superhelden

Mark Millar: Nemesis

Nemesis

Marvel Comics

Denken wir uns den ultimativen Schurken. Schlauer als Lex Luthor, tödlicher als der Joker, böser als Darth Vader – und dann hat man immer noch nicht Nemesis. Der weißgekleidete Super-Schurke, den sich Mark Millar (The Magic Order, Prodigy) ausgedacht hat, ist so böse, so respektlos und allen so überlegen, dass es schon beim Lesen wehtut. Gleich zu Beginn lässt er in Japan einen Hotelturm einstürzen, einen Mann vom Schnellzug zerfetzen und am Ende kracht der Zug auch noch samt Insassen in den Abgrund. Doch das war nur zum Aufwärmen, denn Nemesis hat in den USA noch größeres vor: Er kidnappt den Präsidenten und erklärt dem Polizeichef von Washington D.C., Blake Morrow, dass er bald sterben werde. Nemesis will sich rächen, dass Morrow ihm einst seine Eltern genommen hat – die ebenfalls schon ein Faible für sinnloses Morden von Unschuldigen hatten.

Wie immer, ist das, was Millar auffährt, ohne Grenzen. Er kennt als Autor keine Hemmungen, was Gewalt und Moral angeht. Und so ist auch Nemesis ein einziges Gemetzel, allerdings so hyperrealistisch von Steve McNiven gezeichnet, dass man nur schwer wegsehen kann. Die Stimmung wird immer paranoider und klaustrophobischer, man fühlt sich zuweilen an den Joker aus Nolans The Dark Knight-Film erinnert, der Batman immer zwei Schritte voraus ist. Nemesis ist seinen Gegnern mindestens drei Schritte voraus – und das macht diesen Schurken so frustrierend. Das Schlimmste jedoch, das weiß Millar sehr gut, passiert ihn den Köpfen seiner Leser – deshalb reicht es auch, dass er für seine furchtbarste Fantasie, das was mit Morrows Kindern passiert, mit Bildern verschont. Das war ein so schockierender Moment für mich, dass ich das Heft für einen Moment weglegen musste, bevor ich weiterlesen konnte.

Aber wie immer geht Millar den Weg des Allerschlimmsten nur, um ein versöhnliches Ende für seinen Helden zu finden. Der Karrieretyp, der seine Familie vernachlässigt hat, lernt seine Scrooge-Lektion. Und trotzdem bleibt nach all dem Massenmord und Leid ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Pointe, die Millar findet, ist eine höchst zynische. Der größte Schurke ist nicht Nemesis, sondern die Organisation, die ihn möglich gemacht hat. Die Erkenntnis lautet: Wer reich ist, kann sich alles leisten. Wirklich alles. Und jeden. Und das hat dann wiederum so sehr mit unserer echten Welt zu tun, dass man auch ganz ohne reale Superschurken Angst bekommen kann.

>> Mark Millar/Steve McNiven: Nemesis, Marvel 2012.

Mark Millar: MPH

Cover zum Comic MPH

Image Comics

Wer einen miesen Start hat, muss nicht gleich das Rennen schmeißen. Roscoe will sich jedenfalls nicht unterkriegen lassen, nur weil er aus dem armen Detroit stammt. Okay, er verdient sein Geld, indem er für einen Dealer Drogen abliefert, aber dafür sammelt er 80 Prozent seiner Einnahmen, um einmal ein eigenes, ehrliches Unternehmen aufzubauen und endlich dem Elend zu entkommen. Dumm nur, dass er dabei im Knast landet. Fünfzehn Jahre. Fünf, wenn’s gut läuft.

Doch dann wirft er eine geheimnisvolle Pille namens MPH ein und plötzlich scheint die Zeit stillzustehen. Denn Roscoe bewegt sich so schnell, dass er mühelos und unbemerkt ausbrechen kann. Zuerst nimmt er Rache an dem Dealer, der ihn verraten hat. Dann raubt er dank MPH mit seinen Freunden ein paar Banken aus und verschafft sichd das Leben, von dem er immer geträumt hat. Zehn Prozent verteilt er an die Armen. Damit haben nicht nur die Behörden ihre Probleme, auch ein Freund sträubt sich dagegen. Alles wird noch schlimmer, wenn einer der Freunde eine Überdosis nimmt und plötzlich in der Vergangenheit landet …

Das Thema von schnelllaufenden Supermenschen ist seit Flash, Quicksilver und Co. ein alter Hut. Und trotzdem schafft es Mark Millar, das Motiv neu zu beleben, indem er seine Helden zu Gaunern macht, Gauner mit einem sozialen Gewissen. Bei dem Erzähltempo, das Millar hier wie üblich hinlegt, kommt der sozialkritische Aspekt etwas zu kurz. Es wird mehr darüber gesprochen, als dass die Probleme in Detroit greifbar werden. Und auch die Charaktere könnten ausgereifter und damit interessanter sein. Wie so oft bei Millar sind sie zwar lebensnah, aber bleiben austauschbar.

