
Fscociety: Werbung für Mr. Robot (Foto: Lukas Gedziorowski)
Wer immer noch glaubt, das Internet bedeute Freiheit, sollte sich die Serie Mr. Robot ansehen.
Es gibt zwei Filme, erschienen kurz vor der Millenniumswende, die sollte man niemals direkt hintereinander schauen – das wäre so gefährlich, wie Benzin und gefrorenes Orangensaftkonzentrat zusammenzubringen: Matrix und Fight Club. Sonst könnte man danach revolutionäre Tendenzen entwickeln. Denn die Filme sind Geschwister im Geiste: In beiden geht es um ein System der Kontrolle, das es zu überwinden gilt. In Matrix die totale Überwachung innerhalb einer künstlichen Welt, die einem Realität vorgaukelt, um einen auszubeuten. In David Finchers Fight Club ist das System der Kapitalismus, der einen mit Werbung einlullt, falsche Träume erschafft und Bedürfnisse weckt, die nicht zu befriedigen sind.
Die Serie Mr. Robot handelt nicht nur von denselben Themen, sondern bringt die Motive beider Filme zusammen: Ein Hackerdrama, der Fall aus dem tristen Büroalltag in den Kaninchenbau des düsteren Wunderlands, der Kampf gegen einen bösen Konzern, der frei heraus einfach „Evil Corp“ heißt, und das Ziel der Weltrevolution, die die Befreiung der Menschen von der Knechtschaft der Schulden bedeutet. Matrix und Fight Club in einem? Das klingt nach einer billigen Gleichung, ergibt aber tatsächlich rund zehn Stunden beste Unterhaltung.
Held der Serie ist Elliot Alderson (nur einen Buchstaben von Mr. „Anderson“ aus Matrix entfernt), ein stiller, nahezu apathischer junger Mann mit gestörten Sozialkompetenz, was er mit einem Doppelleben kompensiert: Sein Geld verdient er bei einer IT-Sicherheitsfirma, in seiner Freizeit hackt er sich in das Privatleben der Menschen ein, mal um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, mal um Verbrechen aufzudecken, wie etwa die Verbreitung von Kinderpornografie. Abgesehen von seiner Netzkriminalität ist der Guerillakämpfer auch sonst kein unbescholtener Bürger, da er sich illegal Morphium für seine Sucht beschafft. Elliot profitiert von dem System, das er untergräbt, und bekämpft, was ihn ernährt.
Internet als Instrument der Unfreiheit
Auch wenn die Schergen von Evil Corp hier die Bösewichte zu sein scheinen, die Giftmüll unsachgemäß entsorgen und dabei Menschenleben auf dem Gewissen haben: Das System der Kontrolle ist kein oktroyiertes, sondern das Internet, in dem so gut wie alle Menschen freiwillig ihr Privatleben preisgeben und damit verletzlich werden. Für Elliot werden sie mühelos gläsern. Wie er an die Informationen kommt, ist evident: die meisten seiner Opfer haben einfach miese, leicht auszuknobelnde Passwörter. Der Rest ist Hacker-Einmaleins, um an kompromittierende Geheimnisse zu kommen. Eines Tages wehrt Elliot einen Angriff der Hacker-Gruppe FSociety (vgl. Anonymous) auf Evil Corp, einen Kunden seiner Firma, ab. Als ihm klar wird, dass der Angriff ein Test für ihn war, wird er in den Kreis der Hacktivisten aufgenommen. Christian Slater spielt den Anführer Mr. Robot, die Morpheus-Figur. Was folgt, ist ein Plot um eine klassische Mission Impossible, einen Hack, der den Kapitalismus vernichten und die Gesellschaft auf Null setzen soll (vgl. Fight Club). Aber auch um eine riesige Verschwörung im Hintergrund, bei der man nur schwer durchblickt, welche Ziele die Männer in den Maßanzügen (vgl. Mr. Smith und Co.) im Geheimen verfolgen. Es ist nur folgerichtig, dass Elliot, der Drogen- und Netzjunkie, bald nicht mehr Realität von Einbildung unterscheiden kann.
Die Serie lebt nicht nur von starken und komplexen, zum Teil sogar beängstigenden Charakteren, für die man sich interessiert, sondern auch von einer einzigartigen Stimmung, die durch ungewöhnliche Kameraeinstellungen und die wabernd-bedrohliche Elektro-Musik geschaffen wird. Trotzdem kommt die Serie fast ohne Effekthascherei aus, sondern begnügt sich mit einem ruhigen Stil – abgesehen vielleicht von einigen drastischen Gewaltszenen, die aber nie Selbstzweck sind. Dass sie Filmen wie Fight Club viel schuldet, markiert sie mit einer Anspielung: In einer Szene ist der Pixies-Song „Where Is My Mind?“ in einer Instrumentalfassung zu hören – und der Kenner weiß Bescheid, dass es sich um die Abspannmusik des Vorbilds handelt.
Es zeugt schon fast von (Selbst-)Ironie, dass gerade ein globaler Konzern wie der Internetversandhändler Amazon sich die deutschen Rechte an Mr. Robot gesichert hat und es damit den Zuschauern leicht macht, kostengünstig und legal in den Genuss der Serie zu kommen. Wenn sich das nicht mal rächt: Die Menschen alle zehn Folgen kurz hintereinander schauen zu lassen könnte einen Beitrag zum Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit leisten.
>> Mr. Robot ist ab 20. November 2015 als Stream auf Amazon zu sehen.