werk eigenen Rechts. Und manchmal dienen sie nur als Inspirationsquelle für Filme, die sie an Qualität sogar übertreffen.

So ist es auch bei The Secret Service von Mark Millar und Dave Gibbons, das als Kingsman adaptiert wurde. Ein Nichtsnutz aus der englischen Unterschicht wird zum Super-Geheimagenten und rettet die Welt. Das ist kurzgefasst die Story. Wenn man die beiden Werke vergleicht, sieht man so große Unterschiede, dass Comic und Film völlig eigenständig sind. Und das ist bemerkenswert. Schon Wanted wurde so verfilmt, dass der Comic lediglich als Inspirationsquelle gelten konnte, aber im Grunde hatte der Film nichts mit der Vorlage zu tun. Hier aber nimmt sich der Film die Grundidee und baut sie sogar zu einem viel stimmigeren Werk aus, das zum einen viel überdrehter – also comicmäßiger -, zum anderen aber auch glaubhafter als das Original ist.

Dabei beginnt der Comic zunächst stärker. Hier ist es Mark Hammil (Luke Skywalker) persönlich, der von den Bösen entführt werden soll. Seine Entführer fragen ihn nach seiner Meinung zu den Star Wars-Prequels, er wird gerettet, aber die Rettung scheitert kläglich – eine wunderbare Sequenz voller schrägem Humor. Im Film kommt zwar Mark Hamill vor, aber nicht als er selbst: Er spielt nur einen Wissenschaftler. Das ergibt für den Plot mehr Sinn, aber leider fehlt auch der tolle Abschluss der Szene.

Wie der Agent Jack London den jungen Eggsy rekrutiert, wird im Film jedoch glaubwürdiger gemacht. Hier wie da müsste er längst über das Alter hinaus sein, in dem man sich noch zu einem Super-Agenten formen lassen kann. Aber im Film wird der junge Mann als geistig und körperlich ziemlich fit eingeführt, während er im Comic bloß vor der Spielkonsole sitzt. Im Film sieht man mehr von der Ausbildung, während im Comic ein Großteil davon übersprungen wird, um die Handlung voranzutreiben.

Was der Film viel stärker zelebriert, ist der englische Stil, in Kleidung und Accessoires, der so sehr übertrieben wird, dass er vom Klischee zum Inbegriff der Coolness wird. Wenn Colin Firth eine Bar voller Rüpel vermöbelt, ist das dank Schirm und herrlicher Choreografie so beeindruckend, dass die kurze Sequenz im Comic da nicht mithalten kann. Gleiches gilt auch für das spätere Gemetzel. Im Comic testet der Schurke seine Waffe, indem er bei einer Massenhochzeit die Paare sich gegenseitig umbringen lässt, im Film wird stattdessen eine Kirchengemeinde zu blutrünstigen Zombies verwandelt, was eine viel gewagtere Botschaft sendet. Allerdings: Auch bei der Hochzeit heißt es, es sei besser, die Paare würden sich schon jetzt als erst nach Jahren an die Gurgel gehen.

Im Comic ist der Schurke ein blasser Nerd, der die Menschheit dezimieren will, um den Weltuntergang aufzuhalten, im Film bekommt die Figur dank Samuel L. Jacksons Darstellung mehr Charakter: Er lispelt und lässt sich McDonald’s-Burger liefern. Statt der Bodyguards ist es im Film seine Gefährtin, die auf Prothesen herumläuft – und diese auch noch als Waffen einsetzt.

Comic und Film ergänzen sich in vielen Aspekten, aber am Ende muss man feststellen: The Secret Service ist eines von Mark Millars schwächeren Werken. Auch weil Dave Gibbons (Watchmen) Zeichnungen etwas altbacken aussehen. Umso bemerkenswerter ist, dass aus dem Stoff ein Film gemacht wurde, der das Beste übernimmt und sich so frei davon macht, etwas zu erschaffen, das wie eine stärkere Version des Comics wirkt. Ein Kondensat, eine Essenz, die länger in Erinnerung bleibt.