So hetzt Millar durch eine zwar wohlkonstruierte und dynamisch gezeichnete Geschichte, die sich zwar flüssig lesen lässt und am Ende ebenso überrascht wie befriedigt, aber nicht lange im Gedächtnis bleiben wird.

>> Mark Millar/Duncan Fegredo: MPH, Image Comics 2015 (dt. MPH – Schnelle Pillen, Panini 2016).

X-Men – Dark Phoenix: Ein unwürdiges Ende

x-men dark phoenix

20th Century Fox

Die X-Men-Saga ist zu Ende. Wenigstens vorläufig. Wenigstens die Prequels. Und das ist ebenso gut wie schade. Was 2011 ambitioniert mit Erste Entscheidung (First Class) begann und einer bisher unterbelichteten Figur wie Raven endlich Leben einhauchte, hat Bryan Singer 2014 mit Zukunft ist Vergangenheit (Days of Future Past) noch gesteigert zum wahrscheinlich besten Film der Reihe. Beide Filme setzten nicht nur neue Akzente, sondern verankerten die X-Men glaubhaft in den jeweiligen Epochen, den 60ern und 70ern, der Zeit ihrer Ursprünge.

Leider machte Bryan Singer mit dem dritten Teil, Apocalypse, alles wieder zunichte, indem er versuchte, ein einfallsloses Drehbuch und einen faden, austauschbaren Schurken mit einer ermüdenden Materialschlacht zu kompensieren. Es konnte nur noch besser werden. Aber Autor Simon Kinberg, der sich im vierten Teil, X-Men: Dark Phoenix, auch als Regisseur versucht, hat es geschafft, das Franchise völlig an die Wand zu fahren.

Es ist ihm gelungen, einen Film ohne eine einzige gute Idee zu drehen. Weder inhaltlich noch formal bietet dieser Abschluss etwas Neues. Stattdessen ergehen sich die Hauptfiguren in endlosen Dialogen, in denen immer nur dasselbe mit anderen (und gleichen) Worten gesagt wird. Die wenigen Action-Szenen (eigentlich gibt es nur zwei richtige, am Anfang und am Ende) ergeht sich in Routinen, bei denen nie wirklich Spannung aufkommt.

ACHTUNG: SPOILER!!!

Worum es geht, bleibt Nebensache: Jean Grey absorbiert im All eine mysteriöse Macht, wird danach übermächtig und verbittert, tötet Raven im Affekt, will sich Magneto anschließen, der sich aus dem Rachegeschäft zurückgezogen hat, doch dann will er sich doch an ihr für Raven rächen, während die anderen sie retten wollen. Ach ja, und Formwandler-Aliens sind auch dabei: Angeführt von Jessica Chastain suchen sie Jean, um an ihre Macht zu kommen und die Welt zu vernichten.

Ravens Tod wird für einen Überraschungsmoment verschenkt. Nachdem die Figur in drei Teilen eine Hauptrolle spielte, tritt sie nun viel zu sang- und klanglos ab. Die Schurken sind genauso generisch und austauschbar wie einst Apocalypse. Und sonst interessiert sich Kinberg für keinen seiner X-Men und -Women wirklich. Zwar muss sich Charles Xavier viel Kritik anhören, aber der Konflikt wird nicht wirklich aufgelöst. Die Beziehungen unter den Figuren bleiben oberflächlich, selbst das Verhältnis der Antipoden Charles und Erik kommt nicht zu einem befriedigenden Abschluss. Es muss reichen, dass die beiden am Ende wieder Schach spielen. Ach ja, und die Tatsache, dass die Handlung 1992 angesiedelt ist, ist für die Geschichte völlig irrelevant. Die Epoche wird wie eine Pflichtübung abgehakt, um die letzte Lücke zu den ersten X-Men-Filmen der Nuller Jahe zu spannen – auch wenn die Kontinuität schon längst gebrochen wurde.

Hinzu kommt, dass Kinbergs Drehbuch völlig ohne Humor auskommt, selbst die wenigen Sprüche, die wohl witzig sein sollen, bleiben erschreckend pointenlos und erinnern damit an Kinbergs wahrscheinlich uninspiriertestes Werk, den jüngsten Fantastic Four-Film. Ein vergleichbares Gefühl der Leere stellt sich ein, während man sich zwei Stunden lang etwas ansieht, das man schon zu oft gesehen hat – und zwar deutlich besser.

Es stellt sich die Frage: Warum stecken Studios immer noch viel Geld in solche Produktionen ohne Sinn und Herz? Fox hat mit seinem X-Men-Franchise im Jahr 2000 Maßstäbe gesetzt, mit Wolverine einiges verbockt, hat ein Jahrzehnt später vieles wieder richtig gemacht, mit Deadpool Mut bewiesen (und einen Fehler korrigiert) und mit Logan sogar ein Meisterwerk des Superheldenfilms geschaffen (und damit zwei miese Wolverine-Filme wiedergutgemacht). Für eine Reihe, die so viel Potenzial hatte, ist das ein unwürdiger Abschluss. Und kaum sind die X-Men erledigt, sind schon für nächstes Jahr die New Mutants angekündigt, ein Film der sich wegen Nachdrehs verzögert, was bereits kein gutes Vorzeichen ist.

