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Avengers Endgame: Eine runde Sache

SPOILER-WARNUNG: Die nachfolgende Besprechung verrät die Handlung von Avengers Endgame!

Es ist vollbracht. Mit Avengers Endgame hat Marvel eine lange Reise vorläufig beendet. 22 Filme umfasst das Marvel Cinematic Universe, dazu eine Reihe von TV-Serien. Es ist damit das erfolgreichste Franchise der Filmgeschichte. Doch es ist viel mehr als nur eine Formel zum Gelddrucken: Die Marvel-Studios haben in elf Jahren gezeigt, dass es möglich ist, das Prinzip der unendlichen Geschichte von Superheldencomics auf die Leinwand zu bringen.

Jeder Avengers-Film war ein Meilenstein. Jeder zeigte, dass es sich lohnt, ein Universum von langer Hand zu planen, langsam aufzubauen, jeder Figur eigene Filme zu widmen, bevor man es wagt, sie zu einem Team zusammenzubringen. Regisseur und Autor Joss Whedon stellte 2012 mit The Avengers unter Beweis, dass es sogar möglich war, lauter Schwergewichte sehr leichtfüßig wirken zu lassen, ohne ins Banale oder Lächerliche abzudriften, wie schon einige Superheldenfilme davor. Avengers: Age of Ultron wurde zu einem nachdenklicheren und düsteren Film, mit dem der Ernst Einzug hielt. Der Blick wurde geweitet auf die Welt und die zivilen Opfer, aus der Angst der Helden heraus entstand die Paranoia und der Wille, präventiv die Gefahren zu bekämpfen, was in eine weitere Katastrophe mündete.

In Captain America: Civil War, der inoffizielle „Avengers 2,5“, wurden die Helden selbst angezweifelt. Sie wurden für ihr Versagen verantwortlich gemacht und sollten sich politischer Kontrolle unterwerfen. Die Gruppe zerfiel in zwei Lager, die einander bekämpften. Es ging nicht mehr um außeridische Invasoren oder eine Armee feindseliger Roboter, sondern es wurde persönlich.

Filme für Fans

Mit jedem Avengers-Film wurde die Story nicht nur auf eine andere Ebene gehoben, sondern auch zunehmend komplexer und voraussetzungsreicher. Stets war es wichtig, alle anderen Filme aus dem Universum zu kennen, um noch mitzukommen. Infinity War war ohne das Wissen um die vielen Vorgeschichten und die Jagd nach den Infinity-Steinen nicht zu verstehen. Und erst recht ist Endgame zu einem Film für Fans geworden, die Marvel seit dem Beginn mit Iron Man im Jahr 2008 die Treue gehalten haben.

Der Film setzt nicht nur viel voraus, er kehrt auch zu seinen Anfängen zurück und rekapituliert vergangene Episoden, so auch verschmähte Filme wie Thor: The Dark World (bzw. The Dark Kingdom). Dank einer Zeitreise besuchen die verbliebenen Avengers die Szenarien, in denen sie die Steine wiederbeschaffen können. Wie bei Zurück in die Zukunft sehen wir die Helden auf ihre alten Versionen treffen. Dabei werden auch Fans nostalgisch. Die Suche nach den Steinen gerät zur Nebensache. Die Helden müssen sich mehr ihrer Vergangenheit stellen, als ausgeklügelte Pläne umzusetzen.

Helden in Sinnkrisen

Statt Action stehen Charaktere im Vordergrund, was ohnehin schon immer die größte Stärke des Universums war: Menschen, für die man sich interessiert. Thanos‘ Genozid wird dabei zum Anlass für interessante Wandlungen und Sinnkrisen: Tony Stark gründet eine Familie, Thor wird zum Wrack, einem übergewichtigen Säufer, Bruce Banner lernt, den Hulk mit seinem Verstand zu versöhnen, Hawkeye wird nach dem Verlust seiner Familie zum brutalen Rächer.

Endgame ist damit – wenigstens in der ersten Hälfte – der ruhigste aller Marvel-Filme. Angesichts immer größerer Krawall-Schlachten im Kino ist das wohltuend. Den großen Kampf aller gegen alle spart man sich fürs Ende auf, jedoch ohne die Zuschauer mit Reizüberflutung oder Langatmigkeit zu überfordern. Stattdessen überrascht man mit Fanservice: Captain America schwingt Thors Hammer.

Die Zukunft gehört den Frauen

Endgame ist auch der emotionalste Film: Thor sieht Jane und seine tote Mutter wieder. Tony Stark trifft seinen Vater und versöhnt sich mit ihm. Schließlich findet Captain America zu seiner alten Flamme Margaret Carter zurück. Endgame ist ein Abschiedsfilm, aber auch ein Neuanfang. Der gealterte Steve Rogers übergibt seinen Schild an Sam Wilson, der zum neuen Captain America wird, Thor übergibt Asgard an Valkyrie, Tony Stark stirbt und Pepper Potts wird zur Iron Woman. Während der Endschlacht wird überdeutlich, dass die Zukunft von Marvel den Frauen gehört.

Captain Marvel dürfte dabei eine Vorreiterrolle zukommen. Leider ist sie in Endgame mehr eine Funktion als ein Charakter. Am Anfang und Ende jeweils darf sie Deus Ex Machina spielen und dazwischen bekommt sie einen neuen Haarschnitt – mehr sieht man von ihr nicht. Dafür, dass sie groß angekündigt wurde und kurz zuvor noch einen eigenen Film bekam, ist das etwas dürftig.

Aber bei so viel Story und so vielen Charakteren können auch drei Stunden Laufzeit nicht ändern, dass manche Aspekte zu kurz kommen. Die Liebe zwischen Bruce Banner und Natasha Romanoff scheint längst vergessen, stattdessen wird die Freundschaft zwischen ihr und Clint Barton auf die Probe gestellt.

Komplexität zahlt sich aus

Trotz seiner Schwächen ist Avengers Endgame ein würdiges Finale mit vielen Höhepunkten, überraschenden Wendungen und Lachern. So kurzweilig vergehen drei Kino-Stunden selten. Und angesichts der Bedeutung dieses Films ist zu bewundern, was die Autoren, Regisseure und vor allem Produzent Kevin Feige bis hierhin erreicht haben. Das Marvel Cinematic Universe ist eine wunderbar funktionierende, weitverzweigte Comic-Welt im Film. Die Komplexität hat nicht geschadet, im Gegenteil: ein breites Publikum lässt sich darauf ein und verfolgt mit Spannung jeden neuen Film, um zu erfahren, wie die große Geschichte weitergeht. Endgame stellt eine Zäsur da. Die „Infinity Saga“ ist beendet. Eine runde Sache. Was danach kommt, wird etwas anderes mit vielen neuen Gesichtern sein.

