science fiction

Star Trek: Beyond What?

Paramount

Retro-Poster zu Star Trek Beyond (Paramount)

Erinnert sich noch jemand an den Prolog von Star Trek? Klar, er wird ja ständig wiederholt, wenn auch mittlerweile als Epilog der Serie. Aber wann hat jemand zuletzt über seine Bedeutung nachgedacht? Egal, ob dort der Weltraum „the final frontier“ genannt wird oder von „unendliche Weiten“ die Rede ist: Die Reise der Enterprise geht stets dahin, wo nie ein Mensch zuvor gewesen ist („where no one has gone before“). Fremde neue Welten, neues Leben, neue Zivilisationen – das sollte Programm sein. Eigentlich.

(ACHTUNG SPOILER!!!)

Nachdem die ersten beiden Filme des Reboots stets Erde und die Föderation im Mittelpunkt standen, soll es nun also „Beyond“ gehen, darüber hinaus. Und so sehen wir endlich, im dritten Teil der Reihe, die Enterprise zwar durchs weite Weltall tingeln. In einem starken Monolog macht Captain Kirk deutlich, welche Entbehrungen damit verbunden sind. Aber leider sind von den fünf Jahren Mission bereits drei rum, ohne dass wir etwas davon gesehen hätten. Das Neue besteht in einem Schauwert: einer gigantomanische Raumstation, eine wahnwitzig konstruierte Megalopolis in Form einer Schneekugel – aber das war’s auch schon. Denn was folgt, kommt einem zu bekannt vor. Statt neue Welten und Zivilisationen zu erkunden, geht die Reise bloß zu einem Planeten, der der Erde sehr ähnlich sieht (wenigstens der Wald), und der Schurke entpuppt sich am Ende als ehemaliges Föderationsmitglied. Schon wieder.

Immer die alte Leier: Rache

Wie schon Khan vor ihm (und vor ihm der Romulaner Nero, und vor ihm Shinzon usw.) hegt er Rachegelüste auf die Föderation. Und er ist nicht einmal das reptilienhafte Wesen, als das er zunächst erscheint, sondern bloß ein Mensch, der zusammen mit der Lebenskraft auch das Äußere anderer Wesen annimmt. Das Fremde ist doch immer wieder das Vertraute. Und wieder endet es mit einem Finale, bei dem der Feind auf eine Stadt zusteuert, um sie zu vernichten …

Wieder wird eine Enterprise geschrottet – wie schon in Star Trek III, VII und zum Teil auch Star Trek X (in VIII wird eine Selbstzerstörungssequenz gestartet, aber wieder abgebrochen). Damit reiht sich der Film in die Tradition ein, aber die Haltbarkeitsdauer von Raumschiffen sinkt rapide. Ein Zugeständnis an den Zeitgeist der Wegwerfgesellschaft? Vielleicht. Oder auch einfach ein Trend zur Zerstörungswut in Blockbustern. Das Dumme ist nur: der Effekt verbraucht sich. Zum Trost sehen wir am Ende von Beyond eine neue Enterprise im Zeitraffer entstehen. (Was eigentlich nur ein billiger Trick ist, um die Vernichtung zu annullieren.)

Harmonie auf der Enterprise

Selbstverständlich lebt ein Science Fiction-Film wie Star Trek nicht vom Plot allein. Und so bekommen die Fans genug Weltall-Soap geboten: Kirk und Spock, Spock und Pille, Uhura und Spock – was sich liebt, das neckt sich. Nur überwiegen hier eher die Liebesbekenntnisse, die Seitenhiebe teilt man nur noch der Tradition wegen aus, und sei es um ein paar Lacher einzustreuen. Leider bleiben dabei aber die Charaktere Sulu und Chekov unterrepräsentiert, was besonders traurig stimmt, wenn man bedenkt, dass Chekov-Darsteller Anton Yelchin vor kurzem gestorben ist.