Angesichts der Maßstäbe, die die Marvel Studios mit dem Cinematic Universe gesetzt haben (wie zuletzt mit Avengers: Endgame) und der schieren Flut an Superheldenfilmen können mittelmäßige bis miese Produktionen nicht mehr bestehen. Das Publikum ist übersättigt – und es wird Machwerke ignorieren. Hoffentlich wird nach Disneys Fox-Übernahme ein neuer Kurs eingeschlagen. Wobei schon viel gewonnen wäre, wenn man die Mutanten für einige Jahre ruhen ließe.

Jeff Lemire: The Quantum Age

quantum age

Dark Horse

Der überfleißige Jeff Lemire lässt nichts anbrennen. Während die Leser seiner Black Hammer-Serie auf den vierten Band warten, vertreibt er ihnen die Zeit mit immer wieder mit Spin-offs. Normalerweise sind solche Geschichten in Superhelden-Comics Füllmaterial, Lemire aber erweitert damit seine Welt um Charaktere (wie etwa den Schurken Sherlock Frankenstein und den Helden Doctor Star) und nun auch eine ganz neue Zeit: das Quantum Age.

100 Jahre später spielt der neue Band, in einer Zeit, in der die alten Helden entweder tot oder vergessen sind, Black Hammer ist immer noch eine Frau, aber im Ruhestand. Die Welt wird beherrscht von einem Tyrannen mit Superkräften, der einst selbst ein Helden der Quantum League war. Nach einer Invasion böser Marsianer mussten die Helden das ultimative Opfer bringen, um die Welt zu retten, aber das führte zur Diktatur. Nun sammeln sich die verbliebenen Good Guys, um den Schurken zu besiegen.

Die Quantum League ist Lemires Hommage an die League of Superheroes von DC, dabei wird der Cyborg Archive zum Brainiac 5-Ersatz, der die Funktion des Roboters Talky Walky übernimmt. Ansonsten ist es eine ziemlich traurige Truppe, die hier zusammenfindet: Barbaliteen ist der letzte Marsianer, Modula ist eine lilafarbene Alienfrau, die ihre Beine verloren hat und nun Kette raucht, Erb ist ein gürteltierartiger Telepath, der von tiefer Skepsis und Grammatikproblemen geprägt ist. Damit erinnert die neue Quantum League auch eher an eine Chaostruppe wie die Guardians of the Galaxy.

In mancher Weise erinnert der Plot an die Avengers-Filme Infinity War und Endgame. Hier wie da geht es um eine Mission Impossible gegen einen schier unbesiegbaren Gegner. Hier wie da geht es um ein Opfer, das vielen den Tod bringt, aber auch viele retten soll. Hier wie da berechnet ein Superhirn alle Wahrscheinlichkeiten vieler Pläne. Hier wie da wird eine Zeitreise in Erwägung gezogen, um das Schlimmste zu verhindern, bevor es passiert. Allerdings: Für sein Dilemma findet Lemire am Ende eine geschickte und originelle Lösung, die nicht auf den üblichen Kampf zwischen Gut und Böse hinausläuft.

Wie immer schafft es Lemire, in nur sechs Kapiteln einige Charaktere mit Leben zu füllen und hier sogar noch stärker den Bogen zur Hauptserie zurückzuschlagen. Nur der Schurke kommt dabei zu kurz, obwohl er deutlich Potenzial hätte, mehr als bloß ein böser und fast allmächtiger Tyrann zu sein. Der Comic leidet auch auf der visuellen Ebene, denn Zeichner Wilfredo Torres inszeniert die Welt zu glatt, detailarm, fast schon steril und seine Figuren lassen an Ausdruck zu wünschen übrig. An die Sperrigkeit eines Dean Ormston, der Black Hammer seinen Charakter verleiht, kommt Torres nicht heran. Die knallbunten Farben von Dave Stewart können gegen diesen Eindruck nur wenig ausrichten.

Mit The Quantum Age beweist Lemire zwar große Ambitionen, indem er zwar noch einen 100 Jahre währenden Erzählrahmen absteckt und sogar weit darüber hinausweist, was die Fans auf noch viele Geschichten aus dieser Welt freuen lässt. Die Zeichnungen hindern den Comic aber daran, sein volles Potenzial zu entfalten.

>> Jeff Lemire/Wilfredo Torres: The Quantum Age, Dark Horse 2019.