Nach Spider-Man: Far From Home (Juli 2019) werden Doctor Strange, Black Panther, Captain Marvel und Guardians of the Galaxy fortgesetzt, Black Widow bekommt ihren eigenen Film, mit The Eternals wird eine neue Superheldengruppe eingeführt. Auch Ant-Man könnte noch mit einem dritten Film gewürdigt werden und sicher sind neue Versionen von Thor, Iron Man und Captain America zu erwarten. Angekündigt sind auch TV-Serien mit Loki, Hawkeye, The Falcon and the Winter Soldier sowie WandaVision (Scarlet Witch und Vision) sind für den neuen Streamingservice Disney+.

Die Maschine läuft weiter. Wie von selbst. Aber man füttert sie gerne. Man darf sich darauf freuen. Das Problem ist nur, dass man nach 22 Filmen schon sehr viel gesehen hat und die Maßstäbe für alles Weitere sehr hoch gesetzt sind. Es wird immer schwieriger, zu überraschen. Aber wenn Marvel eins gezeigt hat, dann das: Was in den Comics funktioniert, kann auch im Kino und Fernsehen klappen.

Wenn Superhelden echt wären

Marvel

Wären Superhelden echt, würden die Menschen sie bewundern oder sich vor ihnen fürchten? In Marvels tun sie beides. Der Protagonist Phil Sheldon, ein New Yorker Zeitungsfotograf, beobachtet und dokumentiert das Aufkommen der Superhelden von Anfang an und über die Jahrzehnte hinweg: Human Torch und Namor, dem Submariner, die mal feindlich, dann wieder freundlich erscheinen, sich bekriegen und wieder versöhnen, und dabei New York verwüsten. Sheldon steht für die schwankende Meinung des Volkes. Als er bei dem Krieg der Übermenschen ein Auge verliert, bleibt er zunächst ein Befürworter der „Marvels“, während ein Chefredakteur wie J. Jonah Jameson zunehmend gegen die Helden hetzt, weil er fürchtet, dass normale Menschen mit den Übermenschen nicht mithalten können: „How could we meet that standard?“ Die Geschichte scheint zunächst Sheldon Recht zu geben. Im Zweiten Weltkrieg kämpfen Captain America und Co. als gute Patrioten. In den 60ern (dem Silver Age) jubeln die Menschen einerseits den Avengers und den Fantastic Four zu und fürchten zugleich die Mutanten der X-Men. Von der Xenophobie lässt sich auch der Held anstecken und schließt sich einem wütenden Mob an, dann nimmt er selbst ein hilfloses Mutantenmädchen bei sich auf. Die Bedrohungen, die von den Marvels ausgehen, nehmen bald apokalyptische Ausmaße an, doch die Dankbarkeit für die Abwendung der Katastrophe hält sich in Grenzen. Die Rede ist von Betrug. In den 70ern veröffentlicht Sheldon schließlich ein Buch mit seinen Fotos über die Marvels, in dem er für sie Partei ergreift, doch der Tod von Gwen Stacy, den Spider-Man zulässt, erschüttert erneut seinen Glauben … Die Welt der Marvels ist für die Menschen unfassbar.

Dieser Klassiker, geschrieben von Kurt Busiek und gemalt von Alex Ross, ist ein Versuch, Superhelden nicht bloß ernst zu nehmen, sondern auch dem Comic eine Aura von höherer Kunst zu verleihen. Durch die aufwendig gestalteten Seiten wirken die Menschen lebensnah und die Helden überlebensgroß. Ross bedient sich zum Teil der Ikonografie, sodass sie die Marvels wie Heilige, Engel und Dämonen aus der barocken Malerei wirken.

Dabei ist Marvels auch inhaltlich kein Superheldencomic im klassischen Sinn, weil er nicht den Kampf zwischen Gut und Böse beschreibt, sondern den inneren Konflikt gewöhnlicher Menschen, die mit dem Kulturschock umgehen müssen und sie zwischen Angst und Bewunderung schwanken lässt. In diesem Hin und Her der Stimmung ist Marvels für die Leser vor allem eine Hommage an die Comicgeschichte. Insofern spiegelt die Story auch die Rezeptionsgeschichte: Die einen sind fasziniert, die anderen abgestoßen von dem Medium und dem Genre.

Zwei Jahre später brachte DC Comics mit Kingdom Come ein weiteres Alex Ross-Comic heraus, das nicht weniger episch einen ähnlichen Konflikt beschrieb. Dort fragen sich die Helden, ob sie mehr Fluch oder Segen für die Menschen sind, die sie beschützen sollen.

Busiek/Ross: Marvels, Marvel 1994.

Die Bürden des Heldentums

Marvel/Panini

Marvel/Panini

Schon James Brown hat es hinausgeschrien: „It is a man’s world. But it would be nothing without a woman or a girl.“ Das gilt auch für Superhelden. Was wäre Superman ohne Lois Lane? Was wäre Batman ohne … äh … okay, schlechtes Beispiel. Bei Marvel geht es jedenfalls auf: Was wäre Daredevil ohne Karen Page? Oder Hulk ohne Betty Ross? Spider-Man hat sogar zwei große Lieben: Gwen Stacy und Mary-Jane Watson. Starke Typen brauchen Frauen, die sie in ihren Heldenrollen beschützen und retten, mit denen sie privat die echten Probleme austragen und dadurch verletzlich, ja menschlich erscheinen.

Jeph Loeb und Tim Sale, das Dreamteam, das die großen Epen für Batman (The Long Halloween, Dark Victory) und eines für Superman (For All Seasons) in den 90ern geschaffen hat, wandte sich Anfang des Jahrtausends drei der größten Marvelhelden zu: Daredevil: Yellow, Spider-Man: Blue und Hulk: Gray. So sind drei Mini-Serien entstanden, die nicht wie bei Batman um ausgeklügelte Noir-Krimi-Plots mit einem enzyklopädischen Aufgebot der Rogues Gallery herum gebaut sind, sondern eher einer Hommage, einer Meditation und Schwelgerei wie in der Mini-Serie Superman for All Seasons entsprechen. Nicht die Story steht im Vordergrund, sondern die Charaktere.