Im Weltall nix Neues? Wie schade. Dabei gäbe es in den unendlichen Weiten des Weltalls auch unendliche Geschichten zu erzählen. Stattdessen bringen die Star Trek-Macher immer wieder das Gleiche. Diese Angst vor dem Neuen, das auch Risiko bedeutet, konnte man zuletzt auch bei Star Wars beobachten, der erschreckend nah an seinen Vorlagen klebte, obwohl er genug Energie hatte, etwas Neues zu erzählen. Man muss sich daher fragen, was dieses „Beyond“ im Titel soll: Jenseits von was?

Mehr Pioniergeist bitte!

Was bleibt, ist das Spektakel. Überwältigende und überfordernde Wimmelbilder, rasante Action. Was fehlt, ist das, was Star Trek schon immer ausgemacht hat: Der Pioniergeist, der Forscherdrang, das Streben nach Wissen sowie moralische und philosophische Fragen. Zugegeben: Die Filme blieben meistens hinter diesen Tugenden der Serien zurück. Schon immer standen die Crew, alte Fehden, offene Rechnungen und Föderationsprobleme im Mittelpunkt, bekannte Spezies wie Klingonen, Romulaner und Borg dominierten. Aber vielleicht wäre es deshalb an der Zeit, diese Kinotradition zu brechen. Es ist genug Elan in dieser neuen Crew, das man sie auch mal in neue Gefilde steuern lassen könnte. Das würde auch wieder mehr Konflikte in diese all zu harmonische Familie bringen.

Bislang fehlt eine Fernsehserie, die diese Bedürfnisse der Trekkies befriedigen könnte. Nächstes Jahr soll sie kommen – aber ohne die bekannte Crew um Kirk. Aber damit allein kann es nicht getan sein. Denn es ist das Kino, das das Außerordentliche auf die große Leinwand bringen sollte. Daher wäre zu wünschen, dass die Macher der Star Trek-Filme endlich ihren Mut aufbringen, einmal über die Grenzen ihres Erfahrungshorizontes hinauszugehen. Denn um nichts anderes geht es in den Geschichten von Star Trek.

Spiel mit Haken

Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Die Scheibe und der Trichter. Star Trek TNG: The Game (S05E06)

Man stelle es sich vor: ein Spiel, das einen die Realität vergessen lässt. Das so viel Lust bereitet, dass man nichts anderes mehr machen will. Das muss man sich nicht vorstellen, das gibt es längst. Spielsucht ist nichts Neues. Beobachten kann man sie in Casinos und Wettbüros wie an den Rechnern und Konsolen weltweit. Aber nun gibt es Pokémon Go, ein Spiel, in dem Realität und Virtuelles miteinander verschmelzen und das in wenigen Tagen nicht nur ein Hype, sondern sich so rasant wie eine Pandemie verbreitet. Es macht einem fast Angst, wie die App quer durch alle Altersschichten Menschen beschäftigt. Wie Zombies gehen sie in Scharen durch die Stadt, starren auf ihre Handys und ignorieren die einfachsten Verkehrsregeln und Privateigentum. Mittlerweile soll das Spiel im Netz populärer sein als Pornos …

Energize: Captain Picard als Zocker.

Energize: Captain Picard als Zocker.

Die Sache erinnert stark an eine Folge aus der Fernsehserie Star Trek – The Next Generation. Wieder hat sich die Science Fiction als visionär erwiesen. In „The Game“ (dt. Gefährliche Spielsucht, Staffel 5, Episode 6, 1991), verfällt die Crew einem ganz ähnlichem Spiel, das sich ebenfalls vor dem Hintergrund der Realität, aber als Projektion vor den Augen entfaltet. Man setzt sich ein Gestell auf und los geht’s. Ziel des Spiels ist es, mittels Willenskraft rote Scheiben in violette Trichter zu werfen. Als Belohnung wird das Lustzentrum im Hirn stimuliert.

Riker ist begeistert.

Riker ist begeistert.