Eternity Girl

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DC Comics

In jedem Superhelden-Universum gibt es diese Figuren, die jeder Stammleser kennt, aber die sich nie richtig durchsetzen konnten. Alle paar Jahre werden sie aus der Schublade geholt, um ihnen mit neuen Ansätzen noch eine Chance zu geben, aber am Ende bleiben sie doch immer kurzlebig und drittklassige Randerscheinungen.

So geht es Caroline Sharp. Zuerst erfunden 1956 als „horror superhero“ unter dem Namen Formless Girl, die beim Kampf gegen die Schurkin Madame Atom in Mesopotamien die Formwandlerkräfte einer alten Gottheit übernimmt. 1981 wird sie als Crysalis neu erfunden, Mitglied des Superheldenteams Alpha 13, 1990 wagt man es noch einmal mit einer Geschichte über Leben, Tod und Wiedergeburt, bevor man die Figur 2008 in einer psychedelisch-experimentellen Form existenzialistische Untiefen ausloten und schließlich im Nichts verschwinden lässt.

Das ist die metafiktionale Vorgeschichte von Eternity Girl, einer Neuschöpfung, die an Vorbilder wie Metamorpho und Element Girl erinnert. Was danach passiert, ist ein wilder Remix all dieser Varianten. Caroline steckt in einer tiefen Krise. Nach einem Ausbruch ihrer Kräfte in ihrer Behörde, Alpha 13, ist sie für ein halbes Jahr beurlaubt – ohne Aussicht auf Rückkehr. Sie kann sich wegen ihrer bizarren Erscheinung nicht so in der Öffentlichkeit zeigen, wie sie wirklich aussieht, sie muss sich verstellen, das macht ihr Mühe. Sie ist depressiv und versucht, sich umbringen. Das Problem: Es geht nicht, sie ist unsterblich.

Da taucht ihre alte Rivalin Madame Atom auf und zeigt ihr einen Ausweg, nicht nur sich selbst auszulöschen, sondern auch das ganze Universum gleich mit. Doch das ist nur der Anfang einer wilden Reise durch Raum und Zeit, denn jedes Ende führt zu einem anderen Neuanfang – genauso wie die Publikationsgeschichte von Eternity Girl.

Magdalene Visaggio und Sonny Liew heben mit ihrer sechsteiligen Miniserie die Superhelden-Dekonstruktion auf eine neue Ebene. Mit verschiedenen Zeichenstilen, die den jeweiligen Comic-Epochen nachempfunden sind, psychedelischen Motiven und ungewöhnlichen Layouts wird ein knallbuntes Spektakel geboten, das ebenso visuell wie intellektuell herausfordert.

Dabei geht es nicht nur um das typisch postmoderne selbstgefälliges Spiel mit Formen und Meta-Ebenen, sondern alles dient der Grundfrage: Wozu dieses Leben? Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr oder lieber nichts? Worin besteht der Sinn in einer sinnlosen Welt? Wie soll man sein? Auf diese Frage finden auch sie keine neue Antwort (alles ist sinnlos, aber man ist frei, ihr selbst einen Sinn zu geben), aber eine neue Form, sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Ein gottartiges Wesen, das ein DJ ist, deutet die Welt als Remix mit unendlichen Möglichkeiten. Auch die Autorin und Zeichnerin machen davon Gebrauch. Sie lassen ihre Figuren zeitgleich in mehrere Versionen ihrer selbst zerfallen, Eternity Girl erlebt sich immer wieder in neuen Inkarnationen und Genres: von Roboter-Science-Fiction bis zur Mad-Max-Postapokalypse. Damit wird die heutige Reboot-Pop-Kultur als Chance gesehen: Man kann es mit Stoffen und Figuren so oft versuchen, bis es klappt.

Das gilt schließlich auch fürs Leben. Die Formwandlerin (als Proteus-Figur ohnehin ein Symbol für den Menschen) verändert sich, um zu erfahren, wer sie selbst ist. Nebenbei wird Leibniz‚ Monadenlehre zitiert und dann werden sogar Comic-Strips im Peanuts-Stil adaptiert, womit  nicht nur die Fülle der Wandelbarkeit demonstriert wird, sondern auch dass die großen Lebenskrisen und philosophischen Fragen schon lange ein Thema in Comics sind.

Eternity Girl ist nicht nur ein anspruchsvolles Spektakel. Es ist auch ein Comic, das die Möglichkeiten seines Mediums ausschöpft, indem es sich traditionsbewusst zeigt, aber auch über Konventionen hinausgeht. Auch die Formwandlerin wird schließlich zur Formgeberin. Die zum Scheitern verurteilte Superheldin wird zur Schöpferin einer neuen Welt. So können auch drittklassige Comicfiguren immer noch erstklassige Auftritte bekommen. Es ist nie zu spät für einen Neustart.

(Eternity Girl ist als beste Miniserie für den Eisner Award 2019 nominiert.)

>> Magdalene Visaggio/Sonny Liew: Eternity Girl, DC’s Young Animal 2018.