Marvels Farbenlehre

Loeb und Sale erzählen hier nichts Neues, sondern frischen das Altbekannte unter einem anderen Gesichtspunkt auf. Bei Daredevil und Hulk werden die Origins aufbereitet, bei Spider-Man der Übergang zwischen Gwen und MJ, als Peter Parker für kurze Zeit zwischen den beiden Frauen stand, bis Gwen ihren grausamen Tod erlitt. Die Titel ergeben sich zum einen aus dem ursprünglichen Farben der Helden: Daredevils Kostüm war zunächst gelb bevor es rot wurde, genäht aus dem Umhang seines Vaters, Hulk war in den ersten Comics grau bevor er grün wurde. Bei Spider-Man war das Blau schon immer Bestandteil des Kostüms, hier allerdings bedeutet blue so viel wie melancholisch.

Der Hauptreiz liegt allerdings im Visuellen. Tim Sale erweist sich erneut als einer der besten Comickünstler, der nicht nur ein großartiges Gespür für Dramatik und Dynamik, sondern auch für Stimmungen hat. Jedes Buch hat seinen eigenen Stil. Mit nur wenigen Strichen erschafft er dynamische Heldenaction und lebensnahe Figuren. Yellow, Blue und Gray gelten als moderne Klassiker und gehören zu den besten Marvel-Storys. Der Verlag hat die drei Bände in einem wunderbaren Hardcover im Überformat gewürdigt.

Marvel

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Jetzt haben Loeb und Sale ihr viertes Farbenbuch, Captain America: White, vollendet. Und auch wenn sie ihre Tugenden beibehalten, brechen sie hier mit der Tradition: Denn dieses Mal geht es nicht um Frauen, um den Gewinn und den Verlust der großen Liebe. Dass Loeb und Sale bei Captain America aber den Verlust von Sidekick Bucky Barnes in den Mittelpunkt stellen, lässt das Verhältnis in einem bestimmten Licht erscheinen, das an Fredric Wertham denken lässt. Jenen wirkmächtigen Psychologen und Comic-Verächter, der Mitte der 50er schon Batman und Robin eine homoerotische Beziehung angedichtet hat. In Captain America: White findet sich davon nichts. Es ist nicht einmal eine Männerfreundschaft zu nennen, sondern eher eine Art Vater-Sohn-Verhältnis oder vielleicht noch eher ein Verhältnis zwischen großem und kleinen Bruder. Der Held, Steve Rogers, leidet an der Schuld des Überlebenden und fragt sich, wie er den Tod seines Schützlings zulassen konnte. Es ist das typische Dilemma, bei dem sich zeigt, dass jugendliche Sidekicks für Superhelden zwar zur Tradition gehören, aber eher der Marketing- als der Storylogik geschuldet sind.

Wie schon bei Spider-Man und Gwen Stacy bleibt die Tragödie der Geschichte ausgespart. Stattdessen erzählt Rogers ein Abenteuer aus der Frühzeit, dem Kriegsjahr 1941. Barnes entdeckt, dass Rogers Cap ist, er wird zum Sidekick Bucky, er rettet Cap bei einem Absturz ins Meer das Leben, indem er dessen Schild von ihm losschneidet – wodurch das Symbol verloren geht. Bei den Frauen erweist sich der kleine Bruder dem großen überlegen: der Kriegsheld zeigt sich zwar furchtlos dabei, Nazis zu verhauen, aber unbeholfen im Intimen. Am Ende kämpfen beide mit ihrer Truppe (Nick Fury und Co.) gegen den Erzfeind Red Skull in Paris.

Eingespieltes Team

Jeph Loeb und Tim Sale ergänzen sich nach all den Jahren immer noch wie ein eingespieltes Team und vollbringen erneut eine Meisterleistung, indem sie mit viel Herz und Humor eine klassische Heldengeschichte erzählen, die vor allem eine Hommage an die ersten Abenteuer der 40er ist. Sales sonst sehr eigenständiger Stil erinnert zuweilen stark an sein Vorbild Jack Kirby, auch wenn er ihn mit einem sehr noiresken Stil verbindet. Dave Stewarts Wasserfarben-artige Farben (wie schon bei Daredevil) bringen die Nostalgie von Propaganda-Plakaten mit sich.

Da kann man über einige Story-Löcher hinwegzusehen, wenn zufällig Namor in der Nähe ist, um Captain Americas Schild aus dem Meer zu fischen und ihm im rechten Moment zuzuwerfen, oder die Frage, wie der Held auf dem Motorrad den Eiffelturm hochfahren kann. Es ist einfach so. Dafür waren Superhelden-Comics schon immer da: das Unmögliche möglich zu machen und dabei gut aussehen zu lassen. Und es macht Spaß: die große Pose, der theatralische Auftritt. Alles, was Superheldencomics immer schon am besten konnten, das wird hier zelebriert.

Die Bedeutung der weißen Farbe

Warum aber der Titel Captain America: White? Die Farben, so erfahren wir im Nachwort, sind mehrdeutig zu verstehen. Daredevil Yellow hatte nicht nur mit dem ersten Kostüm zu tun, yellow heißt im Englischen auf feige – was natürlich zum Mann ohne Furcht ganz gut passt. Spider-Man ist (wie gesagt) blue, also traurig, wegen des Verlusts von Gwen Stacy. Hulk ist die Graustufe als Gegenpol zur Schwarz-weißen Welt von General Ross. Aber die Welt ist nicht so einfach, nicht schwarz und weiß – wie die Wochenvorschauen im Kino, sagt sich Steve Rogers alias Captain America und fragt sich dann doch, ob die Zeit während des Zweiten Weltkriegs im Vergleich zur Gegenwart nicht doch eine einfachere gewesen ist. Die Nazis waren ganz klar die Bösen, die Amerikaner ganz klar die Guten. Schwarz gegen weiß. Vielleicht erklärte sich so der Titel, wenn die Unschuld des Weißen nicht durch den Tod des Gefährten befleckt wäre.