Der erste Offizier, Commander Riker, bringt das Spiel von einer Reise mit. An Bord entwickelt sich ein Trend, dem bald alle anheimfallen. Die Besatzung macht kaum noch etwas anderes, als verträumt vor sich hinzustarren – auch beim Gehen. Nur der kleine Sternenflotten-Kadett Wesley Crusher und seine Freundin widersetzen sich dem Spiel und finden heraus, dass es nicht nur süchtig macht, sondern auch das Denken ausschaltet. Wesley sucht Hilfe bei Captain Picard, doch auch er ist schon auf dem Trip hängengeblieben. Schließlich fliegen die jugendlichen Rebellen auf, werden von ihren Freunden und Kollegen gefangen genommen und zum Spiel gezwungen. Es ist ein Alptraum, nicht von ungefähr erinnert der dramatische Höhepunkt im Finale an den Film Clockwork Orange.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Gezwungen zur Gehirnwäsche: Clockwork Orange lässt grüßen.

Am Ende kann interessanterweise nur eine andere Maschine gegen das Computerspiel helfen: Commander Data, ein Android, der präventiv von der Crew ausgeschaltet wurde, erwacht aus seiner Starre und bringt mittels eines Blinklichts alle wieder zur Vernunft.

Data in The Game.

Deus ex machina bringt Erleuchtung.

Während sie in der Star Trek-Episode alle irgendwann mit diesen Aufsätzen durch die Gegend laufen, ist es jetzt das Smartphone, das sich die Leute vors Gesicht halten, während sie virtuellen Monstern nachjagen – und dabei die Welt um sich herum ausblenden. Bei Star Trek wird das Spiel nicht nur als Droge gefährlich: es ist ein perfides Mittel der Unterwerfung der Sternenflotte durch Aliens. Nintendo wird wohl nur eine Absichten verfolgen: Profit. Eingriffe in ihre Gehirne und ihre Lebenswelt lassen die Menschen von ganz allein zu. Und das einzige Blinklicht, das sie am Ende aus der Hypnose befreit, wird wohl bloß der nächste Hype sein …

Die Monster sind überall

Twilight Zone: Maple Street

Maple Street – eine ganz normale Straße. Nicht nur in der Twilight Zone.

Es soll Leute geben, die haben keinen Fernseher – und sind auch noch stolz drauf. Wozu braucht man auch so ein Ding, wenn es Internet gibt? Einschalten lohnt sich ohnehin meist nicht. Es sei denn, man will sich informieren – aber das Fenster in die Welt zeigt hässliche Dinge: In den USA erschießen Polizisten Zivilisten wegen ihrer Hautfarbe. Zivilisten schießen zurück. Einige Wochen zuvor erschoss ein Mann einige Menschen wegen ihrer Sexualität. Und in Deutschland werden Menschen angegriffen wegen ihrer Herkunft. Ganz zu schweigen vom Rest der Welt.

Manchmal aber lohnt sich der Blick in die Glotze. Nicht, um dem Grauen zu entgehen, sondern um ihm auf ungeahnte Weise zu begegnen und den Blick  für die Ursachen zu schärfen. In der Urzeit des Fernsehens gab es eine Serie mit dem Namen The Twilight Zone (1959-1964). Der erste deutsche Titel lautete „Unwahrscheinliche Geschichten“, und tatsächlich erzählen die meist 20-minütigen Episoden allerhand Kurioses, mit dem sich die Wahrscheinlichkeitskrämer dieser Welt, die Realisten, nicht abgeben müssen, weil es scheinbar nichts mit ihnen zu tun hat.

Twilight Zone

Twilight Zone

Es gibt aber eine Ausnahme. Eine dieser Episoden passt damals wie heute, weil sie nicht vom Fantastischen, sondern der harten Realität handelt: The Monsters Are Due On Maple Street (S01E22, dt. Die Monster der Maple Street). In dieser Episode gibt es fast nichts Übernatürliches, jedenfalls nichts von Belang. Es sind die Menschen, die zu Monstern werden. Die Handlung spielt in einer klassischen Vorstadt-Idylle der USA. Eines Abends sehen die Menschen ein ungewöhnliches Licht am Himmel flackern – und plötzlich gehen bei ihnen die Lichter aus. Kein Strom mehr, nicht einmal Autos funktionieren. Außer bei einem. Sein Auto springt plötzlich von selbst an. Dass es kurz darauf wieder aufhört, spielt keine Rolle. Denn die Nachbarn sind skeptisch geworden.