Mark Millar: Superior

DC Comics

Während im Kino mit Shazam! der Superheld wiederbelebt wird, der die kindliche Allmachtsfantasie am wörtlichsten nimmt, hat Mark Millar bereits 2010 einen Superhelden entworfen, der das Konzept noch steigert. Superior ist zunächst nur ein Filmheld. Und der Zwölfjährige Simon ist ein großer Fan. Doch Simon leidet an einem besonders schweren Fall von Multipler Sklerose. Besonders bitter für ihn ist, dass er früher ein super Basketballspieler war. Jetzt ist nur wenig super an seinem Leben. Als ein sprechender Affe an seinem Bett erscheint und ihm sagt, er habe einen Wunsch frei, lässt sich Simon zu Superior machen.

Eine Woche lang mit Superkräften ausgestattet tut er alles, was er kann, um Menschen zu helfen. Er rettet die Besatzung einer eine abstürzende Raumstation, beseitigt einen Atomreaktor nach einer Kernschmelze, bewahrt einen Zug vor einem Unfall und zieht mit bloßen Händen ein U-Boot an Land. Ja, mehr noch: Er beendet auch den Afghanistankrieg und beendet den Hunger in Afrika. Doch als die Woche rum ist, muss er sich entscheiden, ob er Superheld bleiben oder wieder zurück in den Rollstuhl soll. Der Preis ist klar: seine Seele.

Mark Millar kommt von den Superhelden nicht los. Nachdem er jahrelang solche Geschichten für DC und Marvel schrieb, fügte er immer mehr eigene Figuren dem Genre hinzu. Allerdings nicht, um sie zu weiteren unendlichen Geschichten auszubauen, sondern nur um auf seine Weise das Genre immer wieder neu zu dekonstruieren. Im Fall von Superior bedient er sich bei Superman und Shazam (früher Captain Marvel) und kombiniert sie mit dem faustischen Teufelspakt, wobei der Held statt in Versuchung geführt zu werden, eindeutig das moralisch Beste aus der Situation herausholen will. Simon geht es nicht nur darum, gesund zu werden – es geht ihm darum, die Menschheit zu retten. Am Ende überwindet er jeglichen Verdacht von Eigennutz, indem er sich sogar zum Wohle der Welt opfert.

Die Lösungen, die hier geboten werden, mögen naiv erscheinen – und schon Superman und Co. sind an ähnlichen Vorhaben gescheitert. Hier aber geht es nicht um Realismus. Es geht um die Faszination des Was-wäre-wenn und Wäre-es-nicht-cool-wenn. Wer Superhelden-Comics verschmäht, übersieht das Potenzial der Fantasie, das in dem Genre steckt. Und das gelingt Mark Millar auch hier wieder rasantem Tempo und einem feinen Gespür für seine Charaktere. Trotz seines schwarzen Humors wird er hier nie zum Zyniker. Millar zeigt, wie eine Kindheitsfantasie von Omnipotenz dazu dient, Reife zu beweisen. Und damit erweist sich der Junge Simon erwachsener als jeder Erwachsene.

>> Mark Millar/Leinil Yu: Superior, Titan Books 2013, dt. Panini 2012 (2 Bände).

Schurken im Ruhestand

Dark Horse

Der Name klingt einfallslos und bescheuert: Sherlock Frankenstein? Das hört sich nach einer dreisten Kreuzung zwischen Meisterdetektiv und Scharlatan an, nach Trashfilm und literarischer Leichenfledderei. Aber man sollte nicht nach Titeln urteilen. Tatsächlich ist das kein Comic für jeden, sondern nur für Leser von Black Hammer, der Offbeat-Superhelden-Serie von Jeff Lemire und Dean Ormston. Denen dürfte Sherlock Frankenstein als einer der Erzschurken bekannt sein. Und aus der Reihe der Helden, die sich ohnehin wie Frankensteins Monster aus Teilen ihrer Vorgänger zusammensetzen, sticht ein Sherlock Frankenstein nicht heraus. Doch die Mini-Serie, die jetzt als Paperback erschienen ist, ist mehr als ein Spin-off.

Anders als der Titel vermuten lässt, ist Lucy Weber die Heldin der Geschichte. Die Tochter des Superhelden Black Hammer sucht nach ihrem Vater. Der ist bei einem Schlag gegen den Oberschurken Anti-God zusammen mit anderen Helden verschwunden, alle halten ihn für tot, aber Lucy glaubt nicht daran. Beweise hat sie keine, aber eben so ein Gefühl.

Dass das Gefühl nur zum Teil stimmt, weiß man, wenn man die ersten zwei Bände von Black Hammer gelesen hat. Hier aber erfährt man mehr über ihre Suche nach der Wahrheit. Die junge Reporterin spricht mit einer Reihe von Schurken – und es sind einige Kuriositäten dabei. Der Riese im Schutzanzug „Mectoplasm“, der düstere Joker-Verschnitt „Grimjim“, der Halb-Oktopus-Halb-Klempner „Cthu-Lou“, die Frau in Rüstung „Metal Minotaurus“. Erst am Ende hat Sherlock Frankenstein, ein Unsterblicher aus dem viktorianischen England, seinen großen Auftritt.