>> Mark Millar/Dave Gibbons: The Secret Service – Kingsman

Mark Millar: Supercrooks

Marvel Comics

Kaum ist der Supergauner Johnny Bolt aus dem Knast raus, plant er schon das nächste Ding. Aber nicht irgendein Ding. Das Ding schlechthin. Eins für die Geschichtsbücher. Und dann noch eins für einen guten Zweck. Denn Johnnys alter Mitstreiter Carmine hat sich mit fiesen Casino-Gangstern angelegt, wollte sie um zwölf Millionen Dollar betrügen und jetzt soll er ihnen als Wiedergutmachung innerhalb eines Monats 100 Millionen Dollar bringen. Johnny trommelt noch ein paar Kollegen zusammen und zwingt sogar einen Superhelden, Guardian, dazu, ihnen zu helfen. Das Ziel: The Bastard. Der berüchtigteste Superschurke der Welt. Er hat sich mit 800 Millionen Dollar auf Teneriffa zur Ruhe gesetzt. Aber der Schein trügt.

„Ocean’s Eleven trifft X-Men“ lautet die Formel, mit der Supercrooks beworben wird – aber das trifft es nicht ganz, denn gehört noch ein drittes Element dazu: Mark Millar. Und das bedeutet (wie schon bei Wanted oder Nemesis) viel extreme Gewalt. Viel Blut, abgetrennte Körperteile und explodierende Schädel. Und wie immer pendelt die Gewalt irgendwo zwischen Grausamkeit und schwarzem Humor, oft an der Grenze des guten Geschmacks.

Doch wenn Millar eins raus hat, dann ist es die Formel für gute, kurzweilige Unterhaltung. Sympathische Charaktere, die sich viel trauen. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Mark Millar nach all den Jahren auch mit seinen eigenen Comics dem Genre der Superhelden treu bleibt: Er kann immer wieder ins Extrem gehen und das Genre neu definieren.

Leinil Yu, der auch Superior gezeichnet hat, beweist mit seinem Stil erneut viel Liebe zum Detail, Dynamik und zu großen Brüsten. Der Heist an sich ist leider nicht so smart wie angekündigt: Im Grunde arbeitet sich das Team bloß von Hindernis zu Hindernis und jeder darf sich mal behaupten. Aber am Ende macht die obligatorische überraschende Wendung alles wieder gut. Und so darf auch Schurken ein überaus glückliches Happy End gegönnt sein.

Mark Millar: Nemesis

Nemesis

Marvel Comics

Denken wir uns den ultimativen Schurken. Schlauer als Lex Luthor, tödlicher als der Joker, böser als Darth Vader – und dann hat man immer noch nicht Nemesis. Der weißgekleidete Super-Schurke, den sich Mark Millar (The Magic Order, Prodigy) ausgedacht hat, ist so böse, so respektlos und allen so überlegen, dass es schon beim Lesen wehtut. Gleich zu Beginn lässt er in Japan einen Hotelturm einstürzen, einen Mann vom Schnellzug zerfetzen und am Ende kracht der Zug auch noch samt Insassen in den Abgrund. Doch das war nur zum Aufwärmen, denn Nemesis hat in den USA noch größeres vor: Er kidnappt den Präsidenten und erklärt dem Polizeichef von Washington D.C., Blake Morrow, dass er bald sterben werde. Nemesis will sich rächen, dass Morrow ihm einst seine Eltern genommen hat – die ebenfalls schon ein Faible für sinnloses Morden von Unschuldigen hatten.

Wie immer, ist das, was Millar auffährt, ohne Grenzen. Er kennt als Autor keine Hemmungen, was Gewalt und Moral angeht. Und so ist auch Nemesis ein einziges Gemetzel, allerdings so hyperrealistisch von Steve McNiven gezeichnet, dass man nur schwer wegsehen kann. Die Stimmung wird immer paranoider und klaustrophobischer, man fühlt sich zuweilen an den Joker aus Nolans The Dark Knight-Film erinnert, der Batman immer zwei Schritte voraus ist. Nemesis ist seinen Gegnern mindestens drei Schritte voraus – und das macht diesen Schurken so frustrierend. Das Schlimmste jedoch, das weiß Millar sehr gut, passiert ihn den Köpfen seiner Leser – deshalb reicht es auch, dass er für seine furchtbarste Fantasie, das was mit Morrows Kindern passiert, mit Bildern verschont. Das war ein so schockierender Moment für mich, dass ich das Heft für einen Moment weglegen musste, bevor ich weiterlesen konnte.