Ein Junge hat ihnen von seinen Comicgeschichten erzählt, in denen Alien-Invasionen immer damit beginnen, dass der Strom ausfällt, um die Menschen verwundbar zu machen. Obwohl die Geschichten des Jungen Fiktion sind und die Menschen das wissen, nehmen sie sie wörtlich und suchen die Realität nach Gemeinsamkeiten ab. Also ist der Nachbar, dessen Auto plötzlich läuft, ein potenzielles Alien, das sich in Menschengestalt unter ihnen versteckt hält. Den Bewohnern der Maple Street fallen dann einige Seltsamkeiten an ihm auf, etwa dass er nachts in die Sterne sieht. Der Mann beteuert, bloß an Schlaflosigkeit zu leiden, doch der Mob hat Blut geleckt.

Twilight Zone: Maple Street

Auch in der Maple Street hängen Waffen griffbereit.

Die Hexenjagd verlagert sich auf andere, die Menschen werden paranoid, bis einer, bei dem die Schrotflinte sehr locker sitzt, einen Unschuldigen erschießt. Daraufhin gehen bei ihm zu Hause die Lichter an. Der Mörder wird zum Sündenbock, jemand wirft den ersten Stein und die ganze Stadt bricht in Chaos aus.

Am Ende stellt sich heraus, dass doch Außerirdische für den Vorfall verantwortlich sind. Mit einem simplen Mittel wie einem Stromausfall hetzen sie die Menschen gegeneinander auf, damit sie sich gegenseitig ausschalten. Die Welt, so sagen sie zynisch, sei voller Maple Streets – und so ziehen sie von einer zur anderem, um überall gleich vorzugehen.

„There are weapons that are simply thoughts, attitudes, prejudices – to be found only in the minds of men“, resümiert der Erzähler Rod Serling in seinem Epilog. „For the record, prejudices can kill – and suspicion can destroy – and a thoughtless frightened search for a scapegoat has a fallout all of its own – for the children – and the children yet unborn.“ So etwas gebe es nicht nur in der Twilight Zone. Man kann auch sagen: Solche Dinge gibt es nicht nur im Fernsehen.

Twilight Zone: Maple Street

Weiter zur nächsten Maple Street.

Die Folge erschien im Jahr 1960, einige Jahre nach dem Ende der Kommunistenhetze der McCarthy-Ära, einige Jahre vor dem Ende der Rassentrennung. 56 Jahre später scheint sich in Sachen Vernunft nicht viel getan zu haben. Die Evolution schleicht. Und beim Menschen macht sie immer wieder einen Sprung zurück. Man sollte diese Parabel auf die Menschheit jedem Schulkind zeigen. Vielleicht wäre das ein erster Ansatz, den Einfältigen endlich Vernunft einzuhämmern.

Manchmal sollte man das Fernsehen nicht zu früh abschreiben.

Wenn die Lichter ausgehen.

Wenn die Lichter ausgehen.

>> Die Episode findet sich auf der DVD der ersten Staffel von Twilight Zone.

Postapokalyptische Dekadenz

Image Comics

Image Comics

Warum der Comic Suiciders von Lee Bermejo ein Hingucker ist.

Nach einem großen Erdbeben ist Los Angeles alles andere als die Stadt der Engel. Die Stadt ist abgespalten vom Rest der USA und auch in sich gespalten: Auf der einen Seite der Mauer liegt New Angeles, wo kaum jemand ohne Schönheitschirurgie, Implantate oder Prothesen lebt. Zur Belustigung der Massen dient nicht mehr die Traumfabrik Hollywood, sondern das brutale Gladiatorenspiel der sogenannten Suiciders. Auf der anderen Seite liegt Lost Angeles, ein trostloser Ort, vom dem immer wieder Menschen in den besseren Teil der Stadt zu fliehen versuchen. Wer erwischt wird, wird sofort von Grenzern mit Maschinengewehrkugeln zerfetzt.