Auch wenn die Schurken im Ruhestand als die größten Freaks erscheinen, erweisen sie sich als mindestens genauso menschlich wie ihre Gegner. So bizarr sie auch wirken mögen, am Ende sind sie auch nur einsame, desillusionierte, frustrierte und zutiefst tragische Charaktere.

Was Black Hammer so interessant macht, ist, dass die Superhelden und -schurkenzeit vorbei ist. Hier geht es nicht mehr um den Kampf zwischen Gut und Böse. Hier geht es darum, wie man mit dieser Vergangenheit und ihrer Nachwirkung fertig wird. Es sind ganz alltägliche Probleme: die eine hat einen gelähmten Körper, der andere findet keinen Job, weil er wie ein Monster aussieht, außerdem leidet er unter einer unglücklichen Ehe. Der einst heldenhafte, einst schurkische Sherlock will das Vergangene ruhen lassen, aber Lucy will nicht aufgeben. Und so bringt sie in ihm wieder die guten Absichten hervor, die er einst hatte.

Gezeichnet wird das Abenteuer nicht von Black Hammer-Stamm-Künstler Dean Ormston, sondern von David Rubín, der ihn zwei Ausgaben vertreten durfte. Dessen Figuren heben sich ab, weil sie deutlich überzeichneter, ja cartoonhafter gestaltet sind, mit größeren Augen und ausladenderen Gesichtsausdrücken. Dadurch wikt der Stil etwas schriller als die sonst ruhigere Hauptserie. Das ist zum Teil gewöhnungsbedürftig, weil die Geschichte dadurch etwa an Ernsthaftigkeit einbüßt, aber es schmälert nicht das Lesevergnügen, denn Autor Jeff Lemire bleibt auch hier ein begnadeter Erzähler mit einem feinen Gespür für seine Charaktere.

Sherlock Frankenstein zeigt die andere Seite von Black Hammer, es baut diese sonderbare Welt aus, bereichert sie um eine neue Perspektive und erlaubt es den Lesern, tiefer ins Geschehen einzusteigen. Im Oktober erscheint das US-Paperback zu einem weiteren Helden, Doctor Star; auf Deutsch bringt Splitter die Mini-Serie 2019 heraus.

>> Jeff Lemire/David Rubín: Sherlock Frankenstein and the Legion of Evil, Dark Horse 2018. (dt. bei Splitter am 1.9.2018)

Supermans wahrer Ursprung

Carlsen Verlag

Superman ist in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Eine Erfolgsgeschichte, denn er war nur der erste, auf ihn folgten unzählige andere. Die Geschichte seiner Schöpfer ist weniger glorreich: Während der Verlag DC Comics (früher National) viel Geld mit dem Superhelden und seiner Gefolgschaft verdiente, verarmten der Autor Jerry Siegel und der Zeichner Joe Shuster, gerieten in Vergessenheit.

Während jeder weiß, wie Superman auf die Erde kam und wer er wirklich ist, blieben seine wahren Schöpfer vier Jahrzehnte lang im Schatten, sie wurden von anderen, wechselnden Autoren und Künstlern abgelöst. Aber Superman stammt nicht von Krypton, sondern aus Cleveland. Nun erzählen Julian Voloj und Thomas Campi diese Geschichte als Comic, aus der Perspektive des Künstlers: Joe Shuster: Vater der Superhelden (engl. The Artist behind Superman: The Joe Shuster Story).

Die Story beginnt im Jahr 1975 auf einer Parkbank. Da liegt Joe Shuster, er ist obdachlos, als er von einem Polizisten angesprochen wird. Ihm erzählt er seine Leidensgeschichte. Wie er als Teenager den Science-Fiction-Nerd Jerry Siegel in der High School traf, wie sie gemeinsam Comics entwickelten. Aller Anfang war schwer: Superman war zunächst noch ein Schurke, erst später wurde er zum Helden – aber auch da wollte zunächst kein Verlag den Comic drucken.

Als dann endlich 1938 National Superman akzeptiert, freuen sich die beiden Freunde über den Auftrag, der ihnen dank des großen Erfolgs ein regelmäßiges Einkommen und bescheidenen Wohlstand beschert. Doch schon bald wird klar: Sie haben mit dem ersten Gehaltsscheck auch die Rechte an Superman abgetreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg klagen sie gegen den Verlag. Und verlieren ihre Jobs. Sie verschulden sich im Rechtsstreit. Schließlich akzeptieren sie eine Abfindung, aber lange reicht das Geld nicht.