Lupenreine Helden kann es im Krieg nicht geben. Auch wenn sie super sind. Jeder hat seine Bürde zu tragen. Gerade das macht sie menschlich – und damit auch für Normalsterbliche interessant.

>> Jeph Loeb/Tim Sale: Captain America: Weiß, Panini-Verlag 2016.

Heldenblüte #4: Reinkarnationen

20th Century Fox

X-Men: Alt und neu (20th Century Fox)

Superman, Spider-Man, X-Men, Fantastic Four – die vierte Strömung des Superheldenkinos gehört den Reboots.

Was tut man, wenn eine Geschichte zu Ende erzählt wurde? Man fängt wieder von vorn an. Elf Jahre nach dem ambitionierten Start von X-Men war man soweit. Zu der Trilogie gab es zunächst ein uninspiriertes Prequel zu Wolverine, schließlich erzählte man auch die Vorgeschichte der Hassliebe zwischen den Antipoden Charles Xavier (Professor X) und Eric Landsherr (Magneto). X-Men: Erste Entscheidung (2011, First Class) war ein frischer Neubeginn: kurzweilig, unterhaltsam und mit einer guten Portion 60er-Zeitgeist. Ein vernachlässigter Charakter wie Raven kam endlich zu ihrem Recht, aber wie schon zuvor war die spannungsreiche Freundschaft zwischen Charles und Eric der rote Faden, der die Story zusammenhielt: der impulsive Rächer an den Nazis gegen den besonnenen Denker und Versöhner. Mit der Fortsetzung, Zukunft ist Vergangenheit (2014, Days of Future Past) kehrte Regisseur Bryan Singer zurück und verschränkte die Zeitebenen der ersten Trilogie mit der Prequel-Reihe, als Bindeglied diente Wolverine, der in seinem Körper der 70er Jahre Schlimmeres verhindern musste. Damit fand die X-Men-Reihe zu ihrer alten Stärke und Brisanz zurück.

Auch Spider-Man bekam ein Reboot – und zwar kein weiches wie die X-Men, sondern einen totalen Neustart. Gerade einmal zehn Jahre nachdem Sam Raimi mit dem ersten Spider-Man-Film Pionierarbeit geleistet hat, wurde mit The Amazing Spider-Man (2012) die Entstehungsgeeschichte wieder erzählt. Die Tatsache, dass die erste Trilogie noch nicht lange her und noch in guter Erinnerung war, sorgte für einen Déjà-vu-Effekt, der die Existenzberechtigung des Films infrage stellte. Zu vieles hatte man fast genauso schon einmal gesehen. Es werden bloß zwei neue Akzente gesetzt: Peters Liebesleben beginnt – wie in den Comics – mit Gwen Stacy und erstmals spielt auch der Tod von Peters Eltern eine Rolle. Doch die Aufdeckung des dahinter stehenden Mysteriums, das die Rahmenhandlung für eine neue Filmreihe bilden sollte, hat sich erübrigt: Nach einem schwachen, geradezu lächerlichen zweiten Teil (Rise of Electro) wurde der Amazing Spider-Man seinem Namen nicht gerecht und damit eingestellt. Erst in diesem Jahr hat Rechteinhaber Sony zugestimmt, dass der beliebteste Marvel-Held in das Cinematic Universe integriert werden soll. Mit neuer Besetzung wird Spider-Man bereits in Captain America: Civil War vorkommen, danach soll ein Solo-Film folgen. Doch auch wenn Marvel aus den Fehlern gelernt hat und keinen Origin mehr erzählen will, wird die Geschichte wieder im High School-Milieu spielen, Peter wird wieder ein Teenager sein. Es wird nicht leicht sein, dieses verfahrene Franchise wieder auf Kurs zu bringen.

Im gleichen Jahr wie The Amazing Spider-Man versuchte sich auch Warner erneut an der Galionsfigur von DC Comics: Superman. Eine ohnehin schwierige Figur, weil sich schon längst die Frage stellt, ob ein perfekter, unverwundbarer Alleskönner in Primärfarben-Pyjamas noch zeitgemäß ist. Die TV-Serie Smallville bewies, dass es möglich war, wenigstens die Jugend des Helden über zehn Staffeln zu erzählen. Im Jahr 2006 passierte aber etwas sehr Befremdliches: Bryan Singer verließ die X-Men, um einen Superman-Film zu drehen, der an Superman II mit Christopher Reeve anschloss – also die Fortsetzung eines 26 Jahre alten Films, der bereits zwei schlechte Fortsetzungen hatte. Statt also von den Errungenschaften von Batman Begins zu lernen, versuchte Singer sich mit Superman Returns in Nostalgie. Er scheiterte total. Die Geschichte von Supermans Sohn mit Lois Lane war die weichgespülte Familienvariante des Mannes aus Stahl. Der Film war so lahm, dass man ihm keine Fortsetzung gönnte (obwohl die Kritiken in den USA überwiegend positiv waren und zunächst ein Sequel angekündigt war). Man hatte eingesehen, dass dieser Ansatz nicht funktionierte.

Sechs Jahre später kam also das radikale Reboot Man of Steel von Zack Snyder. Der Mann, der sich an den Watchmen versucht hatte, fing mit Superman noch einmal von vorn an – unter dem Einfluss von Christopher Nolan. Doch was sich nach einem Qualitätsgaranten anhört, wurde zum Problem: Man of Steel orientiert sich in Stil und Aufbau zu sehr an Batman Begins und The Dark Knight, sodass wir statt satter Primärfarben einen dunkelgrauen Superman sehen, der in einen grauen Himmel fliegt. Das entspricht der übrigen Stimmung des Films. Zu lachen gibt es so gut wie nichts. Zu düster ist die Geschichte, aber sie lässt einen emotional unbeeindruckt. Größter Tiefpunkt ist die überzogene Zerstörungsorgie im Finale, bei der halb Metropolis zerlegt wird. So viel fehlendes Verantwortungsbewusstsein ist nicht gerade, was man sich von einem erhabenen Helden wie Superman verspricht. Der Film pulverisiert sich selbst und lässt nichts zurück als Trümmer.