Die Zukunft bietet keinen Fortschritt, sondern einen Rückfall zu antiker Rohheit und spätrömischer Dekadenz. Doch wie üblich erzählt auch diese Dystopien nicht von der Zukunft, sondern hält der Gegenwart den Spiegel vor. Die Comic-Serie Suiciders handelt vom Kampf ums Überleben in einer Zweiklassengesellschaft und Unterhaltung auf Kosten der moralischen Abstumpfung, vom Selbstoptimierungswahn einerseits und von der Verzweiflung, der blanken Not zu entkommen. Damit ist der Band auch ein Beitrag zur aktuellen Flüchtlingskrise (wenn auch in den USA eher die Zuwanderung über den Tortilla Curtain das naheliegendere Thema ist).

(mehr …)

Weltraumkartoffeln

Der Weltraum ist der Unort schlechthin. Der allergrößte Teil des Universums ist nicht für uns gemacht: lebensfeindlich durch und durch, ein bitterkaltes Nichts. Der Mond ist ein Nichts mit Stein und Staub. Der Mars ist eine Spielart davon in rot, zwar mit Wasser, aber irrelevant. So finden die NASA-Leute in Ridley Scotts Film Der Marsianer nichts als Steine auf dem Planeten. Als dann ein riesiger Sturm die Mission zum Abbruch zwingt, machen sich die Leute schnell davon. Einer, Mark Wattney, verunglückt und wird für tot erklärt. Doch er überlebt und muss es irgendwie schaffen zu überleben – bis irgendwann vielleicht Hilfe kommt. Wenn nicht, wird er entweder erfrieren, verdursten oder verhungern.

Matt Damon spielt den Robinson auf dem Mars als souveränen Macher, der jede Situation mit Exkrementen und Klebeband zu meistern weiß. Einfallsreich wie McGyver baut er sich ein Gewächshaus und kultiviert Kartoffeln, findet eine alte Mars-Sonde und schafft es mittels primitiver Mittel, mit der Erde in Kontakt zu treten. Das Erstaunlichste daran ist aber, wie der Held in völliger Einsamkeit, Isolation und Langeweile nicht durchdreht und sich auch keinen imaginären Freund in Form eines Weltraumanzuges oder wenigstens -helms sucht, sondern sich in unermüdlichem Eifer, wie ein überzeugter Siedler, sein Überleben mit Rationierung sichert. Weit weg, auf der Erde, spielen NASA-Leute in Designerbüros mit Sichtbetonwänden Szenarien inzwischen wissenschaftliche und moralische Fragen durch: Darf und soll man fünf Menschenleben riskieren, um eines zu retten? Die Frage hat Hollywood spätestens bei Star Trek III beantwortet, als sich die Crew auf die Suche nach Mr. Spock begab, und mit Der Soldat James Ryan (schon damals mit Matt Damon!) ad absurdum geführt – und so werden alle Zweifel mit der bewährten „Alle-für-einen“-Euphorie und dem üblichen US-Pathos ausgemerzt.

Auch 20 Jahre nach Apollo 13 und zwei Jahre nach Gravity wirkt Der Marsianer, trotz seines für einen Science-Fiction-Films sehr realistischen, fast schon puristischen Ansatzes (keine Aliens, kein Warp-Antrieb) wie ein cineastisches Déjà-vu. Die Versatzstücke hat man so oder ähnlich schon einmal gesehen, vor allem bei Apollo 13, da aber spannender. Und allein von der Bildgewalt können die unendlichen Wüsten des Mars nicht mit den unendlichen Weiten und der beklemmenden Stimmung von Gravity mithalten – ganz zu schweigen von der mitreißenden Kamera-Arbeit. Der Marsianer ist ein weitgehend konservatives Filmchen, wie sie Ridley Scott schon lange dreht, sein bester Film seit American Gangster, vielleicht sogar der beste Mars-Film, aber gemessen an den cineastischen Perlen der vergangenen Jahre keineswegs ein herausragendes Werk. Was ihm vor allem fehlt, ist eine menschliche Tiefe. Die Charaktere, obwohl prominent besetzt, werden bloß oberflächlich eingeführt, größere Anteilnahme können sie einem nicht entlocken.

