Außenseiter auf der Suche nach Glück

Die Liste der Woche: Eine Coen-Film-Revue
Sehnsucht erfüllt? Szene aus Barton Fink.

Sehnsucht erfüllt? Szene aus Barton Fink.

Wenn uns Joel und Ethan Coen eines gelehrt haben, dann dass Verbrechen sich nicht lohnt. Niemals. Die Brüder haben das so oft in ihren Filmen vorgeführt, dass es als deren Lebensthema gelten kann: Wenn ganz normale Menschen versuchen, durch Erpressung an das schnelle Geld zu kommen, endet es immer im Desaster. Man muss es den Coens hoch anrechnen, dass sie es geschafft haben, dieses Motiv immer wieder neu zu interpretieren: Als Tragödie, Komödie, Thriller, in Schwarzweiß und in Farbe. Doch es gibt auch andere Themen. Die Leiden eines jungen Autors in Hollywood, der Dorftrottel, der zum Chef eines Konzerns gemacht wird, ein moderner Hiob und neuerdings auch ein Folkmusiker im Greenwich Village der 60er Jahre. Im Grunde kann man das Werk der Coens auf diesen Nenner bringen: Immer wieder geht es um Durchschnittstypen oder Außenseiter, die ihr Glück versuchen – und dabei meistens scheitern.

Weil am 5. Dezember der neueste Film, Inside Llewyn Davis, ins Kino kommt, hat die Fragmenteum-Redaktion sich erneut durch das hochgeschätzte Werk der Coens geschaut und eine Liste ihrer besten Filme erstellt – natürlich total subjektiv. Viel Spaß.

Hier die Kurzfassung:

  1. The Big Lebowski
  2. No Country For Old Men
  3. Barton Fink
  4. The Man Who Wasn’t There
  5. Fargo
  6. Blood Simple

Für die Langfassung auf Weiterlesen klicken …

Blood Simple (1984)

bloodsimple2Verbrechen lohnt sich nicht #1: Ein Barbesitzer beauftragt einen Privatdetektiv, seine Frau und ihren Liebhaber umzubringen. Mehr wäre zu viel gesagt über diesem Film voller unerwarteter Wendungen. Nur so viel: Es endet mit drei Leichen. Die Coens zeigen in ihrem Erstling ihr Talent für düstere Thriller, aufgehellt durch lakonische Dialoge, absurde Situationen und schwarzen Humor. Ja, Lachen ist wohl das Beste Rezept gegen so viel Blut. Und das beste: Nach anderthalb Stunden ist alles gesagt. Die Main-Theme des Coen-Hauskomponisten Carter Burwell tut ihr übriges, damit sich dieser Film ins Gedächtnis einbrennt.

Fargo (1996)

fargo1Verbrechen lohnt sich nicht #2: Jerry ist nicht gerade ein Sympathieträger: Der Autohändler betreibt krumme Geschäfte, verstrickt sich in ein Netz aus Lügen und kann sich nicht einmal gegen seinen ebenso reichen wie arroganten Schwiegervater durchsetzen. Ein typischer amerikanischer Loser. Jerry schreckt auch nicht davor zurück, seine Frau entführen zu lassen, um aus dem Lösegeld Kapital für ein Geschäft zu bekommen. Ein Verbrechen ohne Opfer also … Doch weil die beiden Typen, die Jerry anheuert, zwei Vollidioten und eiskalte Killer sind, endet die fingierte Entführung mit sieben Leichen. Der deutsche Untertitel „Blutiger Schnee“ trifft es sehr gut. Es geht grausam zu. Den Gegenpol dazu bildet die schwangere Polizistin, die in der Sache ermittelt. Bei ihr scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Ihre optimistische Lebenshaltung mag man für naiv halten, doch ist sie immerhin schlau genug, den Fall zu lösen. Zum Schluss belehrt sie einen der Ganoven, es gebe mehr im Leben, als ein bisschen Geld. Doch der Mann, zu dem sie spricht, interessiert sich wohl nur für seine nächste Portion Cornflakes. – Zwar kommt das Ende zu abrupt, dafür entlohnen die grandiosen Dialoge und die tollen Darsteller. (Die Behauptung im Vorspann, Fargo erzähle eine wahre Geschichte, ist übrigens gelogen.)

The Man Who Wasn’t There (2001)

edcrane1Verbrechen lohnt sich nicht #3: Ed Crane ist wohl der konsequenteste Niemand, den die Coens kreiert haben. Ein Typ, so unauffällig wie eine Raufasertapete, ein Friseur, der den Mund nicht aufkriegt und dessen Gesicht ebenso reglos bleibt. Doch in ihm passiert allerlei: Er will sein tristes Leben im Amerika der späten 40er beenden und das große Geschäft mit Trockenreinigung machen. Die Kohle dafür will er – natürlich – dadurch auftreiben, dass er den Liebhaber seiner Frau (ihren Chef) erpresst. Bilanz: Vier Leichen. Immer wenn man denkt, es kann nicht schlimmer werden, setzt das Schicksal noch einen drauf. Verstärkt wird die Tristesse durch die schwarzweißen Bilder. Trotzdem: Ein ruhiger, wunderbar elegischer Film Noir mit einem melancholischen Soundtrack von Beethoven und Carter Burwell. Immerhin gibt es manchmal auch etwas zu lachen und für eine Spur Ironie sorgt die Tatsache, dass die Geschichte von Ed Crane selbst aus dem Off erzählt wird. Oh, wäre er doch früher so redselig gewesen, dann wäre all das vielleicht nicht passiert! Aber dann hätten wir diesen herrlich-traurigen Film nicht.

