Der amerikanische Independentfilm gilt als tot. Schlechte Zeiten für Autorenfilmer wie Jim Jarmusch. Und dennoch hat er es geschafft, innerhalb von vier Jahren einen neuen Film zu drehen. Dass es Jarmusch für Only Lovers Left Alive ins Vampirgenre verschlagen hat, könnte man in Zeiten der (abflauenden) Twilight– und True Blood-Hysterie fast opportunistisch nennen. Als wäre der Independentfilm nur möglich, wenn er einen Kompromiss mit dem Mainstream schlösse. Und doch wäre Jarmusch nicht Jarmusch, wenn er nicht einen ganz massenunkompatiblen Film gedreht hätte. Hier beweisen die Vampire, dass der amerikanische Independentfilm doch nicht so tot ist – bestenfalls untot.
Und das ist, wenn man sich das Film-Liebespaar Adam und Eve (gespielt von Tom Hiddleston und Tilda Swinton) so ansieht, gar nicht mal ein schlechtes Dasein. Während er jahrhundertelang mit Künstlern rumhing und nun in der Geisterstadt Detroit Underground-Musik auf antiken Instrumenten macht, ist sie eine passionierte Leserin, die ihre Zeit in Tanger verbringt. Na gut, Adam hat wohl allmählich genug von der Unsterblichkeit, weshalb er sich eine Patrone aus Holz machen lässt, aber seine Frau kann ihn davon schnell abbringen. Und so tun die beiden, was Vampire im 21. Jahrhundert eben so tun: Sie lieben sich, trinken Blut aus Konserven, hören Musik und unternehmen nächtliche Touren durch die Stadt.
Exzessives Namedropping
Viel mehr passiert auch nicht. Muss es auch nicht, denn es ist ein Jarmusch-Film und überhaupt ist das alles furchtbar cool. Schon allein der Sonnenbrillen wegen. Und ganz postmodern, ähnlich wie beim Kollegen Tarantino, ist auch hier alles ein Zitat, und zwar meist ein explizites. So wirkt auch der Film parasitär wie seine Figuren, indem er sich von anderen speist. Bereits die Schauplätze sprechen Bände: Das marokkanische Tanger verbindet man mit den Poeten der Beat Generation, William S. Burroughs hat hier unter Drogen wirres Zeug geschrieben und seine Kumpels Jack Kerouac und Allen Ginsberg haben die Zettel vom Boden aufgesammelt und daraus ein Buch gemacht, das man heute Naked Lunch nennt. Auch Truman Capote, Tennessee Williams und die Rolling Stones haben in Tanger geweilt. Detroit wiederum ist die einstige Stadt der Auto-Industrie und des Motown-Soul, sowie die erste Heimat von Jack White – alle drei Referenzen arbeiten die Protagonisten auch brav ab.
So betreibt Jarmusch in seinem Film ein exzessives Namedropping, das am Anfang noch witzig ist, sich dann aber verbraucht bis es nervt. Wir sehen John Hurt als Vampir Christopher Marlowe, der erzählt, wie er einst den Hamlet schrieb. Adam berichtet von damals, als er mit Lord Byron und den Shelleys rumhing, wie er Schubert ein Stück überließ und Eddie Cochran auf der Gitarre spielen sah. Alle anderen, die Jarmusch noch erwähnen wollte, die es aber nicht mehr in das für seine Verhältnisse fast schon geschwätzige Drehbuch geschafft haben, hängen als Porträts in einer Art Galerie in Adams Haus. Es sind Idole, Helden oder auch Weggefährten – und allesamt sind es kaputte Gruftis und/oder hippe, kultige Außenseiter: Von Kafka bis Iggy Pop. Selbst der Titel des Films lässt sich als Anspielung auf einen gleichnamigen Roman oder ein paar gleich heißende Songs verstehen.
Stärken: Bilder, Musik und Lakonie
Damit soll aber genug gelästert sein, denn neben der üblichen zähen Erzählweise und dem Übermaß an Verweisen, retten vor allem drei Aspekte den Film, die eigentlich für die meisten Jarmuschs gelten: Die grandiosen Bilder, die Musik und die Lakonie. Allein die ersten Einstellungen, mit einer rotierenden Kamera von oben gedreht, haben etwas Hypnotisches, die knalligen warmen Farben versprühen einen Hauch von Psychedelia. Nicht von ungefähr wird das Bluttrinken weniger als Nahrungsaufnahme denn als Rauschmittel dargestellt. Die Vampire kämpfen zwar gegen ihren animalischen Trieb, Menschen auszusaugen und damit zu verwandeln oder zu töten, doch sie kommen schließlich dann doch nicht anders anders an den begehrten Saft. Die witzigsten Szenen jedoch sind die, in denen Adam sich seine Blutkonserven im Krankenhaus abholt und dabei einen Arzt (Jeffrey Wright) besticht. Der eine nennt sich Dr. Faust, der andere Dr. Watson, das Namedropping driftet ins Ironisch-Absurde ab, wenn auch Titel wie Dr. Strangelove und Dr. Caligari fallen. Womit wir bei der Lakonie wären: Dialoge und Situationskomik bleiben Jarmuschs Stärke – bei aller elegischen Schwelgerei in alten Zeiten.
Die Untoten sind hier die letzten Hedonisten. Auch wenn sie vom Blut der Menschen abhängig sind, gelten diese im Vergleich zur Schattenwelt versnobter Hipster-Vampire bloß als „Zombies“. Man muss sich von ihnen fernhalten, auch wenn man sie braucht. Eine Absage an den Mainstream, trotz des Eingeständnisses, doch nicht so „indie“ zu sein, wie man es gerne hätte. Für Adam ist das Gute das Vergangene, der Erfolg zerstört die Kunst und den Künstler. Der Vampir Adam scheint da Jim Jarmusch aus der Seele zu sprechen. Der nunmehr 60 Jahre alte Regisseur, der mit seinen weißen Haaren und seinem Jungen-Gesicht schon immer zeitlos gewirkt hat, könnte auch ein Kandidat für seine Vampir-Subkultur sein. Auch er ist ein Relikt vergangener Tage, ein Anachronismus, der irgendwie fortbesteht, man weiß nicht wie, und diese unzeitgemäßen Filme über totgesagte Dinge macht. Aber solange es noch ein paar wahre Romantiker und Nostalgiker gibt, wird in den Programmkinos noch Platz sein für Vampire, die so schön von Damals erzählen können.
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