Was bleibt, ist ein einsamer Mann in der Wüste, der unbestimmt genug bleibt, dass sich jeder mit ihm identifizieren kann, der aber keinen großen Eindruck hinterlässt. Ein Mensch, der reduziert ist auf einen eisernen Überlebenswillen, der sich nur von Kartoffeln, Ketchup und Astronautenbrot ernährt. Der Mensch als nahezu stoischer Anpassungsmeister, der selbst verhasste Musik erträgt. Offenbar muss man, wenn man es mit dem Nichts des Alls aufnimmt, so weit gehen, sich selbst zum Vakuum zu machen.

Schabernack mit Zeitreisen

Image Comics

Image Comics

Was tun, wenn man einen Zeitreiseanzug erfunden hat und keinen Grund hat, in der eigenen Gegenwart zu leben? Dann macht man eben das Beste aus der Vergangenheit. Corbin Quinn, der erste Zeitreisende, soll eigentlich die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus aufzeichnen, strandet dann aber in Samarkand des Jahres 1504. Als sein Kollege und Freund Reilly ihn holen kommt, hat sich Quinn bereits ein eigenes Königreich aufgebaut – mit allen Annehmlichkeiten aus diversen Epochen. Von da an pfeifen die Wissenschaftler auf ihre Mission und gehen auf Spritztour durch die Zeit: Von der Entstehung des Lebens bis zu den Dinosauriern, von der Prohibitionszeit bis in die 1980er Jahre. Sie verdienen Vermögen an der Börse und am Roulette-Tisch, sie legen die großen Frauen der Geschichte flach, von Jeanne d’Arc bis Norma Jean Baker (Marilyn Monroe) oder treffen sich mit Jean Paul Sartre. Vor allem aber: Sie schreiben die Geschichte nach ihrem Gutdünken um. Das bedeutet vor allem: zu ihrem eigenen Vorteil.

Image Comics

Image Comics

Mark Millar (Wanted, Kick-Ass, Kingsman, Civil War) spielt mit dem ersten Band von Chrononauts die hedonistischste Variante von Zeitreisen durch, sondern schafft damit auch die leichtfüßigste und witzigste Zeitreise-Story seit Zurück in die Zukunft. Im Grunde arbeitet er sich bloß an den typischen Wendepunkten der Menschheit ab und greift zu dem billigen aber bewährten Trick von Insider-Witzen, zum Beispiel wenn der Held dem neugeborenen Jesus ein Kruzifix schenkt – das ist typischer schwarzer Millar-Humor. Wenn am Ende Spartaner, Römer, Wikinger, Franzosen und Chinesen zu einer riesigen gemeinsamen Schlacht zusammengebracht werden, ist das natürlich großer Quatsch – aber einer, der ungemein amüsiert. Sean Murphys (The Wake) kantige, detailreiche Zeichnungen veredeln das Ganze auch visuell und verleihen der rasanten Geschichte eine zusätzliche Dynamik.

Bei aller Kurzweiligkeit wirkt die Story streckenweise auch zu abgehetzt, sodass die Charaktere auf der Strecke bleiben. Am Anfang werden sie nur sehr oberflächlich eingeführt und so kommt auch keine große Anteilnahme auf, wenn sich am Ende alles zur Idylle nach Hollywood-Manier fügt. Ernst nehmen kann und soll man das nicht. Selbst die größten Fehler und Unglücksfälle sind für Zeitreisende kein Problem, alles kann wieder ungeschehen gemacht werden. Wie? Ist doch egal. Logik? Irrelevant. Hauptsache, es macht Spaß. Und das ist in dem Fall nicht verkehrt.

>> Mark Millar/Sean Murphy: Chrononauts, Book One, Image Comics 2015. (Noch keine deutsche Fassung.)