Joe Shuster verdingt sich mit Schundzeichnungen, Jerry Siegel wird Postbote, später darf er noch einmal zum Verlag zurück, erniedrigt nimmt er den Job an, in den 60ern geht er zur Konkurrenz Marvel, wo er auch nicht glücklich wird – der Autor des Golden Age ist zu altmodisch für die neue Ära. Der Niedergang der beiden geht so weit, dass sie in den 70ern Mietschulden haben und sich keine Gesundheitsversorgung leisten können.

Die Wende kommt erst 1975, nachdem Warner den ersten großen Superman-Film angekündigt hat. Siegel schreibt einen Brandbrief, in dem er das Unrecht anprangert, das ihm und seinen Freund widerfahren ist: „Ich verfluche den Superman-Film!“ Er ruft zum Boykott auf. Der Brief beschert ihm Aufmerksamkeit in der Comicwelt – erst danach gesteht ihnen Warner nicht nur eine Rente zu, sondern auch die Namensnennung als Schöpfer.

Der Comic erzählt das alles sehr packend und kurzweilig, aber er lässt sich auch Zeit für nicht unwichtige Nebenaspekte: Wie Siegel um seine Schöpfung Superboy beraubt wird, aber auch wie der angebliche Batman-Schöpfer Bob Kane sie an den Verlag verrät, um selbst Profit daraus zu schlagen, von den sinistren Hintergründen der Verleger. (Siegel hasst übrigens Batman, der eigentlich ein Abklatsch von Superman ist.) Man merkt: Autor Voloj hat gut recherchiert. Im Nachwort erklärt er, dass er sich auch in Cleveland umgesehen hat und sogar Zugriff auf bis dato unbekannte Dokumente von Joe Shuster hatte.

Der Künstler Thomas Campi (Magritte: Dies ist keine Biografie) macht die Geschichte erst lebendig. Seine warmen, gedeckten Farben und aufs Wesentliche reduzierte Figuren lassen die Panels wie Edward Hopper-Gemälde wirken.

Ärgerlich ist das furchtbare, teilweise nur schwer lesbare Lettering in der deutschen Ausgabe, aber auch die Übersetzung, die der Autor selbst vorgenommen hat. So ist zum Beispiel ständig von „Comicbüchern“ (engl. comic books) die Rede, während Comichefte gemeint sind und es ganz einfach das Wort „Comics“ auch getan hätte. Aber das sind Kleinigkeiten.

Viel wichtiger ist die Frage, warum das Buch nur Joe Shuster im Titel trägt, obwohl Jerry Siegel ebenso wichtig ist und er auch fast genauso viel Aufmerksamkeit im Buch bekommt. Und der deutsche Untertitel „Vater der Superhelden“ wirkt umso anmaßender, weil er Siegel völlig außer Acht lässt. Bei dem Batman-Schöpfer Bill Finger wäre so ein Vorgehen eher nachvollziehbar, weil er den größeren Anteil hatte als Bob Kane. (Aber das ist eine andere Geschichte.)

Insgesamt aber bleibt Joe Shuster eines der gelungeneren biografischen Comics, mit denen die Verlage derzeit den Markt fluten. Nicht nur Superman-Fans sollten es gelesen haben.

>> Julian Voloj/Thomas Campi: Joe Shuster: Vater der Superhelden (engl. The Artist behind Superman: The Joe Shuster Story), Carlsen 2018.

Superman im Batman-Projekt:

Farm der Helden

Es heißt, er sei The Hardest Working-Man in Comics. So nannte ihn jedenfalls vulture.com Ende 2017. Es geht um Jeff Lemire, den kanadischen Autor und Zeichner. Gerade mal 42 Jahre alt, gerade mal 13 Jahre im Geschäft und schon so ziemlich auf jedem Gebiet und bei jedem großen Verlag Eindruck hinterlassen. Mit Autorencomics (Graphic Novels) wie Essex County, The Underwater Welder und Roughneck, mit Serien wie Sweet Tooth, Descender und Royal City. Und mit Mainstream-Superhelden für DC und Marvel: Von Animal Man bis Green Arrow, von Hawkeye bis Moon Knight. Kurz: Ein unglaubliches Arbeitspensum.

Jeff Lemire liebt Comics jeder Art, wie er zuletzt im Tagesspiegel bekannte. Und er liebt Superhelden. Deshalb hat er seine eigenen geschaffen: Die Serie Black Hammer (zwei Bände auf Deutsch im Splitter-Verlag erschienen) ist eine Hommage an die Goldene Zeit der Helden aus der Perspektive der trüben Gegenwart, die von Resignation und Stagnation geprägt ist. Sechs einst stolze Überwesen, die die Welt vor kosmischen Bedrohungen gerettet haben, stecken auf einer Farm im Nirgendwo fest – und können aus einem mysteriösen Grund nicht weg. Der Held Black Hammer ist beim Fluchtversuch bereits gestorben, nur sein Hammer ist übriggeblieben.