Aber wie immer geht Millar den Weg des Allerschlimmsten nur, um ein versöhnliches Ende für seinen Helden zu finden. Der Karrieretyp, der seine Familie vernachlässigt hat, lernt seine Scrooge-Lektion. Und trotzdem bleibt nach all dem Massenmord und Leid ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Pointe, die Millar findet, ist eine höchst zynische. Der größte Schurke ist nicht Nemesis, sondern die Organisation, die ihn möglich gemacht hat. Die Erkenntnis lautet: Wer reich ist, kann sich alles leisten. Wirklich alles. Und jeden. Und das hat dann wiederum so sehr mit unserer echten Welt zu tun, dass man auch ganz ohne reale Superschurken Angst bekommen kann.

>> Mark Millar/Steve McNiven: Nemesis, Marvel 2012.

Mark Millar: Prodigy

Prodigy (Cover)

Image Comics

Edison Crane ist ein wahres Wunderkind. Er ist nicht nur ein hervorragender Polospieler. Als er von seinen Mitschülern aus Neid verdroschen wird, revanchiert er sich, indem er übers Wochenende mehrere Kampfsportarten lernt – und zwar nur durchs Fernsehen. Später operiert er ein Kind am offenen Herzen. Als Erwachsener entwickelt er eine Rakete, um einen Asteroiden von der Erde abzuwehren – und das während er acht Schachpartien gleichzeitig spielt. Und zum Zeitvertreib führt er die waghalsigsten Stunts durch, die sich Kinder ausdenken. Klar, dass er die erste Wahl ist, wenn es darum geht, die Welt zu retten.

Mark Millar (The Magic Order) beweist mit Prodigy mal wieder, dass er selbst noch ein Kind geblieben ist – und ein Wunderkind obendrein. Seine Fantasie ist nahezu unerschöpflich und er ist auch ein Meister der Übertreibung. Sein Edison Crane entspricht des naiven Wunschtraums eines Alleskönners, der jede noch so brenzlige Situation meistert, er ist James Bond, Ethan Hunt, Indiana Jones und McGyver in einem. Aber die Coolness, mit der er das erledigt, lässt auch einen makellosen Überflieger wie ihn sympathisch erscheinen.

Wir sehen, wie der Held mit einer CIA-Agentin um die Welt reist, um einen Plan zusammenzustückeln, den böse, empathiefreie Menschen von einer kaputten Parallelwelt schmieden, um über unsere Erde herzufallen. Crane klappert so ziemlich alle archäologischen Stätten ab, kämpft gegen Haie und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ und räumt nebenbei noch Millionen beim Pokern ab. Es ist ein Heidenspaß, ihm dabei zuzusehen, auch weil Rafael Albuquerque (Huck, Ei8ht) mit seinen dynamischen und ausdrucksstarken Zeichnungen die Rasanz der Story noch steigern. Die knalligen Farben von Marcelo Maiolo machen jede Seite zum Hingucker.

Dass Millar keine Skrupel vor Tabus hat, zeigt er in einer Sequenz, in der die Schurken eine sadistische Jagd auf Kinder machen. Seiten wie diese bringen eine Drastik in die Geschichte, die den sonst unbeschwerten Stil radikal brechen. Ein typischer Millar eben. Auch wenn das Ende für ihn typisch und damit formelhaft anmutet (der Held ist dem Schurken um mehrere Schritte voraus), ist Prodigy doch smart genug, um in der langen Reihe von Millarworld-Titeln zu bestehen. Man darf sich darauf freuen, was Netflix aus dem Stoff machen wird.

>> Mark Millar/Rafael Albuquerque: Prodigy – The Evil Earth, Image 2019.

Mark Millar: MPH

Cover zum Comic MPH

Image Comics

Wer einen miesen Start hat, muss nicht gleich das Rennen schmeißen. Roscoe will sich jedenfalls nicht unterkriegen lassen, nur weil er aus dem armen Detroit stammt. Okay, er verdient sein Geld, indem er für einen Dealer Drogen abliefert, aber dafür sammelt er 80 Prozent seiner Einnahmen, um einmal ein eigenes, ehrliches Unternehmen aufzubauen und endlich dem Elend zu entkommen. Dumm nur, dass er dabei im Knast landet. Fünfzehn Jahre. Fünf, wenn’s gut läuft.

