Farm der Helden

Es heißt, er sei The Hardest Working-Man in Comics. So nannte ihn jedenfalls vulture.com Ende 2017. Es geht um Jeff Lemire, den kanadischen Autor und Zeichner. Gerade mal 42 Jahre alt, gerade mal 13 Jahre im Geschäft und schon so ziemlich auf jedem Gebiet und bei jedem großen Verlag Eindruck hinterlassen. Mit Autorencomics (Graphic Novels) wie Essex County, The Underwater Welder und Roughneck, mit Serien wie Sweet Tooth, Descender und Royal City. Und mit Mainstream-Superhelden für DC und Marvel: Von Animal Man bis Green Arrow, von Hawkeye bis Moon Knight. Kurz: Ein unglaubliches Arbeitspensum.

Jeff Lemire liebt Comics jeder Art, wie er zuletzt im Tagesspiegel bekannte. Und er liebt Superhelden. Deshalb hat er seine eigenen geschaffen: Die Serie Black Hammer (zwei Bände auf Deutsch im Splitter-Verlag erschienen) ist eine Hommage an die Goldene Zeit der Helden aus der Perspektive der trüben Gegenwart, die von Resignation und Stagnation geprägt ist. Sechs einst stolze Überwesen, die die Welt vor kosmischen Bedrohungen gerettet haben, stecken auf einer Farm im Nirgendwo fest – und können aus einem mysteriösen Grund nicht weg. Der Held Black Hammer ist beim Fluchtversuch bereits gestorben, nur sein Hammer ist übriggeblieben.

Es ist schwierig, nach 80 Jahren Superhelden-Historie noch wirklich originelle Charaktere zu schaffen. Jeff Lemire umgeht das, indem er seine Protagonisten als klare Anspielungen anlegt: Der Anführer Abraham Slam erinnert an Captain America und Superman, sein Name lässt an Slam Bradley denken. Black Hammer ist eine Art Thor. Das Mädchen Golden Gail ist die Umkehrung von Shazam (Captain Marvel): Einst eine Frau, die durch das Zauberwort Zafram zum Supermädchen wurde, steckt sie nun im Körper eines Kindes fest. Der rote Marsianer Barbalien ist mit seinen formwandlerischen Fähigkeiten an Martian Manhunter angelegt, mit dem Unterschied, dass er sich als schwul outet.

Und dann sind da noch der Roboter Walky Talky, die Hexe Madame Dragonfly und den Raumfahrer Colonel Weird, der durch seinen Aufenthalt in der seltsamen Zwischendimension Para-Zone verrückt geworden zu sein scheint. So unterschiedlich sie sind, sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind gestrandet, alt und frustriert. Sie tarnen sich als Familie auf der Farm und fallen doch auf, weil sie meist unter sich bleiben. Aber auch das verschont sie nicht vor Konflikten.

Während Walky vergeblich versucht, Sonden in ihr Paralleluniversum zu schicken, bemüht sich allein der alte Abraham, das Beste draus zu machen und mit den Nachbarn anzuknüpfen. Er bandelt mit einer Kellnerin an und zieht damit den Ärger ihres Ex-Mannes auf sich, der unglücklicherweise auch noch der Sherrif ist.

Black Hammer erinnert an andere melancholische Superhelden-Abgesänge wie Watchmen oder JSA: The Golden Age, in denen einem verlorenen Goldenem Zeitalter hinterhergetrauert wird, aber schafft es, mit seinem Setting und seinen traurigen Charakteren starke eigene Akzente zu setzen. Das einstige Superheldenteam wird zur Familie wider Willen und erweist sie sich als dysfunktionale Gemeinschaft. Gail ist frustriert, weil sie wie ein Kind aussieht und zur Schule muss, Barbalien ist frustriert, weil er seine Sexualität nicht ausleben kann, und sucht die Nähe zu einem Pfarrer. Was mit Weird los ist, scheint nicht einmal er selbst zu wissen. Auf Madame Dragonfly lastet ein alter Flucht – aber das könnte man auch über alle anderen sagen.

Black Hammer steckt voller Rätsel und Spannungen. Die Story wird nur langsam entwickelt. Im ersten Band (die ersten sechs Kapitel) führt Lemire vor allem seine Charaktere ein, jedem einzelnen widmet er ein Kapitel. Erst im zweiten Band nimmt die Handlung Fahrt auf, als Black Hammers Tocher plötzlich auftaucht und auch die Spannungen sich entladen …

Mit Black Hammer kehrt Jeff Lemire auch wieder in das Landleben zurück, das er bereits mit Essex County sehr eindringlich geschildert hat. Hier wird sie zur trügerischen Idylle in einer kargen Landschaft, über der ständig graue Wolken hängen und Krähen kreisen. Es ist eine klaustrophobische Enge, die in den Zeichnungen von Dean Ormston inszeniert wird. Es ist tatsächlich eine Welt, der man sich nur schwer entziehen kann.

>> Jeff Lemire/Dean Ormston: Black Hammer, 2. Bde. Splitter Verlag 2018.