Aber wenn man sich den Trailer zum Sequel, Batman v Superman, ansieht, stellt man fest, dass eine gealterte Version von Bruce Wayne das auch so sieht und deshalb wieder ins längst abgelegte Batman-Kostüm (oder eher in eine Rüstung) steigt, um den selbstherrlichen Kryptonier auszuschalten. Die Nähe zu den Comics (allen voran The Dark Knight Returns) ist offensichtlich, auch die Kritik am Farbkonzept scheint Regisseur Snyder berücksichtigt zu haben. Alle Hoffnung – auch von Warner – ruht auf diesem Film. Denn er muss das Unmögliche leisten: Nicht nur einen glaubhaften Kampf der Titanen inszenieren, sondern auch den zwiespältig aufgenommenen Man of Steel wiedergutmachen und Batman neu einführen. Zugleich soll der Film auch der Beginn der Justice League sein. Wonder Woman wird darin eine Schlüsselrolle bekommen, auch Aquaman und Cyborg sollen darin Auftritte haben. Damit will Warner für das DC-Universum nachholen, was Marvel mit seinem Cinematic Universe seit bereits 2008 aufbaut. Weitere Einzelfilme sollen folgen, von Flash bis Shazam. Auch Green Lantern wird ein Reboot zuteil, nachdem der erste Versuch von 2011 ein belangloses Ergebnis hervorbrachte, von dem man nach dem Sehen nur noch sagen kann, dass es sehr grün zuging. (Ryan Reynolds wird dafür zu Deadpool, ebenfalls ein Figuren-Reboot.) Im kommenden Jahr wird in dem Schurkenfilm Suicide Squad auch ein neuer Joker (Jared Leto) eingeführt – er tritt in große Fußstapfen, die Heath Ledger hinterlassen hat.

Zuletzt bekam auch Marvels Fantastic Four (2015) einen Reboot – zehn Jahre nach dem jüngsten. Der war bitter nötig, wenn man bedenkt, dass einst mit dem Superheldenteam Marvels Silver Age begann und schon zwei schwache Verfilmungen gescheitert waren, dem Stoff gerecht zu werden (ganz zu schweigen von dem Billigfilm von 1994, der zwar gedreht, aber nie veröffentlicht wurde). Nach diesen Fehlschlägen konnte es nur noch besser werden. Und es sah zunächst so vielversprechend aus: Eine talentierte, junge Besetzung, einen neuen Ansatz und Regisseur Josh Trank, der zuvor mit Chronicle einen beachtlichen Film über alternative Superhelden ohne Kostüme gedreht hatte. Doch das Ergebnis war eine Katastrophe, für die sich hinterher alle Beteiligten schämten und das Publikum fassungslos zurückließ, fassungslos gelangweilt und verärgert. Mit gerade einmal zehn Prozent positiver Besprechungen bei Rotten Tomatoes und einer IMDb-Wertung von 4,3 unterbot das Reboot sogar noch seine mäßigen Vorgänger. Wer auch immer an dem Desaster Schuld hat: Das Franchise ist für lange Zeit ruiniert.

Der Reiz des Reboots, des Neuanfangs, besteht im Reiz des Anfangs. Oftmals sind es die Entstehungsgeschichten, die sogenannten Origins der Helden, die im kulturellen Gedächtnis hängenbleiben: Der Elternmord bei Batman, der Spinnenbiss bei Spider-Man, die Zerstörung Kryptons bei Superman. Unfälle, Katastrophen und Traumata bestimmen den Gründungsmythos – und davon zehren die Figuren. Die Menschen erkennen sie darin nicht nur wieder, sondern identifizieren sich auch immer wieder neu mit ihnen. Doch Superheldenstoffe sind seriell angelegt, sie gehen immer weiter. Das stellt die Autoren und Regisseure vor das Problem, dass sie sich immer weiter von der Urszene, die die Helden als Charaktere interessant macht, entfernen. Daher müssen sie immer wieder an den Ursprung erinnern – oder ihn einfach neu erzählen. Der Neubeginn ist verführerisch, doch die Beispiele der vergangenen Jahre zeigen, dass es keinen Erfolgsgaranten gibt, wenn man dieser Versuchung nachgibt.

Die Zyklen der Wiederverwertung werden kürzer. Aber die Erinnerung der Zuschauer wird es nicht. Daher wird es nicht reichen, ihnen immer wieder dasselbe vorzusetzen und sich nur nach der Logik „mehr ist besser“ zu steigern. Noch ist die Nachfrage des Publikums nach Superheldenfilmen ungebrochen. Nach wie vor haben Marvels Filme großen Erfolg, allein die beiden Avengers-Teile haben jeweils über eine Milliarde Dollar weltweit eingespielt. Allerdings besteht die Gefahr, dass bei der Flut an Superheldenfilmen das Interesse an dem Genre bald wieder abflauen könnte. Allein für 2016 sind sieben Filme über Marvel- und DC-Charaktere angekündigt: Batman v Superman, Suicide Squad, X-Men: Apocalypse, Deadpool, Gambit, Captain America: Civil War und Doctor Strange. Nicht einmal alle zwei Monate ein neuer Film. Zudem werden die Geschichten komplexer: Marvels Cinematic Universe ist jetzt schon für Quereinsteiger schwer nachzuvollziehen. Das Publikum wird immer stärker gefordert. Interessant, so etwas ausgerechnet über ein Genre zu sagen, das dem ersten Anschein nach leichte Unterhaltung sein soll. Solange die Macher nicht hinter die Erkenntnis zurückfallen, welches Potenzial in ihren Geschichten steckt, kann man sich noch viele weitere Leinwandspektakel freuen. Die Blüte der Superhelden im Kino scheint noch lange nicht vorbei zu sein.

Heldenblüte #3: Götterdämmerung

Marvel

Marvel

Wie Marvel mit seinem Cinematic Universe Schule für Superheldenfilme machte und damit Kinogänger zu Nerds wurden.

Die Goldene Ära des Superhelden-Kinos brachte einige großartige Filme hervor (X-Men, Spider-Man). Aber auch viel Mist. DC hat neben seiner maßgeblichen Batman-Trilogie Superman, Catwoman und The Spirit verhunzt. Marvel ließ dafür Gurken wie Fantastic Four, Ghost Rider und Punisher geschehen. Doch zur Verteidigung muss man sagen: Die Rechte für diese Filme lagen bei anderen Studios. Während The Dark Knight (2008) von DC/Warner zum Kinofilm des Jahres und zum erfolgreichsten Superheldenfilm avancierte, begann Marvel in aller Bescheidenheit mit einem neuen Ansatz. Iron Man bildete den Auftakt zum Cinematic Universe. Statt andere die Adaptionen realisieren zu lassen und dabei das Risiko einzugehen, dass sie es vergeigen, legte nun das hauseigene Studio selbst Hand an. Man kaufte Rechte zurück und investierte damit in eine Goldgrube.

