rafael albuquerque

Mark Millar: Prodigy

Prodigy (Cover)

Image Comics

Edison Crane ist ein wahres Wunderkind. Er ist nicht nur ein hervorragender Polospieler. Als er von seinen Mitschülern aus Neid verdroschen wird, revanchiert er sich, indem er übers Wochenende mehrere Kampfsportarten lernt – und zwar nur durchs Fernsehen. Später operiert er ein Kind am offenen Herzen. Als Erwachsener entwickelt er eine Rakete, um einen Asteroiden von der Erde abzuwehren – und das während er acht Schachpartien gleichzeitig spielt. Und zum Zeitvertreib führt er die waghalsigsten Stunts durch, die sich Kinder ausdenken. Klar, dass er die erste Wahl ist, wenn es darum geht, die Welt zu retten.

Mark Millar (The Magic Order) beweist mit Prodigy mal wieder, dass er selbst noch ein Kind geblieben ist – und ein Wunderkind obendrein. Seine Fantasie ist nahezu unerschöpflich und er ist auch ein Meister der Übertreibung. Sein Edison Crane entspricht des naiven Wunschtraums eines Alleskönners, der jede noch so brenzlige Situation meistert, er ist James Bond, Ethan Hunt, Indiana Jones und McGyver in einem. Aber die Coolness, mit der er das erledigt, lässt auch einen makellosen Überflieger wie ihn sympathisch erscheinen.

Wir sehen, wie der Held mit einer CIA-Agentin um die Welt reist, um einen Plan zusammenzustückeln, den böse, empathiefreie Menschen von einer kaputten Parallelwelt schmieden, um über unsere Erde herzufallen. Crane klappert so ziemlich alle archäologischen Stätten ab, kämpft gegen Haie und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ und räumt nebenbei noch Millionen beim Pokern ab. Es ist ein Heidenspaß, ihm dabei zuzusehen, auch weil Rafael Albuquerque (Huck, Ei8ht) mit seinen dynamischen und ausdrucksstarken Zeichnungen die Rasanz der Story noch steigern. Die knalligen Farben von Marcelo Maiolo machen jede Seite zum Hingucker.

Dass Millar keine Skrupel vor Tabus hat, zeigt er in einer Sequenz, in der die Schurken eine sadistische Jagd auf Kinder machen. Seiten wie diese bringen eine Drastik in die Geschichte, die den sonst unbeschwerten Stil radikal brechen. Ein typischer Millar eben. Auch wenn das Ende für ihn typisch und damit formelhaft anmutet (der Held ist dem Schurken um mehrere Schritte voraus), ist Prodigy doch smart genug, um in der langen Reihe von Millarworld-Titeln zu bestehen. Man darf sich darauf freuen, was Netflix aus dem Stoff machen wird.

>> Mark Millar/Rafael Albuquerque: Prodigy – The Evil Earth, Image 2019.

Verschollen in der Zeit

Dark Horse

Ein Mann ohne Gedächtnis stranded in einer fremden Dimension: The Meld, einer Wüste, in der willkürlich Menschen und Dinosaurier aus verschiedenen Epochen landen. Der Held, Joshua heißt er, will nicht nur zurück nach Hause, er muss sich auch gegen einen Tyrannen zur Wehr setzen und eine Rebellion gegen ihn anführen. Der Handlanger des Tyrannen, nur The Spear genannt, ist ein original Nazi.

Rafael Albuquerque ist ein begnadeter Zeichner, der sich mit American Vampire, Batman und Huck einen Namen gemacht hat. Hier debütiert er als Autor, indem er die Story liefert. So lebendig seine Figuren aber auch gezeichnet sind und so sehr er einen Willen zum eigenen Stil zeigt, so sehr mangelt es der Geschichte an Tiefe, um sich mit der Welt und ihren Charakteren vertraut zu machen. Die Story hetzt regelrecht durch Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Meld, das macht sie kurzweilig, aber auch belanglos.

Die neue Dimension bleibt flach, ihre Notwendigkeit leuchtet nicht ein: Sie erscheint als abstrakte Wüste mit Dinos, der Reiz oder die Probleme dieser Welt werden nicht deutlich, einen Konflikt zwischen Tyrannen und Rebellen kann man auch in ganz normalen Welten haben, und die Dinos wirken wie nicht mehr als reine Staffage. Ich hätte mir vielleicht noch einige Ausgaben mehr gewünscht, aber so ist Ei8ht nicht mehr

>> Rafael Albuquerque/Mike Johnson: Ei8ht. Outcast, Dark Horse 2015, (dt. Gestrandet, Popcom 2016).

Jeder Tag voller guter Taten

Image Comics

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Huck ist ein hünenhafter Jedermann im ländlichen Amerika: er arbeitet bei einer Tankstelle, er ist etwas langsam. Aber er hat ein besonderes Talent: er kann Dinge finden. Und Probleme lösen. Dabei ist er sehr schnell. Er rennt wie der Wind, er springt auf die Dächer fahrender Autos und Züge und erledigt zuverlässig, was er sich vornimmt. Jeder Tag voller guter Taten. Egal, ob er einen Hund oder Entführungsopfer in Nigeria aufspüren soll, den Rasen der Nachbarn mäht oder eine Goldkette aus dem Meer fischt – Huck nutzt sein Talent, um sich nützlich zu machen. Ohne Gegenleistung, in größter Bescheidenheit.

Mark Millar erzählt in Huck eine für seine Begriffe ungewöhnliche Geschichte: es zwar geht wieder um Superhelden, aber die Story kommt ohne die übliche drastische Gewalt aus (wie etwa bei Kick-Ass oder Wanted). Vielmehr führt Millar den Superheldentopos zu seinem Ursprung zurück: Gutes tun. In aller Schlichtheit. Keine Kostüme, kein Schnickschnack. Jeder kann ein Held sein. Dafür braucht es keine Superkräfte, sondern nur eine gute Gesinnung.

Nicht von ungefähr wirkt Huck wie ein blonder Clark Kent, der in Smallville seine Kräfte erprobt, bevor er nach Metropolis geht. Die Stimmung erinnert, auch wegen der warmen, leuchtenden Farben, an die Idylle Superman For All Seasons (Superman für alle Zeiten, 1998) von Jeph Loeb und Tim Sale. Viele Sequenzen kommen ohne Text aus und lassen viel Raum für Figuren und Atmosphäre. Zeichner Rafael Albuquerque verleiht den Figuren eine einzigartige Dynamik und Lebendigkeit. Alles wirkt wie ein harmonisches Ganzes.

Da gerät die Story zur Nebensache. Huck findet heraus, dass er einen Bruder und eine Mutter hat, es läuft auf das Klischee böser Sovjet-Wissenschaftler hinaus, die Super-Soldaten heranzüchten wollen. Der dramatische Höhepunkt vergeht so schnell wie er gekommen ist, das Finale verläuft allzu einfach. Aber wie gesagt: es geht ums Wesentliche. Daher ist ein raffinierter Plot auch nicht nötig. Hier ein paar überraschende Wendungen, aber sonst nichts als tiefe Menschlichkeit, Wärme und Schönheit – ohne langweilig zu sein.

Bei all der Gewalt und Düsternis in Comics ist das eine willkommene Abwechslung. Wenn man sich ansieht, dass DC gerade mit Rebirth eine Kehrtwende zu einem positiveren Superheldenbild vollzieht, könnte Huck ein weiterer Vorbote für ein neues Bedürfnis nach Optimismus in unruhigen Zeiten sein.