Doch dann wirft er eine geheimnisvolle Pille namens MPH ein und plötzlich scheint die Zeit stillzustehen. Denn Roscoe bewegt sich so schnell, dass er mühelos und unbemerkt ausbrechen kann. Zuerst nimmt er Rache an dem Dealer, der ihn verraten hat. Dann raubt er dank MPH mit seinen Freunden ein paar Banken aus und verschafft sichd das Leben, von dem er immer geträumt hat. Zehn Prozent verteilt er an die Armen. Damit haben nicht nur die Behörden ihre Probleme, auch ein Freund sträubt sich dagegen. Alles wird noch schlimmer, wenn einer der Freunde eine Überdosis nimmt und plötzlich in der Vergangenheit landet …

Das Thema von schnelllaufenden Supermenschen ist seit Flash, Quicksilver und Co. ein alter Hut. Und trotzdem schafft es Mark Millar, das Motiv neu zu beleben, indem er seine Helden zu Gaunern macht, Gauner mit einem sozialen Gewissen. Bei dem Erzähltempo, das Millar hier wie üblich hinlegt, kommt der sozialkritische Aspekt etwas zu kurz. Es wird mehr darüber gesprochen, als dass die Probleme in Detroit greifbar werden. Und auch die Charaktere könnten ausgereifter und damit interessanter sein. Wie so oft bei Millar sind sie zwar lebensnah, aber bleiben austauschbar.

So hetzt Millar durch eine zwar wohlkonstruierte und dynamisch gezeichnete Geschichte, die sich zwar flüssig lesen lässt und am Ende ebenso überrascht wie befriedigt, aber nicht lange im Gedächtnis bleiben wird.

>> Mark Millar/Duncan Fegredo: MPH, Image Comics 2015 (dt. MPH – Schnelle Pillen, Panini 2016).

Mark Millar: American Jesus

Jodie ist ein ganz normaler Zwölfjähriger in den USA – bis plötzlich ein Lastwagen auf ihn fällt. Anders als der Fahrer, der im Koma landet, trägt Jodie nicht einen Kratzer davon. Danach ist er plötzlich sehr gut in der Schule, er weiß auf jede Frage die richtige Antwort, ohne dass er etwas davon je gelernt hätte.

Jodie fragt sich, ob er vielleicht ein Mutant ist, wie die X-Men. Seine Eltern sehen gewisse Parallelen zu einem anderen „Superhelden“: zu Jesus. Auch der konnte mit zwölf Jahren plötzlich die Schriftgelehrten belehren. Könnte Jodie der nächste Christus sein? Es spricht vieles dafür: Jodie hat keinen leiblichen Vater, er kann Wasser in Wein verwandeln und er heilt sogar Krankheiten. Die Menschen strömen zu ihm herbei, um sich helfen zu lassen. Sie glauben an ihn. Aber ausgerechnet der Pfarrer der Gemeinde hat seine Zweifel an der Sache …

Mark Millars American Jesus ist dreist. Aber nicht so dreist, wie es zunächst scheint. Millar stellt die Frage: Was wäre, wenn einer wie Jesus heute auftreten würde? Seine Antwort fällt ausgesprochen human aus. Anders als in seinen anderen Comics überschreitet er hier nie die Grenzen des guten Geschmacks. Ihm geht es nicht darum, die Abgründe der Kirche zu zeigen, keine schlagenden Nonnen und perversen Priester, sondern um die Grundfrage des Glaubens. Er spart sich die üblichen Gewaltorgien und auch billige Provokation durch Blasphemie.

Millar entlarvt den menschlichen Makel, nur dann zu glauben, wenn man Zeuge von Wundern wird. Und zugleich erweist sich der Zweifel als berechtigt, weil Wunder allein noch keinen Heilsbringer machen. Die Auflösung, die Millar am Ende findet, wirkt nur auf den ersten Blick gewagt. Tatsächlich ist es nur konsequent gedacht, wenn sich der neue Jesus als etwas ganz anderes herausstellt, als man gedacht hat. Der Autor lässt vieles offen, besonders die Frage, ob es ein gutes oder schlechtes Ende ist und überhaupt die Antwort darauf, wer hier gut oder böse ist. Sein Jesus ist eben ein amerikanischer Jesus – und das allein spricht für sich.

>> Mark Millar/Peter Gross: American Jesus. Book One: Chosen, Image 2004, Neuauflage 2016.