Kino – Rückblick 2014 und Ausblick 2015

Disney

Disney

2014 war ein gutes Kinojahr. Ein sehr gutes sogar. Und das Beste: Endlich ist diese unsäglich-aufgeblasene Hobbit-Trilogie zu Ende gegangen. Jetzt kann sich Peter Jackson etwas Vernünftigerem widmen, zum Beispiel dem nächsten Tim und Struppi-Film. Aber fangen wir noch mal von vorn an: Das Kinojahr begann mit einer starken Auswahl zur Oscarverleihung (einige der nominierten Filme kamen bei uns erst in diesem Jahr raus). Dann legte Wes Anderson mit Grand Budapest Hotel ein weiteres Meisterwerk vor. Boyhood war ein nettes Filmchen – wird aber von den Kritikern zu sehr gehypt. Captain America überraschte uns damit, wie zeitgemäß ein altbackener Held sein kann. Und Bryan Singer hat mit seiner Rückkehr zu den X-Men in ihrem siebten Film dem Franchise zu neuer Höhe verholfen. Unerwartet gut debütierten die bis dato unbekannten Guardians of the Galaxy – damit bewies Marvel am besten, dass es Blockbuster mit Mut zum Frischen und Unbekannten produzieren kann. Und Planet der Affen: Revolution war auch ganz unterhaltsam.

Im Herbst verstörte uns David Finchers Gone Girl so nachhaltig, dass wir seitdem Angst haben, das Bett mit einer Frau zu teilen. No Turning Back war mal wieder ein schönes Kammerspiel im Buried-Stil. Chadwick Boseman lehrte uns in Get On Up, James Brown als den Godfather of Soul zu verehren. Und Jake Gyllenhaal erschreckte uns in Nightcrawler, indem er die Fratze der Fernsehnachrichten zeigte und beerbte damit „Taxi Driver“ Robert DeNiro. Im Genre Dokumentation beeindruckten die Fotos von Sebastiao Salgado (im ansonsten drögen Das Salz der Erde von Wim Wenders) und Nick Cave als Selbstinszenierer in 20.000 Days On Earth (zugegeben: nur eine halbe Dokumentation).

Doch es gab auch einige Enttäuschungen: Interstellar, The Amazing Spider-Man 2, Snowpiercer, American Hustle und vor allem Her. Christopher Nolan sollte sich künftig weniger wichtig nehmen, das würde seinen Filmen mehr Leichtigkeit verleihen. Spider-Man steckt seit seinem Reboot zu sehr in der Wiederholungsschleife fest und bleibt hinter den Standards zurück, die Marvel sonst mit seinen Superheldenfilmen setzt. Snowpiercer war bei weiten nicht so genial wie die Kritiker behaupteten, im Gegenteil: eigentlich eine stupide Keilerei in einem sinnfreien Szenario, das selbst als Allegorie nicht viel hergibt. Was an American Hustle toll sein soll, ist uns schleierhaft. Und Her war mit Abstand der langweiligste Film des Jahres – aber leider hielt uns der Ärger vom Einschlafen ab.

  1. Nightcrawler
  2. Grand Budapest Hotel
  3. All Is Lost
  4. The Wolf of Wall Street
  5. Nebraska
  6. Gone Girl
  7. Get On Up
  8. Guardians of the Galaxy
  9. Captain America
  10. X-Men: Zukunft ist Vergangenheit
  11. Planet der Affen: Revolution
  12. No Turning Back

Das neue Kino-Jahr wird vielversprechend: Wir kriegen viel Science Fiction, Dinos und vor allem viele Superhelden geboten. Doch zunächst die Award-Season. St. Vincent (8.1.) soll mal wieder Bill Murray in Bestform zeigen. Der große Trip – Wild (15.1.) ist ein Wanderer-Drama mit Reese Witherspoon und Oscar-Potenzial. Eine Woche später läuft The Imitation Game mit Benedict Cumberbatch als Mathematiker Alan Turing an.

(mehr …)

Der wahrgewordene Traum des Nerds

Carlsen

Carlsen

Was soll ich bloß zu Weihnachten verschenken? Wie wär’s mit einem Comic? Ach nee, sagen wir lieber „Graphic Novel“ – das klingt nobler, reifer, gebildeter. Das Imperium des Atoms zum Beispiel ist so eines. Kommt infantil daher wie ein Bilderbuch aus den 50er Jahren, ist aber viel zu hoch für Kinder. Erwachsene Leser sollten sich jedoch ihr Kind bewahrt haben, um ihren Spaß an diesem Werk zu haben.