Iron Man hat zwei Helden: Robert Downey Jr., der den charmanten Großkotz Tony Stark so verkörpert, dass man sich keinen anderen mehr vorstellen mag, und ein pfiffiges Drehbuch. Das Beste an diesem Film ist, dass er sich Zeit lässt, die Figur einzuführen. Etwa die Hälfte vergeht bis man Iron Man in seiner Rüstung sieht. Bis dahin macht er im Afghanistan-Konflikt eine Wandlung vom Saulus zum Paulus durch – und hat dabei auch viel zu lachen, ohne dass der Ernst der Geschichte verloren ginge. Das Konzept macht klar, dass es hier nicht um die schnelle Sensation geht, sondern um Charaktere und Story. Der Film, gedreht von dem damals unbekannten Jon Favreau, wurde zum Überraschungserfolg. Iron Man wurde zweimal fortgesetzt. Und es folgten Filme um weitere Helden: ein Neuversuch mit Hulk, der vieles wiedergutmachte, was beim ersten verbockt wurde, ein Film für Thor und einen für Captain America. Während der Donnergott einen Hauch von Shakespeare verliehen bekam, wurde dem altbackenen Supersoldaten ein zeitgemäßer Auftritt zuteil, der elegant den Bogen in die Gegenwart schlägt. Die Filme fielen qualitativ zwar deutlich hinter Iron Man zurück, aber sie erfüllten als Einführungen neuer Charaktere ihren Zweck, sodass – dank geschickter Verknüpfungen – im Jahr 2012 das für unmöglich Gehaltene wahr wurde: The Avengers.

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Heldenblüte #1: Renaissance

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Vor 15 Jahren begann eine Renaissance: Die Superhelden fanden ins Kino zurück – in einer nie dagewesenen Qualität. Was mit X-Men begann, setzte sich mit einer Fülle von Genrefilmen fort und findet heute mit den Avengers einen neuen Höhepunkt. Ein Rückblick auf die vergangenen 15 Jahre.

Polen 1944. Nazis treiben Juden in ein Konzentrationslager. Ein jüdischer Junge wird von seinen Eltern getrennt, sie kommen ins KZ, er mit dem Leben davon. Das Eisentor wird geschlossen, der Junge bleibt zurück und schreit. Wachen halten ihn nur mit Mühe zurück. Die Verzweiflung des Jungen ist so groß, dass sie das Tor verbiegt. Erst ein Schlag mit einem Gewehrkolben bringt ihn zum Schweigen. So beginnt nicht etwa ein Holocaust-Film, sondern der Film X-Men aus dem Jahr 2000. Eine Comic-Adaption über Superhelden. Und diese Szene markiert eine Wende. Sie zeigt: jetzt ist Schluss mit lustig.

Drei Jahre zuvor: In den Kinos läuft Batman & Robin. Nach den beiden Tim Burton-Filmen und dem überdrehten Batman Forever (1995) ist mit dem vierten Teil der Reihe ein Tiefpunkt erreicht, der dagegen noch den albernen und selbstironischen Adam West-Film von 1966 wie einen schicken Oldtimer erscheinen lässt. Der Superhelden-Film, der erst nennenswert mit Superman im Jahr 1978 begonnen hat, scheint am Ende zu sein. Ebenso wie die Superman-Reihe ist auch die Batman-Reihe nach zwei passablen Filmen mit zwei weiteren Fortsetzungen so nachgelassen, dass das Franchise erledigt war. Superhelden waren der Lächerlichkeit preisgegeben. Offenbar traute man ihnen im Kino nicht mehr zu.

Marvel wagt den Neubeginn

Dank der neuen Computer-Technik bekommt das Genre neuen Auftrieb: Den Möglichkeiten sind nur die Grenzen der Fantasie gesetzt. Auf den Trümmern der DC-Filmhelden beginnt Marvel von vorn. Zunächst mit dem Underdog Blade (1998) über einen Vampir als Vampirjäger. Trotz des Trashfaktors ein Gegenprogramm zu Batman & Robin, Erwachsenenunterhaltung – allein schon der Brutalität wegen. Seine unmittelbaren stilistischen Vorläufer findet er in The Crow (1994) und dem missratenen Spawn (1997). Der Superhelden-Film wird aber erst mit X-Men wieder massentauglich. Nicht nur neu belebt, er wird auch ernst, weil er sein Thema und seine Figuren ernst nimmt. X-Men ist eine Parabel auf den Rassismus. Von daher ist es folgerichtig, dass der Bogen vom Holocaust bis in die nicht allzu weit entfernte Zukunft gespannt wird, wenn wieder einmal die Gene die Menschheit spalten. Das Tragische: Mit Magneto wird ein Opfer des Rassismus selbst zum Rassisten. Und während sein Gegenspieler Charles Xavier eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen und Mutanten möchte, will Magneto alle zu Mutanten machen, weil sie für ihn die besseren Menschen sind.

Was diesen moralisch schweren Brocken verdaulich macht, ist das Personal: Im Zentrum steht die Freundschaft zwischen Eric Lehnsherr (Magneto, Ian McKellen) und Charles Xavier (Professor X, Patrick Stewart), die sich selbst nach einem Kampf um Leben und Tod zu einer Schachpartie begegnen können. In dieser Beziehung wird deutlich, dass die Grenzen zwischen gut und böse verwischt sind. In dieser Dialektik entfaltet sich das Drama, in dem die jungen Mutantenschüler hin- und hergerissen sind. Den emotionalen Angelpunkt bildet die Figur Wolverine. Er bezieht seinen Reiz daraus, dass er abseits von den Hauptschauplätzen seinen Weg sucht. An den geheimnisvollen Draufgänger, ikonisch verkörpert von Hugh Jackman, kommt kein Charakter heran. Er ist der coolste Typ, der Outlaw und zugleich der comic relief.