Mehr von Mark Millar:

 

Mark Millar: The Magic Order

the magic order

Image Comics

Wer nach Harry Potter eine Geschichte über Zauberei erzählen will, hat es schwer. Ob man ihn mag oder nicht: Harry Potter hat Maßstäbe gesetzt. Während das Franchise allerdings eingeht, weil es mit lahmen Filmen über „Fantastische Tierwesen“ zu Tode geritten wird, versucht es Netflix mit Sabrina und Mark Millar (Superior, Huck, Reborn) wagt mit The Magic Order einen Ansatz für Erwachsene.

Wobei, was heißt bei ihm schon wagen? Wenn Millar für eins bekannt ist, dann ist es seine Furchtlosigkeit beim Schreiben. Gleich zu Beginn erweist er sich als äußerst kreativ dabei, einen Mord zu inszenieren. Zwar lässt er sich eine Chance entgehen, sein Opfer beim Sex zu töten, er lässt den magischen Mörder brav abwarten, bis das Liebesspiel zu Ende ist, aber nur um etwas Unerhörtes zu tun: Er lässt ein Kind seinem eigenen Vater ein Messer in den Kopf rammen.

Nein, Millar kennt wirklich kein Tabu. Und wenn, dann nur um es zu brechen. Drastisch geht die Story weiter: Eine böse Zauberin, Madame Albany, tötet einen guten Zauberer nach dem anderen. Ihr Ziel ist es, selbst den „Magic Order“ übernehmen, der die Menschheit im Geheimen vor bösen Mächten schützt. Und dank ihres hochbegabten maskierten Attentäters, dem Venetian, gelingt der erste Teil des Plans auch zunächst. Es passiert eine Reihe sehr fies konstruierter Morde, bis am Ende die vier Familienmitglieder dran sind: der Vater, zwei Söhne, die Tochter Cordelia.

Wie üblich wird bei Millar viel gemetzelt und geflucht, es gibt übertriebene Gewalt und die typische durchgeknallte Schurkin, und bei all dem gibt es auch immer wieder etwas zu lachen. Besonders die flotten Sprüche und die kühnen Entfesselungsaktionen von Cordelia, dem schwarzen Schaf der Familie, sorgen für den Humor, der die Story bei aller Brutalität auflockert. Wie immer liegen aber Witz und Tragödie sehr nah beieinander, sodass es Millar immer wieder schafft, auch Empathie für seine Figuren zu wecken.

magic order 3

Image Comics

Dank der Zeichnungen von Olivier Coipel ist The Magic Order auch etwas fürs Auge: Der präzise Strich mit seiner Liebe zum Detail lässt Figuren lebensnah erscheinen, während die düsteren Charaktere sehr abgründig inszeniert werden.

Leider enttäuscht Millar mit seiner Geschichte am Ende. Die Motivation des Mörders wirkt etwas weit hergeholt und die Lösung des Problems ist zu sehr Deus ex machina. Millars Problem ist häufig ein abgehetzter Erzählstil, der zwar nie langweilig wird, aber auch dazu führt, dass er sich nur sechs Ausgaben Zeit lässt, um in immer neue Welten einzuführen und seine Story zu erzählen. Dadurch wird man stets dann hinausgeworfen, wenn man sich gerade darin eingefunden hat.

Zwar steht auf dem Rücken des Bandes auch hier eine „1“, aber selten folgt ein zweiter Teil (außer bei Kick-Ass und Jupiter’s Circle/Legacy). Weil aber Netflix Millarworld gekauft hat und The Magic Order bereits unter dem Netflix-Label läuft, ist davon auszugehen, dass der Comic bald zur Serie adaptiert und spätestens dann auch fortgesetzt wird. Und wer weiß, vielleicht wird es dann wirklich etwas wie ein neuer Harry Potter. Einer für Erwachsene. Das Potenzial wäre da.

>> Mark Millar/Olivier Coipel: The Magic Order, Image 2019 (dt. Der magische Orden, Panini 2019).

Mark Millar: Superior

DC Comics

Während im Kino mit Shazam! der Superheld wiederbelebt wird, der die kindliche Allmachtsfantasie am wörtlichsten nimmt, hat Mark Millar bereits 2010 einen Superhelden entworfen, der das Konzept noch steigert. Superior ist zunächst nur ein Filmheld. Und der Zwölfjährige Simon ist ein großer Fan. Doch Simon leidet an einem besonders schweren Fall von Multipler Sklerose. Besonders bitter für ihn ist, dass er früher ein super Basketballspieler war. Jetzt ist nur wenig super an seinem Leben. Als ein sprechender Affe an seinem Bett erscheint und ihm sagt, er habe einen Wunsch frei, lässt sich Simon zu Superior machen.