Barton Fink (1991)

barton1Eine Ausnahme im Coen-Oevre: Dieser Film ist eine Parabel auf Hollywood – der Hölle. Einsamkeit und Leere plagen unseren jungen erfolgreichen Bühnenautor Barton Fink, der sein erstes Drehbuch schreiben soll. Ausgerechnet ein Catcher-Film, ein Genre von dem er nichts versteht. So sitzt er in einem miesen Hotelzimmer in Los Angeles, bei Hitze zwischen schwitzenden Tapeten, ein Moskito plagt ihn ebenso wie seine lärmenden Nachbarn, die Deadline sitzt ihm im Nacken. Eine Freundschaft mit einem Hotelgast endet unverhofft. Der Versuch, Inspiration von einem Autorenvorbild zu bekommen, endet mit einem tödlichen Vorfall. Genial ist die Szene, in der Barton Fink dem Studioboss den Plot erzählen soll, aber mangels Ideen einfach nur irgendeinen Bluff daherstammelt. [Achtung, Spoiler!] Doch dann, als schließlich die Wörter fließen und das großartigste Werk vollbracht ist, lässt ihn der Studiochef fallen. Am Ende, als das Hotel plötzlich in Flammen aufgeht, sitzt Fink am Strand und erblickt das Bild seiner Sehnsucht. – Ein atmosphärisch-dichter, nachdenklicher Film, der viel zu denken gibt. Man kann ihn aber auch einfach nur genießen.

No Country For Old Men (2007)

bardem1Verbrechen lohnt sich nicht #4: Für einen Haufen Mexikaner ist der Drogendeal in der Wüste schlecht ausgegangen. Sie haben sich gegenseitig erschossen. Und dann findet ein anderer Kerl, der nichts mit der Sache zu tun hat, die Szenerie – und darin einen Koffer voller Geld. Super, denkt er sich, nimmt ihn mit und damit fangen die Probleme an, denn in dem Koffer ist ein Sender und ein eiskalter Serienkiller hat es auf das Geld abgesehen. Der wird gespielt von Javier Bardem – in einer Paraderolle mit Bolzenschussgerät. Allein die Szene, in der der Killer mit einem Verkäufer disputiert, ist oscarreif. Das Besondere an dem Film ist, dass er so ruhig erzählt und doch so unerträglich spannend ist. Um das zu schaffen, brauchen die Coens nicht einmal oft ihren Komponisten Burwell zu bemühen (erst im Abspann fällt auf, dass es davor kaum Musik gibt). Und schließlich ist der Story ihre Kompromisslosigkeit hoch anzurchnen, dass sie niemanden verschont. Da scheint die letzte Szene, in der der Killer sehr human mit zwei Jungs spricht, fast schon wie die größte Überraschung. Wenn der alte Sheriff sich am Ende fragt, was das für eine Welt ist, die solche Ungeheuer gebiert, erinnert die Szene an Fargo, in der sich die Polizistin die gleiche Frage stellt, aber sich immerhin in ihre naive Geborgenheit ihres Privatlebens zurückziehen kann. Doch ein Jahrzehnt später gibt es nur noch Resignation. Dies ist kein Land für alte Männer mehr.

The Big Lebowski (1998)

bigleb1Cool, cooler, der Dude. Was an diesem Film ist nicht wundervoll? Der lässige Cowboy-Erzähler, die Musik, die drei schrägen Freunde oder die anderen, noch schrägeren Typen, die durchs Bild laufen und den abgedrehten Traumsequenzen in nichts nachstehen? Es ist eine seltsame Welt, dieses Los Angeles zu der Zeit, als wir „Zoff mit Saddam und den Irakis hatten“. Und der Held, Jeffrey Lebowski, der einfach nur der Dude genannt wird, ein abgefuckter Penner, der nichts als seinen „bekackten Teppich“ zurück haben will, erscheint wie der einzig Normale. So kann man verstehen, dass er ständig ziemlich verdattert dreinschaut, weil er einfach nicht begreift, was zum Geier hier vor sich geht. Der Dude wird in seiner Außenseiterrolle zur Identifikationsfigur für den Zuschauer. Ein liebenswert-vertrottelter Schelm. Wollten wir nicht alle schon mal im Bademantel eine Tüte Milch kaufen gehen und mit einem Scheck bezahlen? Wer wollte nicht schon mal ein genügsames Leben führen mit Dingen wie Bowlen, Kiffen, White-Russian-Trinken und Rumhängen? – Und dann diese Dialoge! Nie haben die Coens solche geschliffenen Sätze geschrieben, die – trotz oder gerade wegen ihrer permanenten Flüche – wie in einer Symphonie perfekt ineinander greifen. Besonders in den Szenen, in denen der Dude, Walter und Donny ständig aneinander vorbei reden. Hier ist alles drin, was Coen-Filme ausmacht, ein Konzentrat an großartigen Ideen. Und vor allem: Eine irre gute Story voller Wendungen, die ganz nebenbei auch zeigt, dass sich Verbrechen nicht lohnt. Wer den Dude nicht gern hat, kann kein guter Mensch sein.

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