Prägendes Original

X-Men bahnte den Weg für die andere Superhelden-Filme. Der Film zeigte, dass es möglich war, Comics glaubwürdig zu adaptieren ohne lächerlich zu wirken, frei nach dem Motto: Mehr schwarzes Leder als gelbes Latex. Es folgte eine Flut von Superhelden im Kino, die bis heute anhält. In den vergangenen 15 Jahren sind mehr Superhelden-Filme erschienen als im gesamten 20. Jahrhundert. Darunter sind auch solche, an die man vielleicht nicht direkt denkt. Zum Beispiel Unbreakable, der im gleichen Jahr wie X-Men erschien und ebenfalls, wenn auch auf eine subtile Art prägend oder zumindest vorausschauend, die weitere Entwicklung des Genres bestimmte.

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Bemerkenswert ist, dass Unbreakable ein Drehbuch ohne Comicvorlage ist, aber durchaus explizit Bezug nimmt auf Comics. Doch während die Zeichnungen als „Kunst“ behandelt und sehr ernst genommen werden, bleibt der Film stilistisch auffällig unauffällig: Ruhig, ohne Aufregung, ohne viel Action inszeniert M. Night Shyamalan (Sixth Sense) eine packende Story um einen Helden wider Willen. Die Referenz auf Comics bleibt auf die wesentlichen Motive reduziert: Der Held mit übermenschlicher Stärke, der körperlich versehrte Schurke, der seinen Gegenpart sucht. Entgegen der Tradition wird auf einen Origin des Helden verzichtet. Damit bleibt der Ursprung der Superkräfte rätselhaft.

Helden wie du und ich

Unbreakable zeigt, dass der moderne Held keine Vorgeschichte, kein Kostüm und keine Symbole braucht. Mit Heroes (2006-2010), einer Art Teenie-Variante der X-Men, wurde diese Vorstellung wieder aufgegriffen. Damit hielten die Helden nicht nur noch stärker in den Alltag einzug, sondern auch ins Fernsehen, und das Prinzip der (potenziell unendlichen) Serie wurde wiederbelebt. Die Filme Hancock (2008) Chronicle (2012) setzten diesen Trend der Helden als „Menschen wie du und ich“ fort.

Doch das bedeutet nicht das Ende der Pop-Ikonen. Der nächste große Wurf aus dem Hause Marvel war Spider-Man im Jahr 2002. So ernst X-Men erschienen war, so kehrte mit Spider-Man die Leichtigkeit ein. Der Film ist eine Action-Komödie über die Adoleszenz – durchaus mit Slapstick-Einlagen, Kalauern und Trash-Elementen. Und doch geht die Rechnung auf. Dank Selbstironie funktioniert die Geschichte, dank Computer-Technik überzeugen die Bilder, wenn der animierte Held Wände hochklettert oder sich durch die Skyline New Yorks schwingt. Aus der radioaktiv verseuchten Spinne wird – ganz zeitgemäß – eine genmanipulierte. Am unterhaltsamsten ist der Film, wenn man Peter Parker bei seiner Entwicklung zusehen darf: Vom Loser zum (Alltags-)Helden. Man kann über die weiteren beiden Teile, vor allem den dritten, sagen was man will: In seinen Stärken bleibt sich die Spider-Man-Reihe bis zum Schluss treu.

Zwischen Coolness und Kunst

Regisseur Sam Raimi hatte bereits 1990 mit Darkman einen erwachsenen Superhelden-Film inszeniert. Auch wenn er heute albern wirkt, wirkt er verglichen mit Tim Burtons Batman für seine Zeit modern. Liam Neeson spielt darin einen entstellten Wissenschafter mit übermenschlichen Kräften, der mit Hut und bandagiertem Gesicht den Rächer spielt und für seine Liebste für ein paar Stunden sein altes Gesicht wiederherstellt. Im Rückblick ist Spider-Man besser gealtert. Nicht bloß der Effekte wegen, sondern auch in erzählerischer Qualität. Der Vergleich zwischen den zwei Filmen zeigt, welcher Evolutionssprung sich in einem Jahrzehnt vollzogen hat.

Doch trotz des starken Anfangs mit drei maßgeblichen Filmen kamen bereits im Jahr 2003 zwei Rückschläge für das junge Genre: Daredevil und Hulk. Beide Filme wollen mehr sein, als sie bieten können. Daredevil will Coolness, Hulk will Kunst. Beides funktioniert nicht. Mit Daredevil präsentiert Marvel seine Batman-Version, einerseits düster, andererseits überzeichnet und dämlich (z.B. den Kampf mit Elektra und der Auftritt von Bullseye). Trotz guter Ansätze bietet der Film keine neuen Ansätze und verspielt somit sein Potenzial, das in der Hauptfigur steckt.

Verheizte Helden

Hulk hingegen strotzt vor Ambition. Marvel hat dafür Ang Lee (Brokeback Mountain!) als Regisseur verpflichtet. Aber das erwies sich als Fehlentscheidung. Lee hat aus der Comic-Adaption einen Comic-Film gemacht: mit unmotivierten Split-Screen-Einlagen und schwachsinnigen Bildübergängen. Darin eingebettet ist eine Story, die zwar auf Charaktere setzt, aber nicht fesselt. Die Actionszenen kränkeln an unausgereifter CGI-Technik und dem Fehlen würdiger Gegner. Stattdessen muss der schlecht animierte Hulk gegen Monsterhunde und Panzer kämpfen. Öde.

Und auch sonst schien dem Genre trotz der aufkommenden Flut an Filmen schnell die Luft ausgegangen zu sein: Fantastic Four, The Punisher, Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen und Catwoman sind nur einige Beispiele für verheizte Superhelden in uninspirierten Filmen. Doch es kam Rettung – und zwar aus der Ecke der Anti-Helden …

Fortsetzung folgt.

Spielzeugschlacht im Kinderzimmer

Marvel

Marvel

Marvel’s Ant-Man ist ein kleiner Superhelden-Film geworden, der neue Akzente setzt, aber nicht auf ganzer Linie überzeugt. Eine Art Zwischenspiel und Verschnaufpause zum anstehenden Civil War.