Eine Woche lang mit Superkräften ausgestattet tut er alles, was er kann, um Menschen zu helfen. Er rettet die Besatzung einer eine abstürzende Raumstation, beseitigt einen Atomreaktor nach einer Kernschmelze, bewahrt einen Zug vor einem Unfall und zieht mit bloßen Händen ein U-Boot an Land. Ja, mehr noch: Er beendet auch den Afghanistankrieg und beendet den Hunger in Afrika. Doch als die Woche rum ist, muss er sich entscheiden, ob er Superheld bleiben oder wieder zurück in den Rollstuhl soll. Der Preis ist klar: seine Seele.

Mark Millar kommt von den Superhelden nicht los. Nachdem er jahrelang solche Geschichten für DC und Marvel schrieb, fügte er immer mehr eigene Figuren dem Genre hinzu. Allerdings nicht, um sie zu weiteren unendlichen Geschichten auszubauen, sondern nur um auf seine Weise das Genre immer wieder neu zu dekonstruieren. Im Fall von Superior bedient er sich bei Superman und Shazam (früher Captain Marvel) und kombiniert sie mit dem faustischen Teufelspakt, wobei der Held statt in Versuchung geführt zu werden, eindeutig das moralisch Beste aus der Situation herausholen will. Simon geht es nicht nur darum, gesund zu werden – es geht ihm darum, die Menschheit zu retten. Am Ende überwindet er jeglichen Verdacht von Eigennutz, indem er sich sogar zum Wohle der Welt opfert.

Die Lösungen, die hier geboten werden, mögen naiv erscheinen – und schon Superman und Co. sind an ähnlichen Vorhaben gescheitert. Hier aber geht es nicht um Realismus. Es geht um die Faszination des Was-wäre-wenn und Wäre-es-nicht-cool-wenn. Wer Superhelden-Comics verschmäht, übersieht das Potenzial der Fantasie, das in dem Genre steckt. Und das gelingt Mark Millar auch hier wieder rasantem Tempo und einem feinen Gespür für seine Charaktere. Trotz seines schwarzen Humors wird er hier nie zum Zyniker. Millar zeigt, wie eine Kindheitsfantasie von Omnipotenz dazu dient, Reife zu beweisen. Und damit erweist sich der Junge Simon erwachsener als jeder Erwachsene.

>> Mark Millar/Leinil Yu: Superior, Titan Books 2013, dt. Panini 2012 (2 Bände).

Wiedergeburt im Fantasy-Jenseits

Reborn

Reborn (Cover) (Image Comics)

Kommt was nach dem Tod? Und wenn ja, was? Himmel oder Hölle? Wiedergeburt? Mark Millar sagt: Alles zusammen, nur ganz anders, als man es sich bisher vorgestellt hat. In seinem Comic Reborn landen die Menschen und Tiere nach dem Tod in einer ebenso magischen wie technisch hochentwickelten Fantasy-Welt, in der die einst Guten gegen die einst Bösen kämpfen. Allerdings ist hier alles auch größer und mächtiger. Und jünger.

Die Heldin ist eine alte Frau, die als junge Frau wiedergeboren und sogleich als Heilsbringerin angesehen wird. Laut einer Prophezeiung soll sie den Oberschurken Lord Golgatha besiegen. Zusammen mit ihrem Hund und Vater, der wie andere Angehörige und Freunde vor ihr gestorben ist, zieht sie aber zunächst los, um ihren Ehemann wiederzufinden. Die Konfrontation mit den Bösen lässt sich aber nicht ganz vermeiden und es kommt, wie es kommen muss …

Die Guten sind gut, die Bösen sind fies, der Schurke ist nicht weniger als eine Art Teufel, der in Blut badet und das Böse um seiner selbst willen betreibt. So einfach die Figuren und so klassisch die ganze Story auch konstruiert ist, Mark Millar schafft es mit seinen kuriosen Einfällen und seiner kurzweiligen Erzählweise wieder einmal beste Unterhaltung zu schaffen. Da ist die Katze Frosty, die sich als Lord Frost an ihrer einstigen Besitzerin für eine Kastration rächen will. Am interessantesten ist eine Nebenfigur, die einst an Jesus geglaubt hat und nun desillusioniert, gelangweilt und lethargisch als Königin herrscht.

