Denken wir uns den ultimativen Schurken. Schlauer als Lex Luthor, tödlicher als der Joker, böser als Darth Vader – und dann hat man immer noch nicht Nemesis. Der weißgekleidete Super-Schurke, den sich Mark Millar (The Magic Order, Prodigy) ausgedacht hat, ist so böse, so respektlos und allen so überlegen, dass es schon beim Lesen wehtut. Gleich zu Beginn lässt er in Japan einen Hotelturm einstürzen, einen Mann vom Schnellzug zerfetzen und am Ende kracht der Zug auch noch samt Insassen in den Abgrund. Doch das war nur zum Aufwärmen, denn Nemesis hat in den USA noch größeres vor: Er kidnappt den Präsidenten und erklärt dem Polizeichef von Washington D.C., Blake Morrow, dass er bald sterben werde. Nemesis will sich rächen, dass Morrow ihm einst seine Eltern genommen hat – die ebenfalls schon ein Faible für sinnloses Morden von Unschuldigen hatten.
Wie immer, ist das, was Millar auffährt, ohne Grenzen. Er kennt als Autor keine Hemmungen, was Gewalt und Moral angeht. Und so ist auch Nemesis ein einziges Gemetzel, allerdings so hyperrealistisch von Steve McNiven gezeichnet, dass man nur schwer wegsehen kann. Die Stimmung wird immer paranoider und klaustrophobischer, man fühlt sich zuweilen an den Joker aus Nolans The Dark Knight-Film erinnert, der Batman immer zwei Schritte voraus ist. Nemesis ist seinen Gegnern mindestens drei Schritte voraus – und das macht diesen Schurken so frustrierend. Das Schlimmste jedoch, das weiß Millar sehr gut, passiert ihn den Köpfen seiner Leser – deshalb reicht es auch, dass er für seine furchtbarste Fantasie, das was mit Morrows Kindern passiert, mit Bildern verschont. Das war ein so schockierender Moment für mich, dass ich das Heft für einen Moment weglegen musste, bevor ich weiterlesen konnte.
Aber wie immer geht Millar den Weg des Allerschlimmsten nur, um ein versöhnliches Ende für seinen Helden zu finden. Der Karrieretyp, der seine Familie vernachlässigt hat, lernt seine Scrooge-Lektion. Und trotzdem bleibt nach all dem Massenmord und Leid ein sehr bitterer Nachgeschmack zurück. Die Pointe, die Millar findet, ist eine höchst zynische. Der größte Schurke ist nicht Nemesis, sondern die Organisation, die ihn möglich gemacht hat. Die Erkenntnis lautet: Wer reich ist, kann sich alles leisten. Wirklich alles. Und jeden. Und das hat dann wiederum so sehr mit unserer echten Welt zu tun, dass man auch ganz ohne reale Superschurken Angst bekommen kann.
>> Mark Millar/Steve McNiven: Nemesis, Marvel 2012.