Erinnern wir uns an den Film A Beautiful Mind. Der geht superspannend los als Kalter-Kriegs-Agenten-Verschwörungs-Thriller und dann – ACHTUNG SPOILER! – stellt sich allmählich heraus, das alles nur Einbildung ist und aus dem Thriller über ein Mathe-Genie wird einen Psychodrama über einen Irren. Allen, die von dieser Entwicklung des Films enttäuscht waren, sei das Comicbuch Das Imperium des Atoms empfohlen. Da läuft es nämlich andersrum: Paul, ein Mann, der für die US-Regierung arbeitet, driftet ab in eine imaginierte Science-Fiction-Welt der Zukunft, wird in Therapie geschickt und dort treibt ihm ein Psychiater nach freudianischer Manier die Flausen aus. Die Weltflucht, so wird es ihm eingeredet, sei nur Resultat einer Verdrängung eines sexuellen Traumas der Jugend usw. Doch dann stellt sich heraus, dass doch etwas dran ist an der Sache mit dem Weltraum. Paul wird von einem Schurken, der nichts geringeres als die Weltherrschaft an sich reißen will, unter Drogen gesetzt, um technischen Fortschritt zu erzielen.

(mehr …)

Die Macht erwacht

Es braucht nicht viel zum Glück. Nur einen Millennium-Falken, der vor ein paar imperialen Sternjägern abhaut, ein rotes Laserschwert, das in einem finsteren Wald ausgefahren wird und dann noch ein paar Fanfaren, die die richtige Melodie spielen. Star Wars wirkt immer. Wie Heiligabend für Kinder. So sind die anderthalb Minuten an Filmausschnitten, die der erste Trailer zeigt, auch das wohl größte Weihnachtsgeschenk, das in diesem Jahr verteilt wird – und zwar gratis. An Millionen Fans, die glücklich vor den Laptops sitzen und sich freuen wie Lottogewinner. Nicht nur wegen der Bilder, die sie jetzt in ihren Köpfen und Herzen tragen werden, sondern auch wegen der Vorfreude, die sie ein Jahr lang nähren dürfen bis der neue Star Wars-Film erscheint. Endlich ist das abstrakte Projekt, die Fortsetzung der Saga, konkret, greifbar, spürbar – als das, was der Titel behauptet: das Erwachen der Macht.

Auf J.J. Abrams ruht unsere neue Hoffnung: Zum nächsten Weihnachten wird er uns reich bescheren. Möge die Macht mit ihm sein.

Weltraum? Lahm!

Bild: ESA/Rosetta/NAVCAM

Bild: ESA/Rosetta/NAVCAM

Es ist vielleicht diese kurze Einleitung, die dem Weltraumfilm Gravity sein Gewicht verleiht: „At 372 miles above the earth there is nothing to carry sound, no air pressure, no oxygen. Life in space is impossible.“ Was folgt ist eine anderthalbstündige und eindrückliche Demonstration, was das Weltall ist: ein tödliches Nichts. Nach diesem Horror-Trip, wenn man wieder tief Luft holen kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich des Lebens auf der Erde zu freuen. So etwas Selbstverständliches und Banales wie Sauerstoff und Gravitation scheinen plötzlich Segen zu sein.

Dennoch treiben sich immer wieder Menschen da oben herum. Lassen sich mit Höllenexplosionen aus der Atmosphäre schießen und in der Schwerelosigkeit durch enge Kapseln treiben, nur ein paar Zentimeter vom Tod durch Ersticken, Erfrieren oder Platzen entfernt. Jetzt schon mehr als 50 Jahre. Viel ist dabei bisher nicht herumgekommen – außer einem Spaziergang auf einem öden Gesteinsbrocken, den wir Mond nennen. Und ob die Missionen wirklich stattgefunden haben, wird wahrscheinlich mittlerweile von mehr Menschen bezweifelt als angenommen.

(mehr …)