Wie üblich spart Millar auch hier nicht an Gewalt. Es beginnt mit einem Scharfschützen, der wahllos Menschen erschießt und geht weiter mit einem großen Gemetzel. Greg Capullo (Batman) inszeniert in der für ihn üblichen Detailfreude und Dynamik eine bunte Welt voller schrecklicher Monster und bizarrer Gestalten. Er ist ein Meister der großen Momente: Das wohl beeindruckendste seitenfüllende Panel zeigt, wie im Moment des Todes der Heldin ihre Erinnerungen wie ein großer Kronleuchter über ihr zusammenbrechen.

Was bei dem Tempo leider auf der Strecke bleibt, ist die Möglichkeit, tiefer in diese seltsame Welt einzutauchen und sich hier ein wenig heimischer zu fühlen. Stattdessen wird atemlos durchgerast, ohne näher auf Hintergründe einzugehen. Der Stoff könnte viel hergeben, aber das spart sich Millar wohl für Band zwei auf.

>> Mark Millar/Greg Capullo: Reborn. Book One, Image 2017 (dt. Panini 2017)

 

Jeder Tag voller guter Taten

Image Comics

Image Comics

Huck ist ein hünenhafter Jedermann im ländlichen Amerika: er arbeitet bei einer Tankstelle, er ist etwas langsam. Aber er hat ein besonderes Talent: er kann Dinge finden. Und Probleme lösen. Dabei ist er sehr schnell. Er rennt wie der Wind, er springt auf die Dächer fahrender Autos und Züge und erledigt zuverlässig, was er sich vornimmt. Jeder Tag voller guter Taten. Egal, ob er einen Hund oder Entführungsopfer in Nigeria aufspüren soll, den Rasen der Nachbarn mäht oder eine Goldkette aus dem Meer fischt – Huck nutzt sein Talent, um sich nützlich zu machen. Ohne Gegenleistung, in größter Bescheidenheit.

Mark Millar erzählt in Huck eine für seine Begriffe ungewöhnliche Geschichte: es zwar geht wieder um Superhelden, aber die Story kommt ohne die übliche drastische Gewalt aus (wie etwa bei Kick-Ass oder Wanted). Vielmehr führt Millar den Superheldentopos zu seinem Ursprung zurück: Gutes tun. In aller Schlichtheit. Keine Kostüme, kein Schnickschnack. Jeder kann ein Held sein. Dafür braucht es keine Superkräfte, sondern nur eine gute Gesinnung.

Nicht von ungefähr wirkt Huck wie ein blonder Clark Kent, der in Smallville seine Kräfte erprobt, bevor er nach Metropolis geht. Die Stimmung erinnert, auch wegen der warmen, leuchtenden Farben, an die Idylle Superman For All Seasons (Superman für alle Zeiten, 1998) von Jeph Loeb und Tim Sale. Viele Sequenzen kommen ohne Text aus und lassen viel Raum für Figuren und Atmosphäre. Zeichner Rafael Albuquerque verleiht den Figuren eine einzigartige Dynamik und Lebendigkeit. Alles wirkt wie ein harmonisches Ganzes.

Da gerät die Story zur Nebensache. Huck findet heraus, dass er einen Bruder und eine Mutter hat, es läuft auf das Klischee böser Sovjet-Wissenschaftler hinaus, die Super-Soldaten heranzüchten wollen. Der dramatische Höhepunkt vergeht so schnell wie er gekommen ist, das Finale verläuft allzu einfach. Aber wie gesagt: es geht ums Wesentliche. Daher ist ein raffinierter Plot auch nicht nötig. Hier ein paar überraschende Wendungen, aber sonst nichts als tiefe Menschlichkeit, Wärme und Schönheit – ohne langweilig zu sein.

Bei all der Gewalt und Düsternis in Comics ist das eine willkommene Abwechslung. Wenn man sich ansieht, dass DC gerade mit Rebirth eine Kehrtwende zu einem positiveren Superheldenbild vollzieht, könnte Huck ein weiterer Vorbote für ein neues Bedürfnis nach Optimismus in unruhigen Zeiten sein.