Der Film über den kleinsten aller Marvel-Superhelden hat lange gebraucht. Seit 2003 war Edgar Wright mit dem Projekt Ant-Man betraut gewesen, schrieb das Drehbuch, wurde als Regisseur angeheuert, schrieb das Drehbuch um, schrieb es wieder um, schließlich sollte es soweit sein. Doch kurz vor Produktionsbeginn im Jahr 2014 verkündete Marvel, dass Wright doch nicht Regie führen werde – wegen künstlerischer Differenzen. Das Script wurde erneut überarbeitet, schließlich setzte man Peyton Reed auf den Regiestuhl, einen Mann für seichte Komödien, der mit seinen Werken jedoch nicht gerade Filmgeschichte geschrieben hat. Selbst Avengers-Mastermind Joss Whedon war darüber befremdet: Das Script zu Ant-Man, sagte er, sei das beste, das Marvel je gehabt haben soll – und es habe ihn am meisten an die Comics erinnert.

Auch wenn die Geschichte keinen Konjunktiv duldet, machen solche Aussagen neugierig darauf, was hätte sein können. Jetzt ist das Ergebnis da und beschließt Phase zwei im Cinematic Universe, was bemerkenswert ist, weil der Film als einziger in der Reihe dem Origin eines neuen Helden gewidmet ist und keinesfalls das Spektakel von Avengers: Age of Ultron übertrifft. Auch sonst ist Ant-Man eine Ausnahmeerscheinung. Weniger ein Superheldenfilm als ein Heist-Movie: Der Held, Scott Lang, ist ein Dieb, der rechtschaffen werden möchte, um Verantwortung für seine Tochter zu übernehmen, die bei ihrer Mutter und ihrem neuen Verlobten, einem Cop, wohnt. Doch weil das mit dem Pfad der Tugend nicht klappt, lässt er sich auf einen Coup ein, kommt so an den Ant-Man-Kampfanzug, den vor ihm schon Hank Pym (Michael Douglas stiehlt allen die Show) als Soldat für SHIELD benutzt hat. Der beauftragt ihn, von einem Evil Guy einen anderen Schrumpfanzug (Yellowjacket) zu klauen, bevor die Welt in Chaos versinkt. Und beim Heist lässt sich der Held von vielen Ameisen helfen.

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Marvel, Civil War und so weiter

Die Liste der Woche: Helden in Civil War
Instagram/Umberto Gonzalez

Instagram/Umberto Gonzalez

Okay, jetzt da Avengers: Age of Ultron langsam verdaut ist, können wir uns auf die nächsten Sensationen aus dem Hause Marvel freuen. Ant-Man steht noch an, er beschließt Phase 2 des Cinematic Universe. Im nächsten Mai beginnt Captain America: Civil War Phase 3; der Dreh hat bereits begonnen. Wie schon festgestellt, wird das ein Film, der so viele Helden enthält, dass man ihn genauso gut „Avengers 3“ nennen könnte (anderswo ist schon von „Avengers 2.5“ die Rede). Hier ist das offizielle Lineup:

  1. Captain America
  2. Iron Man
  3. Hawkeye
  4. Black Widow
  5. Scarlet Witch
  6. War Machine
  7. Falcon
  8. Winter Soldier
  9. The Vision
  10. Ant-Man (kommt am 23. Juli ins Kino)
  11. Black Panther (bekommt seinen eigenen Film 2018)

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Kino der Lustbarkeit

Walt Disney/Marvel

Walt Disney/Marvel

Die Erwartung wurde erfüllt: Avengers – Age of Ultron ist ein großes Spektakel mit vielen kleinen Späßen. Wieder einmal ist Regisseur und Autor Joss Whedon ein Kracher mit fulminanten Kamerafahrten und irrwitzig übertriebenen Kampfszenen gelungen. Bei aller Action und Effekten schafft es Whedon aber immer noch, Zeit für seine Figuren zu finden, auch wenn es noch mehr Helden denn je gibt, kommt jeder zu seinem Recht. (Dieses Mal verleihen sogar eine kleine Lovestory, ein Familienbesuch, ein paar Rückblenden und Visionen den Charakteren Tiefe.) Und dann gibt es noch herrlichen Quatsch: Grandios allein die Hammer-Szene, die schon aus dem Trailer bekannt ist – die Avengers wirken wie ein Haufen pubertierender Schüler auf Klassenfahrt. Bei aller Geselligkeit profitiert der Film davon, dass die Helden immer noch kein eingespieltes Team sind, sondern sich ständig streiten – und auch bekämpfen. Diesen Konflikten ist auch die beste Szene geschuldet: Iron Man gegen Hulk. Eine solche Prügelei, bei der sich der Große Grüne mal wieder als unzerstörbar erweist, ist einfach nur – verzeiht den rohen Ausdruck – unglaublich geil. Oder um es mit Thor zu sagen: Das ist Kino der Lustbarkeit.

Letztendlich sind die Probleme der Avengers hausgemacht: Tony Stark erschafft die böse Super-Intelligenz Ultron nur in bester Absicht, um die Welt zu befrieden (und um endlich Urlaub machen zu können). Doch der Roboter pervertiert diesen edlen Auftrag in eine Mission globaler Zerstörung. Dieser Ultron ist zwar ein starker (vielleicht allzumenschlicher) Gegner, leider verliert er im Deutschen mit der unpassenden Stimme von Edward Norton (dem ersten Hulk des Cinematic Universe) etwas von seiner Bedrohlichkeit.

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Blinder Katholik in Teufelsküche

Netflix

Netflix

Nach den ersten 13 Episoden von Marvel’s Daredevil auf Netflix kann man sagen: Die Serie ist geglückt und macht Lust auf mehr. Das Cinematic Universe ist um einen Helden und einige Charaktere reicher.

Da hat man sein Jura-Studium mit Bravour beendet, sein Referendariat bei einer großen Kanzlei gemacht, doch statt seine Seele an den Teufel zu verkaufen und reiche Arschlöcher zu vertreten, macht man eben seine eigene auf, um den kleinen Mann zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Doch was tun, wenn all die hohen Ideale, die man als junger Mann hat, nicht einsetzen kann, weil die Klienten ausbleiben? Dann ist es von Vorteil, wenn man in der Kampfkunst trainiert ist: Man legt sich eine Maske zu und macht nachts die Stadt unsicher, um die bösen Buben zu verhauen. Das geht meist schneller, als die Mühlen der Justiz mahlen zu lassen. Man muss nur darüber hinwegsehen, dass es eigentlich gegen die Regeln ist, die man als Anwalt verteidigen will. Aber für einen Blinden dürfte das kein Problem sein.

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