Es ist schwierig, nach 80 Jahren Superhelden-Historie noch wirklich originelle Charaktere zu schaffen. Jeff Lemire umgeht das, indem er seine Protagonisten als klare Anspielungen anlegt: Der Anführer Abraham Slam erinnert an Captain America und Superman, sein Name lässt an Slam Bradley denken. Black Hammer ist eine Art Thor. Das Mädchen Golden Gail ist die Umkehrung von Shazam (Captain Marvel): Einst eine Frau, die durch das Zauberwort Zafram zum Supermädchen wurde, steckt sie nun im Körper eines Kindes fest. Der rote Marsianer Barbalien ist mit seinen formwandlerischen Fähigkeiten an Martian Manhunter angelegt, mit dem Unterschied, dass er sich als schwul outet.

Und dann sind da noch der Roboter Walky Talky, die Hexe Madame Dragonfly und den Raumfahrer Colonel Weird, der durch seinen Aufenthalt in der seltsamen Zwischendimension Para-Zone verrückt geworden zu sein scheint. So unterschiedlich sie sind, sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind gestrandet, alt und frustriert. Sie tarnen sich als Familie auf der Farm und fallen doch auf, weil sie meist unter sich bleiben. Aber auch das verschont sie nicht vor Konflikten.

Während Walky vergeblich versucht, Sonden in ihr Paralleluniversum zu schicken, bemüht sich allein der alte Abraham, das Beste draus zu machen und mit den Nachbarn anzuknüpfen. Er bandelt mit einer Kellnerin an und zieht damit den Ärger ihres Ex-Mannes auf sich, der unglücklicherweise auch noch der Sherrif ist.

Black Hammer erinnert an andere melancholische Superhelden-Abgesänge wie Watchmen oder JSA: The Golden Age, in denen einem verlorenen Goldenem Zeitalter hinterhergetrauert wird, aber schafft es, mit seinem Setting und seinen traurigen Charakteren starke eigene Akzente zu setzen. Das einstige Superheldenteam wird zur Familie wider Willen und erweist sie sich als dysfunktionale Gemeinschaft. Gail ist frustriert, weil sie wie ein Kind aussieht und zur Schule muss, Barbalien ist frustriert, weil er seine Sexualität nicht ausleben kann, und sucht die Nähe zu einem Pfarrer. Was mit Weird los ist, scheint nicht einmal er selbst zu wissen. Auf Madame Dragonfly lastet ein alter Flucht – aber das könnte man auch über alle anderen sagen.

Black Hammer steckt voller Rätsel und Spannungen. Die Story wird nur langsam entwickelt. Im ersten Band (die ersten sechs Kapitel) führt Lemire vor allem seine Charaktere ein, jedem einzelnen widmet er ein Kapitel. Erst im zweiten Band nimmt die Handlung Fahrt auf, als Black Hammers Tocher plötzlich auftaucht und auch die Spannungen sich entladen …

Mit Black Hammer kehrt Jeff Lemire auch wieder in das Landleben zurück, das er bereits mit Essex County sehr eindringlich geschildert hat. Hier wird sie zur trügerischen Idylle in einer kargen Landschaft, über der ständig graue Wolken hängen und Krähen kreisen. Es ist eine klaustrophobische Enge, die in den Zeichnungen von Dean Ormston inszeniert wird. Es ist tatsächlich eine Welt, der man sich nur schwer entziehen kann.

>> Jeff Lemire/Dean Ormston: Black Hammer, 2. Bde. Splitter Verlag 2018.

„Superheldenfilme schaden der Kultur“

Alan Moore (Bild: Arte)

Alan Moore (Bild: Arte)

 

Arte widmet Alan Moore eine achtteilige Webserie: „Beim Barte des Propheten„. In acht kurzen Videos äußert sich der Autor zu der Verwendung der „V wie Vendetta“-Maske durch die Hacktivisten Anonymous, zum Brexit und seiner Heimatstadt Northampton. Dabei distanziert er sich noch einmal von der Verfilmung seines Comics.

Im zweiten Teil gibt er sich kulturkritisch: „Wir brauchen eine Gegenkultur, damit unsere normale Kultur nicht stagniert oder ausstirbt“, sagt er. Diese habe es in den vergangenen Jahren nicht mehr gegeben. Besonders skeptisch äußert er sich über die Konjunktur von Comic-Verfilmungen: „Die derzeitige Flut amerikanischer Superheldenfilme tut unserer Kultur ganz und gar nicht gut“, sagt er. Superheldenfilme richteten die Kultur zugrunde. Sie stünden für eine Flucht in eine Fantasiewelt von Macht und Stärke, ihr Erfolg sei Zeichen unserer Infantilisierung, der Weigerung, erwachsen zu werden, das schade der Kultur und der menschlichen Vorstellungskraft. Außerdem zeige sich darin der Traum einer vermeintlich überlegenen weißen Herrenrasse.

Bemerkenswert daran ist, dass Alan Moore mit seinem Werk selbst zum Superhelden-Hype beigetragen hat, auch wenn er in seinen Comics wie Watchmen durchaus kritisch mit dem Sujet umgegangen ist.